Ein Kölner Ex-Zuhälter packt aus„Ich habe gesehen, wie Frauen gefoltert wurden”

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Prostituierte

In Köln sind 1912 Menschen offiziell als Sexarbeiter angemeldet – überwiegend Frauen.

  • Für unsere Serie „Köln im Rotlicht“ sind unsere Reporter in die Rotlicht-Szene eingetaucht, haben mit Prostituierten, Freiern, Zuhältern und Bordellchefs gesprochen.
  • Folge 5: Ein ehemaliger Zuhälter erzählt von den Strukturen im Kölner Rotlicht – und von seinem eigenen Geschäft.
  • „Ich hatte zehn, zwölf Frauen am Laufen, hatte ein dickes Auto, eine große Wohnung“, sagt der bullige Mann mit dem rasierten Nacken. Er hat auch gesehen, wie Frauen gefoltert werden.

Köln – Wenn Murat K. (Name geändert) über die Ringe läuft und erklärt, welcher Zuhälter welchen Laden kontrolliere, entsteht das Bild geballter Rotlichtmacht. Murat erzählt von den Kölner Paten Necati A. und Brahim Z., von Kämpfen zwischen Rockerbanden, Maseratis und Ferraris, die zu Ehren der Bosse im Korso über die Ringe donnern, von Kampfhunden, die auf Frauen gehetzt werden, eingesperrten Prostituierten und abgeschnittenen Fingerkuppen. -> Hier: Alle 20 Folgen der Serie „Köln im Rotlicht“ im Überblick!

Lesen Sie hier alle bereits erschienenen Folgen von „Köln im Rotlicht – Das Geschäft mit der Prostitution“ ->

Murats Sprache ist hart, fast militärisch. In seiner Welt sind Männer die Bosse und Frauen die Untergebenen. Es gibt keine Grauzonen, nur schwarz und weiß, keine Toleranz und Empathie, nur Loyalität und Hierarchie. Die Bordelle und Laufhäuser, würden von „nicht vorbestraften Geschäftsführern geleitet“, das Sagen hätten in der Regel andere: „Rocker-Clans, Russen, Albaner und Türken.“

Er sei „nicht stolz darauf, gesehen zu haben, wie Frauen gefoltert wurden“, sagt der bullige Mann mit dem rasierten Nacken. „Ich habe die Frauen immer korrekt behandelt, mal ein bisschen Druck ausgeübt, ok, aber ich habe nie eine Frau geschlagen.“

Murat ist Ende 40 und hat drei Kinder. An einem kühlen Tag im Frühsommer empfängt er in der geduckten Wohnung der Familie im Kölner Westen. Die Kinder sitzen in einem Zimmer vor dem Fernseher, seine Freundin serviert Bier und ein Hähnchen-Curry. Er habe viele Jahre als Zuhälter gearbeitet, sagt Murat. Weil er sicher gehen will, nicht erkannt zu werden, wird er für diese Geschichte verfremdet. Denn Loyalität wird in den Zirkeln der Bordellbetreiber und Zuhälter wie in jeder ausgeprägten Hierarchie groß geschrieben – wer gegen sie verstößt, macht sich Feinde. „Bist Du korrekt zu mir, bin ich korrekt zu Dir. Wenn nicht, haben wir ein Problem“, sagt Murat. Ein Spruch, den er auch den Frauen, die für ihn arbeiteten, einhämmerte.

„Ich hatte zehn, zwölf Frauen am Laufen“

Sein Bruder und seine Schwester hätten studiert, sagt Murat. „Ich war in der Schule immer der Clown, und irgendwann habe ich angefangen, Drogen zu verticken.“ Zu seinen Geschwistern habe er kaum noch Kontakt. „Meine Eltern haben sich gefreut, als ich ihnen in guten Zeiten Geld gebracht habe. Als ich in den Knast kam, haben sie sich geschämt.“ Die guten Zeiten, das sind für Murat die Zeiten als Zuhälter. Manchmal habe er 15.000 Euro im Monat verdient. „Ich hatte zehn, zwölf Frauen am Laufen, hatte ein dickes Auto, eine große Wohnung.“ Seit er aus der Haft entlassen wurde, lebt er von Hartz IV.

An einem heißen Tag im August steht Murat am Wallrafplatz mit Larissa*. Er verkaufe ihr nur noch Drogen, sagt er. Früher sei sie für ihn anschaffen gegangen. „Dafür, dass sie seit Jahren süchtig ist, sieht sie noch sehr gut aus. Außerdem kennst Du kennst keine Tabus, wenn die Kohle stimmt, oder?“ – „Fick dich selbst, ich mache es nicht ohne Gummi“, sagt Larissa. „Aber sonst macht die alles, was Du Dir wünschen kannst, eine richtige Sau“, sagt Murat. „Sie hat mich schonmal mit einer Flasche bedroht, die traut sich sogar was.“

Die Brutalität seiner Sprache fällt Murat nicht auf. Ob sie freiwillig ihren Körper anbiete? „Wer macht das freiwillig? Ich brauche Geld“, sagt Larissa. „Freiwillig macht das keine“, sagt Murat. „Aber die Drogensüchtigen sind besonders arme Schweine.“

Was Murat über seine Laufbahn als Zuhälter erzählt, erinnert an einen schlechten Krimi: Als 20-Jähriger habe er „die aufgebrezelten, naiv aussehenden Mädels“ in den Diskos angesprochen. Er habe gut ausgesehen und mit den Mädels geflirtet. „Ich hatte viele Dates. Irgendwann habe ich die Mädels zum Essen eingeladen, habe ihnen schöne Sachen gekauft: Kleider, teure Parfums, Schmuck, bin im Cabrio mit denen durch die Stadt gefahren. Ich habe sie possiert – und irgendwann einen Kumpel vorgestellt, der auch mit ihr ficken wollte.“ Er habe Frauen in Bordellen gehabt, auch im Pascha. „Da hat fast jede einen Luden, wer erzählt, dass da viele Frauen auf eigene Rechnungen arbeiten, lügt – oder ist naiv.“

Murat erzählt auch gern von seiner eigenen Potenz. Er sei als Steher bekannt, mit den meisten Frauen, die für ihn anschaffen gingen, habe er auch selbst geschlafen. Er holt eine Pillenbox aus seinem Bauchbeutel, „Kamagra“, sagt er, „ist billiger und besser als Viagra. Da kannste höggeln bis zum geht nicht mehr.“ Er zieht noch ein Fläschchen mit den roten Lettern „Orgasmus“ aus dem Beutel: Poppers wirken gefäßerweiternd und muskelentspannend. „Habe ich den Frauen immer mitgegeben zum dazu Verkaufen, fünf Euro im Einkauf, 20 oder 25 im Verkauf“, sagt Murat. „Nimmt man kurz vor dem Kommen. Damit man direkt weitermachen kann.“ Tatsächlich bekommt man die Poppers auf Nachfrage in jedem Saunaclub.

Der Mythos der Branche ist das Versprechen großer Freiheit, von Macht und Potenz, der Erfüllung von Träumen: Frauen ohne Tabus. Männer mit Dauerlatte. Alles ist möglich. Wie im Porno. Murat sagt: „Wenn es nur ums Vögeln geht und man genug Kohle hat, ist das auch so.“ Dafür müssen die Männer allerdings ausblenden, dass Erotik keine Rolle spielt; dass das Stöhnen nicht echt ist und die Frauen in der Regel nicht freiwillig ihren Körper anbieten. Murat fragt: „Welche Frau würde das schon machen, wenn sie nicht müsste? Ich kenne keine.“

Glossar

Agisra

Die „Arbeitsgemeinschaft gegen internationale sexuelle und rassistische Ausbeutung“ in Köln ist seit 1993 eine Beratungs- und Informationsstelle für Migrantinnen und Flüchtlingsfrauen. Agisra unterstützt zum Beispiel Frauen, die von Gewalt, Sexismus oder Rassismus betroffen sind, die Sozialarbeiterinnen reden mit Frauen auf dem Straßenstrich, am Eigelstein und in Bordellen. Der Verein sitzt in der Bolzengasse in der Altstadt, Telefon 0221/124019.

Escort

Begleit-Agenturen oder Escort-Agenturen vermitteln Frauen, seltener auch Männer, gegen Honorar für eine vereinbarte Zeit. Die Agenturen dienen als Dienstleister und kassieren eine Provision von den Frauen, die oft zwischen 25 und 35 Prozent liegt. Die Preise für die meistens auch sexuellen Dienstleistungen schwanken, liegen aber nur selten unter 200 Euro pro Stunde und 1500 Euro pro Tag. Viele ihrer Mitarbeiterinnen seien Studentinnen, berichtet eine Kölner Agentur-Chefin. Eine vom Studienkolleg zu Berlin veröffentlichte Umfrage ergab, dass 3,7 Prozent aller Berliner Studierenden als Sexarbeiter im weiteren Sinne tätig sei. Verbände und Behörden gehen davon aus, dass der Großteil der im Escort-Bereich tätigen Frauen freiwillig dort arbeitet.

Hurenpass

Im Juli 2017 ist bundesweit das Prostituiertenschutzgesetz in Kraft getreten. Seitdem müssen Prostituierte einen speziellen Ausweis bei sich tragen, den so genannten Hurenpass. Diese Anmeldebescheinigung, die regelmäßig verlängert werden muss, ist mit Namen, Meldeadresse und einem Foto versehen. Viele Sexarbeiterinnen weigern sich, ihre Anonymität aufzugeben und den Pass zu beantragen – sie fürchten unter anderem Repressionen in ihren Heimatstaaten, in denen Prostitution unter Strafe steht. 

Laufhaus

In einem meist mehrstöckigen Laufhaus mieten Prostituierte Zimmer an. Wenn sie auf Freier warten, stehen ihre Türen offen. Der Kunde streift durch die Flure und kommt mit den Frauen ins Gespräch, die vor oder in ihren Zimmern sitzen. Welche Leistungen sie anbieten und welche Preise sie dafür verlangen, bestimmen die Frauen selbst, nicht der Laufhaus-Betreiber. Er kassiert von ihnen nur die tägliche oder monatliche Miete. Der Eintritt in ein Laufhaus ist meistens frei. Wie viele der Frauen tatsächlich selbstbestimmt arbeiten und wie viele ihre Einnahmen an einen Zuhälter abtreten müssen, ist unklar.

Loverboys

Zuhälter, die vor allem Minderjährige und junge Frauen in Clubs und im Internet ansprechen. Sie täuschen ihnen die große Liebe vor, entfremden sie aber tatsächlich von Freunden und Familie und zwingen sie in die Prostitution. Laut Polizeierkenntnissen sind Loverboys in aller Regel Einzeltäter, die oft mehrere Frauen parallel haben, ohne dass die Opfer voneinander wissen. 

Menschenhandel

Eine Straftat, auf die zwischen sechs Monate und zehn Jahre Gefängnis steht. Unter Menschenhandel versteht das Gesetz jede Form des Anwerbens, Transports oder Beherbergens von Menschen, um sie auszubeuten – zum Beispiel in der Prostitution, durch Bettelei oder Zwangsarbeit. 

Poppers

Slang für eine flüssige, nicht verbotene Droge, die in kleinen Ampullen vertrieben wird und beim Öffnen ploppt. Poppers sollen stark gefäßerweiternd, aphrodisierend, muskelentspannend und schmerzhemmend wirken – und damit helfen, den Geschlechtsverkehr zu verlängern. Werden in fast allen Bordellen verkauft. Können zu Herzrasen, Übelkeit, Erbrechen und Sehstörungen führen, blutdrucksenkende Potenzmittel verstärken die Wirkung.

Prostituiertenschutzgesetz

Seit 1. Juli 2017 ist ein neues Prostituiertenschutzgesetz in Kraft. Es beinhaltet unter anderem die Verpflichtung eines so genannten „Hurenausweises“. Betreiber von Bordellen benötigen eine Erlaubnis und dürfen sich zuvor nicht im Bereich Menschenhandel/Prostitution strafbar gemacht haben. Das Gesetz sieht auch eine Kondompflicht für Freier und eine Gesundheits- und Ausstiegsberatung für Sexarbeiter/innen vor.  Sexarbeiterinnen dürfen seit Inkrafttreten des P. nicht mehr in dem Raum schlafen, in dem sie ihre Dienstleistungen anbieten – Bordellbetreiber müssen getrennte Schlaf- und Waschräume anbieten. Das Gesetz soll Sexarbeiter/innen vor Zwangsprostitution, ungeschütztem und gewalttätigem Sex schützen. Interessenverbände und Beratungsstellen kritisieren das Gesetz: Die meisten Prostituierten, die nicht freiwillig arbeiten, würden weiterhin nicht erreicht. Die Sorge, mit einem Hurenausweis identifiziert werden zu können, treibe viele Frauen in die Illegalität.

Das Gesetz hat für Prostituierte in NRW auch positive Effekte, resümiert die Prostituierten-Beratungseinrichtung Kober.  So habe sich die Hygiene in vielen Häusern verbessert, auch die Rückzugsmöglichkeiten, Aufenthaltsräume und Beratungen wurden von vielen Frauen als hilfreich beschrieben. Die in vielen Sprachen abrufbare Lola-App unterstützt demnach viele  Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter, um sich besser über ihre Rechte, Krankenversicherung, Prävention und Beratungsangebote zu informieren. 

Saunaclub/FKK-Club

Die Gäste bewegen sich im Handtuch oder Bademantel durch den Club. Im Eintrittspreis enthalten sind oft Getränke und Speisen. Neben Sauna und Dampfbad gibt es meist eine Bar und separate Bereiche, in denen männliche Besucher mit Prostituierten ins Gespräch kommen. Die Einnahmen werden zwischen der Frau und dem Clubbetreiber aufgeteilt. Die Frauen sind entweder festangestellt, oder sie arbeiten auf eigene Rechnung beziehungsweise für einen Zuhälter, der sie häufig zum Club bringt und wieder abholt. Insider gehen davon aus, dass ein Großteil der Frauen in den Clubs nicht unabhängig von Zuhältern arbeitet.

Sexarbeit/Prostitution

Sexarbeit und Prostitution sind nicht dasselbe. Sexarbeit ist der neutralere Begriff, er beinhaltet keine negative Bewertung. Eine Sexarbeiterin ist eine Dienstleisterin, die einen sexuellen Service anbietet, um damit Geld zu verdienen. Das Wort Prostitution ist negativ belegt: Im Lateinischen bedeutet es, etwas „nach vorne zu stellen“ – sich preiszugeben oder auszustellen. Prostitution wird verbunden mit einem patriarchalen System –  Bordellen, Zuhältern und Freiern, die die Regeln diktieren. Bei einer Frau, die auf den Straßenstrich geht, um ihre Drogensucht zu finanzieren, würde man eher von einer Prostituierten sprechen, bei einer Frau, die sich mit Escort-Service ihren Lebensunterhalt verdient, eher von Sexarbeiterin. Bei einer jungen Frau aus Osteuropa, die im Bordell Sex anbietet, ist die Unterscheidung schwieriger – wenn sie dort arbeitet, um die Existenz ihrer Familie zu sichern, spräche man von Sexarbeit, würde sie von ihrem Vater oder Bruder unter Druck gesetzt, anschaffen zu gehen, von Prostitution. 

Sozialdienst katholischer Frauen (SkF)

Anlaufstelle im Caritasverband für Frauen und Familien in Not. Seit mehr als hundert Jahren engagiert sich der SkF in Köln für Prostituierte, informiert sie über Rechte und Pflichten, unterstützt sie bei Sorgen in Familie und Partnerschaft und hilft den Frauen beim Ausstieg, wenn sie das wünschen. Die  Geschäftsstelle ist am Mauritiussteinweg in der Innenstadt, Telefon 0221/12695-0.

Verrichtungsbox

Garagenähnliche Boxen auf dem Straßenstrich an der Geestemünder Straße in Niehl. Das fußballfeldgroße, eingezäunte Gelände eröffnete im Oktober 2001. Freier fahren dort zunächst durch eine Kontaktzone und dann mit den Frauen in eine der acht Boxen, die in einer alten Scheune untergebracht sind. Es gibt auch Container für Fußgänger oder Radfahrer. In jeder Verrichtungsbox ist ein Alarmknopf an der Wand. Während der Öffnungszeiten sind Sozialarbeiter auf dem Gelände anwesend, Ordnungsamt und Polizei kontrollieren das Gelände regelmäßig.

Weißer Ring

Hilfsorganisation für Menschen, die in Deutschland Opfer von Kriminalität geworden sind. Die ehrenamtlichen Betreuer beraten auch immer wieder Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution, unterstützen sie bei der Suche nach spezialisierten Rechtsanwälten, bei der Beantragung einer lebenslangen Opferrente oder mit der Zahlung einmaliger Soforthilfen bis zu 300 Euro. Zentrale Anlaufstelle auch für Menschen in Köln ist das Landesbüro in Düren, Telefon 02421/16622.

Zwangsprostitution

Eine besondere Form der Ausbeutung und seit 2016 ein eigener Straftatbestand neben dem Menschenhandel. Vor 2016 war der Begriff rechtlich nicht definiert. Bei Verurteilung drohen dem Täter zwischen sechs Monaten und zehn Jahren Haft. Die meisten Opfer stammen aus Deutschland sowie aus Ost- und Südosteuropa. Häufig werden die Frauen angeworben, indem der Täter ihnen eine legale Arbeit etwa in der Gastronomie oder Hotellerie verspricht.

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