Finanzexperte zum Haushalt„Bescheiden ist die Kölner Politik nicht“

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Viele Seiten Papier prägen den Haushalt der Stadt Köln.

  • Was bedeutet der neue Haushalt für die nächsten beiden Jahren? Interview mit Finanzexperte Prof. Dr. René Geißler.
  • „Die Sanierung des Haushaltes ist nur in ruhigen Zeiten möglich.“
  • „Eine belastbare Planung ist kaum möglich. Die Zahlen werden ein Stück weit Makulatur, man wird den Haushalt flexibel umsetzen müssen.“

Köln – Wie schwierig ist es in diesen unsicheren Krisen-Zeiten, einen Haushalt aufzustellen? Prof. Dr. René Geißler: Haushaltsplanung bedeutet letztlich eine Prognose über Erträge und Aufwendungen der kommenden Jahre. In normalen Jahren kann sich die Stadt auf Erfahrungen mit durchschnittlichen Veränderungsraten berufen oder ganz bewusst politische Entscheidungen einplanen. Bereits mit der Corona-Krise 2020 war dies nicht mehr möglich, allerdings wogen sich dazumal Belastungen und Entlastungen ein Stück weit auf.

Wie ist es jetzt?

Die jetzige Situation aus hoher Inflation und Energiekrise ist finanziell schwieriger, da bei allen Sachaufwendungen hohe Steigerungen zu erwarten sind. Zusätzlich wird die Inflation mittelfristige Folgen zum Beispiel bei den Tarifsteigerungen des Personals haben, welche aktuell sehr gering geplant sind. Auch die Beteiligungen sind gefährdet, zum Beispiel die Ausschüttungen der Stadtwerke. Ob es, ähnlich der Corona-Krise, Hilfen von Bund und Land geben wird, ist aktuell völlig unklar. Kurzum, eine belastbare Planung ist kaum möglich. Die Zahlen werden ein Stück weit Makulatur, man wird den Haushalt flexibel umsetzen müssen. Priorität hat, einen genehmigten Haushalt zu erreichen, um handlungsfähig zu sein. Diesem Ziel dient auch der Doppelhaushalt, der noch einmal mehr Flexibilität im Vollzug erlaubt.

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Die Stadt gibt die nächsten Jahre mehr Geld aus, als sie einnimmt. Lebt sie über ihren Verhältnissen? Das lässt sich aus den Zahlen so nicht ablesen. Ursache der Defizite sind die skizzierten externen Entwicklungen bei Erträgen und Aufwendungen, welche den Saldo letztlich prägen und belasten. Die Stadt kann diesen Effekten, welche sich zweifellos über hunderte Millionen Euro im Jahr kumulieren, nicht entgegentreten. Das wäre rechtlich nicht möglich und inhaltlich nicht sinnvoll. Im Gegenteil, sie muss versuchen, in schwierigen Zeiten finanziell handlungsfähig zu bleiben und die Verwaltung funktionsfähig zu halten, auch wenn dadurch leider die Kassenkredite ansteigen. Die Sanierung des Haushaltes ist nur in ruhigen Zeiten möglich, das belegen nicht zuletzt die Haushalte der vergangenen Dekade. Ist das Anspruchsdenken der Kölner Politik zu hoch? Nun, es ist zumindest nicht bescheiden.

Geissler

Prof. Dr. René Geißler.

Das Eigenkapital sinkt bis 2027 möglicherwiese um fast eine Dreiviertelmilliarde Euro. Was bedeutet das? Das Eigenkapital ist zunächst einmal nur eine buchhalterische Rechengröße. Die Aussagekraft ist begrenzt, obgleich der Trend in der Stadt Köln natürlich die stark negative Finanzentwicklung widerspiegelt. In NRW gibt es die haushaltsrechtliche Besonderheit, dass das Heimatministerium das Eigenkapital zum Indikator der Haushaltslage erkoren hat. Die Stadt rückt damit stärker in den Fokus und in Abhängigkeit der Kommunalaufsicht. Mit dieser politisch unbequemen Konstellation hat man in Köln viele Jahre Erfahrung.

Auch die Schulden könnten sich verdoppeln. Das sieht in Kombination mit dem sinkenden Eigenkapital nicht gut aus. Wie beurteilen Sie das?

Der Anstieg der Kassenkredite, die Verdoppelung von ein auf zwei Milliarden in den kommenden fünf Jahren, ist tatsächlich gravierend. Über diese Kredite, quasi eine Art Dispo, werden letztlich die hohen Haushaltsdefizite finanziert. Im Gegensatz zum Bundestrend sind diese Kredite bereits in den guten Jahren vor Corona gestiegen, was auf strukturelle Haushaltsprobleme der Stadt hinweist. Das sinkende Eigenkapital ist letztlich das rechnerische Spiegelbild dieser Entwicklung. Hinzu kommt, dass die Phase der Nullzinsen vorüber ist und der Zinsaufwand sprunghaft steigen wird, wie die Haushaltsplanung auch bereits vorsieht. Dies erschwert die Sanierung des Haushaltes weiter.

Zur Person

Prof. Dr. René Geißler ist seit 2020 Professor für öffentliche Wirtschaft und Verwaltung an der Technischen Hochschule Wildau. Vorher arbeitete er ahct Jahre bei der Bertelsmann-Stiftung und war 2021 unter anderem als Autor am Kommunalen Finanzreport beteiligt.

Geißler hat Verwaltungswissenschaften an der Universität Potsdam mit den Schwerpunkten öffentliches Recht, Kommunalverwaltung und Public Management studierte und promovierte mit einer Arbeit zur Haushaltskonsolidierung in Kommunen.

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