EU-Politikerin streitet mit Polen„Brauchen keine Nachhilfe über NS-Geschichte"

Adolf Hitler mit seinen Getreuen.
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Aachen – Zwischen der EU und Polen ist ein heftiger Streit um die Neuausrichtung des Geschichtsunterrichts in dem Nachbarland von Deutschland entbrannt. Das geht aus einen Briefwechsel zwischen den polnischen Bildungsminister Przemysław Czarnek und der Aachener EU-Politikerin Sabine Verheyen (CDU) hervor, der dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ exklusiv vorliegt. Verheyen leitet den Ausschuss für Kultur und Bildung (CULT) im EU-Parlament. Sie fordert Polen auf anzuerkennen, „dass Geschichte nie nur schwarz oder weiß“ ist.
Der polnische Bildungsminister gehört der rechtspopulistischen Partei „Prawo i Sprawiedliwość“ („Recht und Gerechtigkeit“) an und sorgte zuletzt wegen homophober Aussagen für Schlagzeilen. Der Hardliner hatte in einem Interview die Europäische Union wegen der Einmischung in innere Angelegenheiten der Mitgliedsstaaten als „unrechtmäßiges Gebilde“ bezeichnet und zugleich eine neue Linie im Geschichtsunterricht angekündigt.
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Damit zog er die Aufmerksamkeit der EU auf sich. Das Verhältnis ist seit langem gestört, unter anderem weil Brüssel Polen vorwirft, gegen die Unabhängigkeit der Justiz zu verstoßen. Jetzt tut sich ein neues Konfliktfeld auf.
Polen will Nationalhelden ehren
In dem Interview hatte der Minister erklärt, er wolle „die Pädagogik der Schande endgültig beenden und endlich eine Pädagogik des Stolzes aufbauen“. Die bisherige, angeblich vom Ausland beeinflusste Geschichtsschreibung sei darauf ausgerichtet, den Polen die Nationalhelden zu nehmen. „Wir haben Europa als Polen und in vielen Bereichen viel gegeben. Das Wissen über dieses Thema ist begrenzt, und es scheint, dass es weiter verbreitet sein sollte“, so Czarnek.
EU spricht von mangelndem Respekt
Sabine Verheyen ist die Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Bildung (CULT) im EU-Parlament. Die CDU-Politikerin bat den polnischen Minister schriftlich um eine Stellungnahme zu den Äußerungen. In ihrem Schreiben weist sie darauf hin, historische Gerechtigkeit könne nicht dadurch erreicht werden, „dass man die eigenen vergangenen Taten und Errungenschaften gegen die anderer ausspielt oder die eigenen historischen Leiden für ausgeprägter als die anderer erklärt“, so die CULT-Vorsitzende: „Indem Sie für die polnische Nation einen besonderen Status des „Märtyrertums" und des „Leidens" beanspruchen, zeigen Sie mangelnden Respekt gegenüber allen anderen Völkern, Ethnien oder Religionen in Europa, die im Laufe der Geschichte Not, Ungerechtigkeit oder Verfolgung erleiden mussten“.
Einladung in Gestapo-Gedenkstätte
Czarnek hatte Verheyen „und eine Begleitperson“ dazu eingeladen, sich in einem ehemaligen Gestapo-Gefängnis in Warschau über das Unrecht zu informieren, dass die Polen in der NS-Zeit erlitten hätten. „Jede Wand des Gebäudes in der Szucha-Allee ist mit dem Blut der hier gefolterten Opfer getränkt und erinnert daran, dass ein wirklicher Dialog auf der Grundlage von Wahrheit und Gerechtigkeit geführt werden muss“, schrieb der Minister.
EU will sich nicht einmischen
Die EU hat sich jetzt in einem offenen Brief über die Haltung des Ministers und die antideutschen Untertöne beschwert. „Wir brauchen keine Nachhilfe bei der Aufarbeitung der deutschen Geschichte von Herrn Czarnek“, sagte Verheyen, dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. „Der Streit um die Geschichte ist eine neue Facette des Konflikts zwischen Polen und der EU. Uns geht es gar nicht drum, sich in die Curricula an den polnischen Schulen einzumischen. Die liegen in der Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten.
Grundidee der EU in Gefahr
Man könne aber nicht akzeptieren, dass die EU als Unrechtssystem dargestellt werde. „Damit würden wir zulassen, dass die junge Generation europaskeptisch oder europafeindlich erzogen wird. Eine solche Haltung darf nicht Eingang in die Schulbücher finden“, so Verheyen. „Die Grundidee der EU ist doch, Brücken zu bauen. Das gelingt nur, wenn man die Geschichte aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Ich befürchte, dass die neue nationalistische Linie im polnischen Geschichtsunterricht die Gräben wieder vertiefen soll. Diese nationalistische Sichtweise hat in der Vergangenheit immer wieder dazu beigetragen, dass sich die Staaten voneinander entfernt haben und Kriege entstanden sind.“
Verheyen hält polnischen Minister für dreist
Sie sehe ihre Aufgabe als Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Bildung auch darin, den Gedanken der Gründerväter der EU aufrecht zu erhalten, so Verheyen. „Mit Programmen wie Erasmus und Kulturprogrammen haben wir die Möglichkeiten geschaffen, Austausch und Gemeinsamkeit zu fördern. Das Ziel, ein faires Miteinander zu organisieren, wird durch die antideutsche und antieuropäische Propaganda der rechtsnationalen polnischen Regierung leider konterkariert.“ Czarnek habe ihr indirekt die Absicht unterstellt, sie wolle die „deutsche Geschichte von der historischen Schuld sauberwaschen“. Das sei „dreist und völlig inakzeptabel.“
Sanktionen sind unwahrscheinlich
Sanktionen wegen des Streits muss Polen nicht befürchten. Verheyen setzt darauf, in Polen Aufmerksamkeit für das Thema Geschichtsschreibung zu wecken. „Ich setze darauf, dass die Öffentlichkeit sich kritisch mit den Regierungsplänen auseinandersetzt“, so Verheyen. Gerade bei der Jugend herrsche eine pro-europäische Einstellung vor. „Das Bewusstsein, dass ein Miteinander in Europa vor allem Vorteile und Chancen mit sich bringt, ist bei vielen jungen Polinnen und Polen stark ausgeprägt.“