Edelweißpiratin Gertrud KochMucki trotzte den Nazis

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Gertrud Koch in einer Zelle des El-De-Hauses: In der NS-Zeit wurde sie dort oft festgehalten.

Gertrud Koch in einer Zelle des El-De-Hauses: In der NS-Zeit wurde sie dort oft festgehalten.

Köln – Sehen kann Gertrud Koch schon lange nicht mehr gut, das Haus kann sie nur noch in Begleitung verlassen. Klar hält sie das nicht davon ab, hinauszugehen und zu erzählen, was war und nie wieder sein darf. Gertrud Koch, die alle nach ihrem früheren Tarnnamen Mucki nennen, hat Anti-Hitler-Flugblätter von der Kuppel des Hauptbahnhofs regnen lassen. Sie hat mit anderen Widerstandskämpfern Juden und Zwangsarbeiter versteckt, ist in Lebensmittellager eingebrochen, um die Versteckten zu versorgen. Mucki Koch, die am Sonntag 90 Jahre alt wird, war eine der führenden Köpfe der Kölner Edelweißpiraten. So eine kann ein flackerndes Augenlicht nicht aufhalten.

„Ich habe von meinem Vater mitbekommen, was Gut und Böse ist“, sagt sie. Muckis Vater war Kommunist und starb im KZ. „Ich selbst habe viel Glück gehabt, dass ich jetzt noch hier sitzen und erzählen kann.“ Ob sie die Geschichte ihrer Flucht nach neun Monaten Haft aus dem Gestapo-Gefängnis Brauweiler aber erzählen dürfe? „Vielleicht lebt der Wärter noch, wahrscheinlich aber nicht. Na gut: Er hat uns rausgelassen, mit den Männern aufs Feld, und dann sind wir zu zweit geflohen.“

Klar hätte ihr der Tod gedroht, „es war eine wilde Zeit“, sagt sie, und beeilt sich hinzuzufügen, dass nicht alle Deutschen „böse Nazis gewesen sind“. Wenn Menschen wie ihr, Mucki, später das Bundesverdienstkreuz am Bande oder der Europaring verliehen wurde, fand sie das zwar schön, aber es barg auch immer die Klischeegefahr: Hier die Guten, da die Bösen. „So leicht war es nicht immer.“ Das sagt sie, obwohl sie sie dem Abgrundtiefbösen wie den brutalen Gestapopolizisten Josef Hoegen, der Widerstandskämpfer foltern und hinrichten ließ, kennenlernen musste. „Ich kann gar nicht zählen, wie oft ich verhaftet wurde.“ Nach der Flucht aus Brauweiler versteckte sie sich mit ihrer Mutter im Allgäu, kam zurück ins zerstörte Köln und kämpfte weiter. Mucki musste zusehen, wie ihr Mann Willi verhaftet wurde, weil er in Flugblättern davor warnte, dass die Deutschen jetzt Waffen an die Amerikaner lieferten, arbeitete als Schaffnerin und Erzieherin, bekam einen Sohn, der zu früh starb.

Erst 2005 als Widerstandskämpferin anerkannt

In den 1970er Jahren begann sie, ihre Geschichte zu erzählen. Erst 2005 wurden sie und ihre mittlerweile verstorbenen Mitstreiter Jean Jülich und Fritz Theilen als Widerstandskämpfer anerkannt. Bis heute verlässt Mucki jede Woche in Begleitung das Haus, um in Schulen und der jüdischen Gemeinde, in Kindergärten und im El-De-Haus Vorträge zu halten. Sie lebe weiter, um zu erzählen, sagt sie. Ihr geliebter Willi ist vor zwei Jahren gestorben, ihre Familie lange tot. „Aber Willi hätte gewollt, dass ich weitermache.“

Muckis Koch Blick für die wichtigen Dinge ist scharf geblieben, ihre Haltung aufrecht, die Erinnerung präzis. Ihre Zukunftsprognose? Eher düster. Jedes Jahr gedenkt Koch mit Freunden der Edelweißpiraten ihren von den Nazis gehängten Freunden mit einem Totenfest am Bahnhof Ehrenfeld. „Als vor zwei Jahren ein ganzer Zug von Braunen über die Venloer Straße zog, um Naziparolen zu rufen, konnte ich es nicht fassen. Es hat mich fast genauso erschreckt wie die Anschläge der rechtsextremen NSU oder die Übergriffe Russlands auf die Ukraine.“ Kochs Wunsch zum 90. Geburtstag, den sie im Freundeskreis feiert: „Dass die Zeiten besser werden, dass es friedlich bleibt in Europa. Und wir aus der Geschichte lernen.“

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