Jenas Ex-OB zieht nach Köln„Ich bin alles andere als ein Antisemit“

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Albrecht Schröter, früherer OB von Jena

  • Der in der DDR geborene evangelische Theologie Albrecht Schröter, zwölf Jahre OB von Jena, lebt seit 2019 in Köln.
  • Im Interview erklärt Schröter den Unterschied im Lebensgefühl unter anderem am Beispiel des Kölner Verkehrs.
  • Am 18. August könnte er Claudia Burger, die Witwe von Ex-OB Norbert Burger, im Vorsitz des Partnerschaftsvereins Köln–Bethlehem ablösen.
  • Vor der Wahl erklärt Schröter seine Bereitschaft zu einer Kampfkandidatur und wehrt sich gegen Antisemitismus-Vorwürfe.

Herr Schröter, Sie stammen aus der ehemaligen DDR, waren viele Jahre Oberbürgermeister von Jena. Was hat Sie nach Köln verschlagen? Albrecht Schröter: Ich bin Kölner „amoris causa“: Meine Partnerin, die Rheinländerin ist und in Köln arbeitet, hat mich 2019 hierher gelockt.

Sie waren erster Bürger einer kleinen Großstadt. Jetzt sind Sie Bewohner einer großen Kleinstadt. Wie nehmen Sie Köln wahr?

Als eine sehr sympathische Stadt. Ich mache das mal am Straßenverkehr fest: Die Leute fahren hier viel entspannter.

Wie bitte?

Also, jedenfalls im Vergleich zu Mitteldeutschland. Da fühlen sich nicht wenige dazu berufen, andere zu belehren, die sich vielleicht mal zu forsch einfädeln, oder bei der Vorfahrt aufs eigene Recht zu pochen. Mag sein, dass das noch ein „Ost-Rudiment“ ist. Manche Rheinländer haben es dafür nicht ganz so mit der Verbindlichkeit.

Wie haben Sie das festgestellt?

Als ich nach Köln kam, habe ich in verschiedenen Bereichen angeboten, meine Erfahrungen einzubringen. Es gab viel Interesse und „verbindliche“ Zusagen, die Kompetenzen eines Oberbürgermeisters a.D. für Köln zu nutzen. Bitter waren dann die vielen Absagen, zuweilen mit der Begründung: „Sorry, für diesen Job wären Sie überqualifiziert…“ Was mir an Köln aber besonders gut gefällt, ist seine Geschichtsträchtigkeit, Kulturaffinität und die große Diversität.

Zur Person

Albrecht Schröter, geb. 1955 in Halle/Saale, war von 2006 bis 2018 Oberbürgermeister von Jena. Der promovierte Theologe übernahm 1984 in Jena ein Pfarramt. 1989 begründete er die Partei „Demokratischer Aufbruch“ mit, die er 1990 verließ und zur SPD wechselte. Nach dem Ende seiner Amtszeit als OB war Schröter für kurze Zeit Geschäftsführer der „Stiftung Friedensdialog der Weltreligionen und Zivilgesellschaft" in Lindau.

Wegen früherer kritischer Stellungnahmen zur Besatzungspolitik Israels und zum Nahostkonflikt verlor er seinen Posten. Nach einer Klage beim Arbeitsgericht nahm die Stiftung den Vorwurf zurück, Schröter habe seine Neutralitätspflicht verletzt. Seit 2019 lebt Schröter in Köln. 2021 wurde er zum Beisitzer im Vorstand des Städtepartnerschaftsvereins Köln-Bethlehem gewählt. (jf)

Sie sind Sozialdemokrat. Haben Sie politische Ambitionen?

Nicht, was politische Wahl- oder Spitzenämter betrifft. Von Haus bin ja evangelischer Pfarrer und ein bisschen in die Politik „verunfallt“ in Folge der Friedlichen Revolution in der ehemaligen DDR. Aber ich wäre gern bereit, in Gremien Verantwortung zu übernehmen, wenn ich gefragt würde.

Als Pfarrer sind Sie wieder aktiv.

Meine Heimatkirche, die heutige Evangelische Kirche in Mitteldeutschland, hat mir schon beim Eintritt in die Kommunalpolitik die Ordinationsrechte belassen. Auch als OB habe ich – außerhalb von Jena – vertretungsweise Gottesdienste gehalten. Als Hans Mörtter von der Lutherkirche in der Südstadt entdeckt hat, dass es mich gibt, hat er mir auch hier in Köln den Einsatz als ehrenamtlicher Pfarrer ermöglicht. Ein- bis zweimal im Monat nehme ich Vertretungen in bisher vier evangelischen Gemeinden in Köln wahr.

Sie sprachen von der Verantwortung in Gremien: Im Städtepartnerschaftsverein Köln-Bethlehem streben Sie jetzt den Vorsitz an. Der Verein hat allerdings eine Vorsitzende: Claudia Burger, die mit diesem Amt auch das Lebenswerk Ihres Mannes, des verstorbenen OB Norbert Burger, fortsetzt. Warum wollen Sie sie ablösen?

So würde ich das nicht formulieren. Es ist nicht mein Ziel, Frau Burger abzulösen. Es gibt aber Menschen im Vorstand und Verein, die sich einen Wechsel im Vorsitz wünschen und an mich herangetreten sind mit der Frage, ob ich dafür bereitstünde.

Die Frage stellt sich in einer Wahlversammlung am 18. August. Sie lassen es auf eine Kampfkandidatur ankommen?

Ich bin bereit, zu kandidieren, wenn ich für den Vorsitz vorgeschlagen werde. Selbst vorschlagen werde ich mich nicht.

Zum Verein Köln–Bethlehem

Der Städtepartnerschaftsverein Köln–Bethlehem wurde 1996 gegründet, nachdem die Stadt Köln unter dem damaligen Kölner OB Norbert Burger (SPD) als erste in Deutschland einen Partnerschaftsvertrag mit einer palästinensischen Stadt abgeschlossen hatte. Grundlage war der Gedanke, dass die in Köln besonders verehrten Heiligen Drei Könige laut Neuem Testament in Bethlehem den neugeborenen Jesus besucht hatten.

Der Verein wird heute von Burgers Witwe Claudia Burger geleitet, die 2021 für zwei Jahre im Amt bestätigt wurde. Nach internen Streitigkeiten sollte es zu einer vorgezogenen Wahl des gesamten Vorstands kommen, was allerdings an formalen Hürden scheiterte. Nunmehr ist die Neuwahl in einer Mitgliederversammlung am 18. August 2022 geplant. (jf)

Worin sehen Sie denn das Problem mit der amtierenden Vorsitzenden?

Es widerstrebt mir, mich dazu öffentlich zu äußern. Ich nehme ein gestörtes Vertrauensverhältnis zwischen der deutlichen Mehrheit des Vorstands und der Vorsitzenden wahr. Das tut dem Verein nicht gut. Dabei möchte ich es aber belassen.

Angesichts der genannten Diversität der Angebote in Köln – warum soll für Sie der Köln-Bethlehem-Verein Ort Ihres Engagements sein?

Aus der Städtepartnerschaftsarbeit Jena–Beit Jala, einer Nachbarstadt Bethlehems, und von 30 Reisen nach Israel und Palästina bringe ich viele Erfahrungen, Kenntnisse und persönliche Kontakte mit.

Seit mindestens zehn Jahren ziehen sich aber auch regelmäßig Vorwürfe antisemitischer Aktionen und – mindestens missverständlicher – Äußerungen durch Ihre Biografie. Ist es so clever, sich erneut auf ein Terrain zu begeben, auf dem Sie hier unter besonderer Beobachtung sein werden?

Ich will dieser Frage nicht ausweichen. Und es wäre sicher die bequemste Lösung, mich da herauszuhalten. Aber mir liegt an der Arbeit dieses großartigen Vereins, die meines Erachtens nicht durch interne Querelen gefährdet werden darf. Ich bin für einvernehmliche Lösungen offen. Und ich sage es ganz deutlich: Ich muss diesen Posten nicht haben.

Wie sehen Sie Ihre Haltung zu Israel?

Bis in die 1990er Jahre war ich begeistert von der zionistischen Idee und verstehe mich bis heute als ein Freund Israels durch und durch, als ein treuer Freund des jüdischen Volkes sowieso. Allerdings sind mir durch Besuche in Israel und den besetzten Gebieten seit 1993 auch die Augen geöffnet worden für die Situation der Palästinenser. Deshalb habe ich mich schon vor meiner Zeit als OB für die Rechte der Palästinenser eingesetzt, selbstverständlich ohne dabei gegen Israel zu sein. Ich bin stolz darauf, dass ich 2011 mit dem „Preis für Zivilcourage gegen Rechtsradikalismus, Antisemitismus und Rassismus“ des Förderkreises für das Holocaust-Mahnmal und der jüdischen Landesgemeinde in Berlin ausgezeichnet worden bin. Ich finde, diese Auszeichnung, zu der Jean-Claude Juncker die Laudatio gehalten hat, spricht für sich.

Die Beteiligung an Boykott-Aufrufen kann man sehr wohl als gegen Israel gerichtet sehen.

Ich habe mich 2012 zu einer Aktion von „pax christi“ zunächst positiv geäußert, deren Konsequenzen ich zugegebenermaßen nicht bis ins Letzte durchschaut hatte. Da bedurfte es einer öffentlichen Klarstellung, um nicht in die Ecke der BDS-Bewegung (Kampagne für Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen gegen Israel, d.Red.) geschoben zu werden. Deren Ansatz teile ich ausdrücklich nicht. Ich war nie ein Verfechter von BDS, bin es nicht und werde es nie sein. Im Gegenteil: Ich bin dafür, alles zu tun, was Israels Existenz sichert. Natürlich im Rahmen des Völkerrechts.

Aber Produkte aus den Siedlungen zu kennzeichnen, finden Sie schon gut?

Das ist eine Forderung des Europaparlaments, die ich teile. Käufer sollen sich entscheiden können, was sie erwerben. Die Siedlungen widersprechen dem Völkerrecht. Das sagt selbst die US-Regierung. Alles, was diesen illegalen Zustand stärkt, schwächt die Chancen der Palästinenser auf einen eigenen Staat im Rahmen einer Zwei-Staaten-Lösung. Mit meiner Kritik an der Besatzungs- und Siedlungspolitik sehe ich mich übrigens auch ganz auf einer Linie mit der Haltung der jetzigen und der früheren Bundesregierungen.

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Albrecht Schröter ist ehrenamtlich als evangelischer Pfarrer tätig.

Eine Aussage wie die, dass die Deutschen für den Holocaust „verhaftet“ würden und nicht länger zum Schweigen gebracht werden dürften, ist doch ein lupenreiner antisemitischer Topos.

Avraham Burg, der frühere Sprecher des israelischen Parlaments, der Knesset, fordert in seinem Buch „Hitler besiegen" (2009), das sich vor allem an seine israelischen Landsleute richtet, den Holocaust nicht zur Rechtfertigung von Unrecht gegenüber den Palästinensern heranzuziehen. Wir Deutschen haben angesichts der unermesslichen Schuld durch den Holocaust eine besondere Verantwortung, die zu einer besonderen Sensibilität verpflichtet. Der Hinweis auf den Holocaust darf jedoch nicht dazu führen, dass Verletzungen von Völker- und Menschenrechten des palästinensischen Volkes nicht mehr kritisiert werden können. Dieses hat mit der deutschen Schuld nichts zu tun. Deshalb darf das palästinensische Volk auch nicht darunter leiden.

Der neue Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG), Volker Beck, nennt Ihre mögliche Wahl zum Vorsitzenden „geradezu eine Idealbesetzung, wenn man Zwietracht und antiisraelische Besessenheit fördern will“.

Das ist Unsinn. Solche Aussagen eines Mannes, der mich gar nicht kennt, geschweige denn je ein Gespräch mit mir gesucht hat, dienen nicht einer sinnvollen Verständigung. Sollte Herrn Becks Urteil ein Grund sein, nicht zu kandidieren?

Das müssen Sie beantworten. Zumindest wissen Sie, wie auf Ihre Kandidatur geschaut wird.

Wir leben Gott sei Dank in einer Demokratie. Ich setze mich aktiv seit vielen Jahren für einen gerechten Ausgleich zwischen Israel und Palästina ein. Dabei ist völlig klar: Ich bin ein Freund Israels und alles andere als ein Antisemit. Ich bin ebenso ein Freund des jüdischen Volkes, wie ich ein Freund Bethlehems und der Palästinenser bin. Davon würde ich auch Herrn Beck gern überzeugen.

Wenn Sie gewählt würden!

Sollte ich gewählt werden, möchte ich auch gern das Gespräch mit der DIG in Köln, der Jüdischen Gemeinde sowie der Christlich-Jüdischen Gesellschaft Köln suchen, um deren Beziehungen zu uns freundschaftlich und konstruktiv weiterzuentwickeln. Es käme mir übrigens auch nicht in den Sinn, mich in die Belange der DIG oder des Tel-Aviv-Vereins einzumischen. Idealerweise arbeiten wir respektvoll neben- und miteinander, um zum Wohle der Städte Köln, Tel Aviv und Bethlehem einen kommunalen Beitrag zum Frieden im Heiligen Land zu leisten. Der jüdische Philosoph Martin Buber hat einmal gesagt: „Das Glück des einen Volkes hängt vom Glück des anderen Volkes ab. Es kann Israel nicht gutgehen, wenn es den Palästinensern nicht gutgeht – und umgekehrt.“ Dem stimme ich gern zu, das ist mein Credo und die Triebfeder meines Engagements.

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