Fussball im Kölner BlücherparkVorwärts, den Spaß nicht vergessen

Bei Wind und Wetter auf dem Aschenplatz im Blücherpark: Martin Öchnser beim Training mit den Jüngsten.
Copyright: Max Grönert Lizenz
Köln – Es soll Kinder geben, die fest daran glauben, dass Martin im Blücherpark wohnt. Irgendwo hinter dem Betonpilz an der Volkswiese. Weil er einfach immer da ist. Bei Wind und Wetter. Egal ob der Staub über den Aschenplatz fegt oder die Bälle beim Training in den Pfützen aufschwimmen. Auf ihren Trainer ist Verlass. An jedem Nachmittag. Martin kommt immer mit dem Fahrrad, im orangefarbenen Kapuzenpulli, das Vereinswappen von Vorwärts Blücherpark auf der Brust, Hütchen, Leibchen und Ballpumpe im Gepäck. Und hat immer gute Laune.
Seit fast 15 Jahren geht das schon so. Angefangen hat alles, weil ein paar Eltern, deren Kinder in einem ganz normalen Verein Fußball spielten, aber dort irgendwie nicht glücklich waren, per Anzeige in der Stadt-Revue einen Sportstudenten suchten, der die Gruppe übernimmt und einmal in der Woche trainiert. Martin Öchsner, heute 42 Jahre alt, war zwar kein Sportstudent, sondern angehender Sozialarbeiter, aber der einzige, der auf die Annonce antwortete. Er bekam den Job. Alles Weitere, sagt er, habe sich im Laufe der Jahre ergeben.
Spielen wie im kleinen Stadion
Den Ball hochhalten so oft es geht, Dribblings eins gegen eins. „Jetzt versucht mal den Skorpion“, ruft Öchsner seinen Kindern zu. Die sind mit Feuereifer bei der Sache. Was Martin sagt, ist Gesetz. Auf einem Sportplatz, der völlig aus dem Blickfeld der Stadt verschwunden ist, weil seine Maße für den normalen Spielbetrieb nicht ausreichen, der aber allein durch seine verwunschene Lage den Eindruck vermittelt, als spiele man in einem kleinen Stadion.
„Das ist einer der schönst gelegenen Plätze, die ich überhaupt kenne.“ Öchsner hat die Mütze tief ins Gesicht gezogen. Wie an jedem Wochentag wird er auch heute mit zwei Gruppen trainieren. Mit den Kleinen ab fünf Jahren um halb drei, die Großen folgen eine Stunde später. Im Winter geht das nicht anders. Es gibt keine Trainingsbeleuchtung, nicht einmal einen Unterstand geschweige denn ein Vereinsheim mit Umkleiden oder Duschen. Trotzdem kommen die Kinder in Scharen und bringen sogar die Bälle mit.
Lesen Sie mehr auf der nächsten Seite.
150 Kinder kicken in zehn Gruppen bei Vorwärts Blücherpark. Alle werden von Öchsner betreut. „Ganz klar“, sagt er und lacht. „Das hier ist eine One-Man-Show.“ In den 15 Jahren sei er nur einmal so krank gewesen, dass das Training ausfallen musste. Die ersten Jahre habe er nicht ahnen können, „dass die Nachfrage mal so groß sein und ein Vollzeitjob daraus werden könnte. Das hat sich einfach ergeben. Da haben dann Geschwisterkinder angefragt, sie wollen auch mitspielen. Dann gab es irgendwann mal eine zweite Gruppe, und im Laufe der Zeit kamen immer wieder neue Kinder hinzu, deren Eltern davon gehört hatten. So kam dann eine Gruppe zur anderen.“
Es geht um die Lust am Spiel
Was ist das Besondere an Vorwärts Blücherpark? Auf den ersten Blick unterscheidet sich das Training so gar nicht von herkömmlichen Einheiten in jedem x-beliebigen Sportverein. Und doch ist es völlig anders, weil eine andere Philosophie dahinter steht. Öchsner geht es nicht um Sieg und Niederlage. „Das langweilt mich eher.“ Es geht um die Lust am Spiel. Dabei hat er Leistungsdenken gar nichts einzuwenden.. „Ich erwarte im Training schon, dass wir konzentriert arbeiten. Dass wir mit dem Kopf dabei sind und der Ablauf stimmt.“ Mit seiner Einstellung zum Kinderfußball ist er keineswegs ein Exot.
Bei allen Trainer-Lehrgängen, die er absolviert hat, werde genau das gepredigt. Da komme niemand auf den Gedanken, den Spielern einer F-Jugendmannschaft einzutrichtern, dass sie unbedingt Meister werden muss. „Man kann keinen Achtjährigen auf Leistung trimmen. Es geht um ein Training, dass Spaß, Spiel und Ball orientiert ist. Ungewöhnlich ist für mich eher, dass sich das im Vereinsfußball in keiner Weise widerspiegelt und die immer noch an dem klassischen Modell festhalten.“
Lesen Sie mehr auf der nächsten Seite.
Vorwärts Blücherpark ist komplett anders organisiert als ein herkömmlicher Verein. Trainiert wird einmal in der Woche, an Samstagen organisiert der Trainer interne Turniere, zu denen sich die Kinder je nach Lust und Zeit anmelden können. Das alles kostet 20 Euro pro Monat. Damit hat Öchsner eine Marktlücke erschlossen. Reich kann er damit nicht werden, „aber das wäre mir als Sozialarbeiter ähnlich gegangen“. Viele Eltern schicken ihre Kinder zu ihm in den Blücherpark, weil diese Art des Fußballs nicht mit den vielen Verpflichtungen wie Training und Meisterschaftsspielen an den Wochenenden verbunden ist. „Das passt zu den Bedürfnissen der Familien. Es bleibt Zeit für andere Hobbys. Nicht jeder kann oder will es sich leisten, am Wochenende einen halben Tag für ein Spiel zu opfern.“
Öchsner hat das Ziel, den Kindern die Grundlagen zu vermitteln, die es braucht, um ein Leben lang mit Spaß Fußball spielen. Und deshalb erinnert bei seinem Training auch vieles an den immer wieder totgesagten Straßenfußball, dem so viele hinterher trauern. Die Spielstärke der Mannschaften wird möglichst austariert, damit es immer spannend bleibt. „Wir verändern zur Not auch mal die Regeln zum Nachteil einer Mannschaft. Wenn sie 3:0 führt, macht sie das eigene Tor größer und das andere kleiner. Ich will jetzt nicht noch zehn Tore mehr schießen, sondern ein spannendes Spiel haben. Das halte ich für total sinnvoll. Es geht nicht darum, den Gegner wegzuhauen.“ Der Torwart darf auch mal im Feld kicken, „wenn ihm das mehr Spielfreude bringt. Auch wenn das seine Mannschaft im Moment vielleicht schwächt“.
Noch keinen weggeschickt
Sagt der Trainer und muss schnell wieder ein paar Bälle aufpumpen. Zwischendurch spricht er davon, dass Vorwärts Blücherpark für ihn der einzige Weg war, sein Hobby zum Beruf zu machen. Und dass er noch keinen weggeschickt habe. „Es gibt keinen anderen Sport, bei dem man aus seinen persönlichen Möglichkeiten so viel machen kann“ sagt Öchsner. „Jeder kann Fußball spielen. Ob groß, klein, dick, dünn, laufstark, laufschwach. Beim Training kommt es nur darauf an, aus seinen Möglichkeiten das Beste zu machen und sich nicht immer mit anderen zu vergleichen. Ich mache meist so ein Stufenmodell. Ball hochhalten zum Beispiel. Wer die Anforderung schafft, geht dann halt zur nächsten Stufe. Und ich versuche immer gegenzuhalten, wenn die Kinder sagen, das klappt aber nicht. Dann sage ich, wenn Du heute von vier auf zehn kommst, ist das doch ein super Ergebnis. Egal, ob ein anderer schon 30 schaffst. Guck’ einfach nach Dir, dass Du weiterkommst.“
Martin Öchsner wohnt nicht im Blücherpark. Sondern mitten in Ehrenfeld. Aber irgendwie ist er hier zu Hause. „Wenn ich pfeife und die kommen alle angerannt, dieses Lachen. Alle freuen sich, dass es losgeht.“ Es sei einfach wundervoll, die Kinder zum Teil über viele Jahre zu begleiten. „Ich sehe jeden Trick das erste Mal. Wie sie sich entwickeln, ihre Rollen finden, weiterkommen, älter werden.“ Keine Frage. Martin Öchsner ist ein glücklicher Mensch. Wer in Ehrenfeld Kinder hat und sich für Fußball interessiert, weiß sein Angebot zu schätzen. Weshalb es manchmal eine Warteliste gibt, aber sich letztlich irgendwie alles so fügt, dass er noch kein Kind ablehnen musste, das Freude am Fußball hat.