Schulen, Wohlfahrtsverbände, KitasBerlin will Unterstützung kappen – Kahlschlag bei Freiwilligendiensten droht

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In einem Klassenraum stehen zwei Freiwillige an einem Tisch mit Schülerinnen.

Pascal Kürten (18) und Marie Fey (18) machen im Humboldt-Gymnasium ein Freiwilliges Soziales Jahr.

Am Kölner Humboldt-Gymnasium leisten Freiwillige wichtige Arbeit. Dass ausgerechnet hier gekürzt wird, will keiner hinnehmen.

Im Humboldt-Gymnasium sind gerade Projekttage zum Thema „Nachhaltigkeit“. Marie Fey (18) und Pascal Kürten (18) sind bei „ihren“ Fünftklässlern, die sich im Kreativraum am Häkeln versuchen. Beide haben gerade Abitur gemacht und leisten hier seit Beginn des Schuljahres gemeinsam mit zehn weiteren jungen Menschen ein Freiwilliges Soziales Jahr in der Übermittagsbetreuung „ÜMI“ ab. Das heißt, sie unterstützen in Zweierteams eine Gruppe Fünft- und Sechstklässler bei den Hausaufgaben, helfen bei der Klassenarbeitsvorbereitung oder bieten AG’s an.

Natürlich würden sie dabei durch ein Team von Hauptamtlichen unterstützt, erläutert Gregor Raddatz, Leiter der Übermittagsbetreuung. Aber die Freiwilligen spielten für die Kinder eine sehr zentrale Rolle: „Sie sind den ganzen Tag da und werden mit der Zeit zu sehr wichtigen Bezugspersonen für die Kinder. Oft entwickelt sich ein besonderes Vertrauensverhältnis, sodass die Kinder auch über persönliche Sorgen und Nöte sprechen. Dabei hilft, dass die Freiwilligen vom Alter her viel näher an den Schülern dran sind.“

Freiwilligendienst: Bundesregierung setzt den Rotstift an

Genau diese Beziehungsarbeit schätzen Marie und Pascal. „Ich habe in dieser kurzen Zeit schon mehr über Kinder gelernt und darüber, wie man sie motivieren kann, als in meinem ganzen Leben davor“, bilanziert Marie. Die beiden haben diesen Freiwilligendienst gewählt, weil sie überlegen, Lehramt zu studieren und herausfinden möchten, ob der Beruf zu ihnen passt.

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Dass diese wichtige Arbeit von jungen Menschen jetzt zur Disposition steht, ist für mich unbegreiflich
Gregor Raddatz, Leiter der Übermittagsbetreuung am Humboldt-Gymnasium

„Dass diese wichtige Arbeit von jungen Menschen jetzt zur Disposition steht, ist für mich unbegreiflich“, sagt Raddatz. „Und das nach Corona, wo doch eigentlich alle sagen, dass es mehr statt weniger Unterstützung geben müsste.“ Fakt ist nämlich, dass die Bundesregierung bei den Freiwilligen-Diensten massiv den Rotstift ansetzen will: Nach den derzeitigen Plänen sollen die Mittel für die Förderung von Freiwilligem Sozialem Jahr (FSJ) und Bundesfreiwilligendienst (BFD) um 113 Millionen Euro gekürzt werden, was einen Rückgang von einem Drittel der Stellen im Freiwilligendienst bedeuten würde.

Viele große Wohlfahrtsverbände wie Caritas oder Diakonie, Organisationen wie Weltwärts, aber eben auch kleine Träger wie die ÜMI am Humbold-Gymnasium oder Grundschulen, die im Offenen Ganztag mit Freiwilligen arbeiten, befürchten den Kahlschlag. Die Sorge ist, dass viele zusätzliche Angebote zur Freizeitgestaltung und zur persönlichen Unterstützung in Alten- und Pflegeheimen, Kitas und Jugendzentren wegfallen.

Zehn Prozent der Schulabgänger leisten einen Freiwilligendienst

Dabei wird der Freiwilligendienst nach der Schule immer beliebter: Gut zehn Prozent der Schulabgänger leisten einen Freiwilligendienst, Tendenz steigend – die meisten nach dem Abitur. Sie wollen nach der Schule ein Jahr etwas ausprobieren, im Pflegeheim mit anpacken, sich für Umweltschutz einsetzen, im Ausland ein Sozialprojekt unterstützen – oder eben in Schulen im Ganztag arbeiten.

Jedes Jahr leisten 100.000 Jugendliche ein Freiwilliges Soziales, ein Freiwilliges Ökologisches Jahr oder einen Bundesfreiwilligendienst. Zuletzt hatte sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sogar dafür ausgesprochen, eine „soziale Pflichtzeit“ für alle einzuführen, um gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken. Auch hatten die Regierungsparteien in ihrem Koalitionsvertrag eigentlich erklärt, dass die Freiwilligen-Dienste gestärkt werden sollen.

Jetzt aber hat das Bundesfamilienministerium angesichts der angespannten Kassenlage für den Haushalt 2024 harte Einsparvorgaben bekommen, die bei den freiwilligen Ausgaben vorgenommen werden sollen. Hier in Köln wollen sie das nicht einfach so hinnehmen, sondern kämpfen. In einem Brief an den Kölner Bundestagsabgeordneten Sven Lehmann, der auch Parlamentarischer Staatssekretär im zuständigen Bundesfamilienministerium ist, haben sie ihren Ärger und ihre Enttäuschung geäußert. Gerade in Zeiten multipler Krisen und der durch Corona verstärkten Erziehungs- und Bildungsdefizite brauche man mehr Freiwillige, nicht weniger, steht darin.

Überall werde über Lehrermangel geklagt und darüber, dass es zu wenig Fachkräfte in den Kitas und zu wenig Sozialpädagogen gebe. Nun werde ein wichtiges Instrument zur Gewinnung junger Menschen für soziale und pädagogische Berufe massiv beschnitten.

Marie und Pascal jedenfalls fühlen sich durch ihren Freiwilligendienst bestärkt, danach auch tatsächlich auf Lehramt zu studieren. „Ich bin mir jetzt sicher“, sagt Pascal. 100.000 Menschen haben bereits die Petition „Freiwilligendienste stärken“ unterzeichnet, um die Einsparungen doch noch zu verhindern. Die Schlussabstimmung über den Haushalt für das kommende Jahr findet im Spätherbst statt.

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