Banküberfall am Kölner DomAls sich zwei Polizisten selbst als Geiseln eintauschten

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Ein Geiselnehmer trägt Lösegeld in einen Wagen während der Geiselnahme am Dom.

  • Dieser Text stammt aus dem neuen Buch von Bestsellerautor Bernd Imgrund „Köln Kriminell. True Crime“, in dem er 15 spektakuläre Kriminalfälle seit 1945 neu aufrollt.
  • Das Buch ist im Greven Verlag erschienen und kostet 16 Euro.

Köln – „Der Banküberfall in Köln glich einem großen Karnevalsumzug“, schrieb das DDR-Zentralorgan Neues Deutschland. Aus dem Bericht über den „Alltag des Kapitalismus“ spricht genüssliche Häme. Aber auch der westdeutsche Spiegel zog die Fastelovendskarte: Die Aktion sei ganz „nach dem Geschmack der Kölner Bürger“ abgelaufen, die „im Fenster lagen, als ob de (sic!) Zuch (sic!) kütt“.

Dem Geschehen angemessen waren diese Kommentare nicht. Denn, was sich da am 27. Dezember 1971 auf der Kölner Domplatte abspielte, war fern vom Fasteleer. Schließlich ging es hier nicht um Kamelle und Strüüßjer, sondern um Leben und Tod. Und am Ende starb dann auch wirklich jemand.

Der Überfall

Drei bewaffnete Männer stürmten an jenem Montag gegen 10.40 Uhr die Deutsche Bank am Domkloster 2. Die Filiale im Blau-Gold-Haus war erst im Vorjahr eröffnet worden. Zum Zeitpunkt des Überfalls befanden sich zwei Kunden und fünf Angestellte in den Räumen des Geldinstituts. Hans Könen (damals 27) war als Springer zum Dom geschickt worden. „Es war kurz nach Weihnachten, und wir hatten noch Plätzchen gegessen. Danach habe ich mit einer Kundin telefoniert, als es plötzlich knallte. Ich dachte noch, es seien frühe Silvesterraketen“, erinnerte er sich später. Schnell wurde ihm jedoch klar, dass es sich hier um echte Böller handelte. „Ich habe der Kundin am Telefon noch sagen können, dass wir überfallen werden.“ Auch Theo Grein (33) stand nur vertretungsweise an der Kasse der Bank. Er habe sich „furchtbar erschrocken“, erzählte er der Presse. „Die haben erstmal in die Decke geschossen und dann sofort alle an die Wand gestellt.“ Damit war klar: Da standen nicht wie so oft verzweifelte Familienväter mit Schreckschusspistolen, sondern echte Kriminelle. „Entschlossene Typen mit harten Methoden, (…) mit Waffen wurde nicht mehr nur gefuchtelt“, wie der Spiegel in der Woche darauf schrieb. Robert Roth, Leiter der Filiale, saß beim Kaffee, als es passierte. „Ich drückte mich zunächst an die Wand, um abzuwarten“, sagte er. Aber viel Zeit blieb ihm nicht, denn kurioserweise diente der Aufenthalts- zugleich als Tresorraum: „Sekunden später kam einer der Räuber mit dem Kassierer und zwang uns, den Geldschrank zu öffnen.“

Die Täter hatten das Datum des Überfalls gut gewählt. Der Kölner Einzelhandel hatte seine Weihnachtseinkünfte abgeliefert, die Kasse war prall gefüllt. Was die Gangster allerdings nicht ahnen konnten: Beinahe gleichzeitig wurde ganz in der Nähe ein Geldtransport der Landeszentralbank abgewickelt, der von einem Haufen Polizisten gesichert wurde. Außerdem hatte ein benachbarter Juwelier die Schüsse in der Bank gehört und sofort die 110 angerufen. Binnen weniger Minuten war die Filiale umzingelt. Mit Maschinenpistolen bewaffnete Beamte lagen schussbereit hinter sämtlichen Blumenkübeln der Domplatte, ein Polizeihubschrauber kreiste über dem Gelände. Mit nicht immer gebührendem Abstand versammelten sich jene Tausende von Schaulustigen, die die Zeitungen zum Karnevalsvergleich animierten. „Diese Polizeimethoden“, empörte sich ein etwa 50-jähriger Mann, weil die Beamten ihn nicht näher an den Tatort heran ließen. Ein Einbeiniger hingegen nutzte eine Unaufmerksamkeit der Polizisten, um slapstickreif auf die Domplatte zu humpeln. „Lasst mich da mal rein, ich mach das schon“, rief er, bevor man ihn zurückdrängte.

Mit ziemlicher Sicherheit hatten die schwer bewaffneten Gangster nicht geplant, Geiseln zu nehmen. Die schnelle Belagerung jedoch hatte ihnen keine andere Wahl gelassen: „Ihnen blieb gar nichts anderes übrig, wenn sie aus dieser Sackgasse hinaus wollten“, sagte ein Polizeisprecher später. Robert Roth bestätigte das: „Jetzt wird es hart“, habe Bandenkopf Kurt Vicenik gesagt, als er das Polizeiaufgebot vor der Filiale bemerkte.

Polizeibeamte als Geiseln

Um die Täter an der Flucht zu hindern, hatten Scharfschützen drei Reifen des VW 1500 zerschossen, mit dem sie vorgefahren waren. Schon jetzt stand Vicenik und seinen Komplizen, den Franzosen Charles Donadio (34) und François Mattei (24), das Wasser bis zum Hals. Ihre Tarnpflaster im Gesicht hatten sich gelöst, „weil sie so schwitzten“, erinnerte sich Hans Könen. Weil die beiden Franzosen kein Deutsch sprachen, fühlten sie sich umso unbehaglicher. „Ich weiß bis heute, dass einer der Bankräuber sich an meinen Zigaretten bediente. Atika waren das.“

Die Zeit verstrich. Filialleiter Roth schickten die Gangster zum Auto, um eine Aktentasche mit Butterbroten zu holen. Das Kundenehepaar wurde entlassen, weil die Frau kurz vor einem Nervenzusammenbruch stand. Hans Könens 16-jährige Kollegin Christine Brauner brach in Tränen aus. Als er darum bat, sie ebenfalls laufen zu lassen, schlug ihm einer der Bankräuber mit dem Lauf seiner Waffe in den Nacken und befahl ihm, sich hinzulegen. „In diesem Moment ist mein ganzes Leben an mir vorbeigeflogen. Ich war mir sicher: Das war es jetzt.“

Inzwischen war auch Kölns Kripochef Werner Hamacher eingetroffen, der sich spontan als Geisel zur Verfügung stellte. Er werde alles dafür tun, dass kein Blut fließe, beschwor er die Gangster. Und die ließen sich auf seinen Vorschlag ein: Anstelle der Bankangestellten akzeptierten sie Hamacher (46) und Schutzpolizei-Oberrat Hans Kraus (51) als Faustpfand. In der Bank mussten sich die beiden bis auf die Unterhosen ausziehen, um zu beweisen, dass sie keine Waffen bei sich trugen. „Das müssen wir hier erleben: unser Chef in den Händen von Schwerverbrechern“, empörte sich ein Polizist vor Ort. „Bankräuber, die vor Tausenden Zuschauern den Kripo-Chef der Stadt fesseln und herumkommandieren“, polterte auch der Spiegel.

Kurz nach der Auslösung wird Hans Könen von den Ganoven mit einem Zettel auf die Straße geschickt: „Wir haben abgesägte Schrotflinten, ihr wisst ja, wie das streut“, steht darauf. Als er bei den Polizisten ankommt, bricht Könen zusammen. Der Portier des Domhotels bringt ihn wieder zu Kräften: „An der Bar gab es dann erstmal einen Remy Martin, oder gleich zwei. Das hatte ich vorher nie getrunken.“ Weil ihr Fluchtauto fahrunfähig war, hatten die Räuber nach einem Ersatz verlangt. Den ersten Wagen, einen zitronengelben VW 411, lehnt Vicenik nach kurzer Inspektion ab. Kurz vor 12 Uhr wird deshalb ein grauer Ford Transit aus den Beständen der Deutschen Bank vorgefahren. Vicenik schleudert den Feuerlöscher und das Warndreieck hinaus. Dann besteigen die Gangster und ihre Geiseln das Auto. In einem mitgebrachten Koffer lagern 311.000 Deutsche Mark. Es ist der Auftakt zu einer 53-stündigen Irrfahrt.

Die Flucht

In der Bundesrepublik stehen die Chancen für Bankräuber damals nicht schlecht. Im Vorjahr 1970 waren lediglich 46 Prozent aller Überfälle aufgeklärt worden. Die Gesamtzahl der Banküberfälle hatte im Laufe der 1960er drastisch zugenommen. 321 zählte man allein 1971 – mit Köln als Finale. Geiselnahmen hatte es bis dato allerdings erst einmal gegeben: im August 1971 in München, wo es die Täter ebenfalls auf eine Filiale der Deutschen Bank abgesehen hatten.

„Die beiden Polizisten waren damals meine Lebensretter, denn zuerst wollten die Gangster mich und das Lehrmädchen mitnehmen“, sagte der Kölner Kassierer Grein im Nachhinein. Dass seine Todesangst begründet war, belegt der Ausgang des Münchner Überfalls. Dort waren einer der Täter und eine weibliche Geisel bei einer von der Polizei eröffneten, wilden Schießerei getötet worden. Nur fünf Tage vor den Kölner Ereignissen hatte zudem der Kaiserslauterer Polizist Herbert Schoner sein Leben bei einem Banküberfall verloren. Er hatte das Fluchtauto der erst kurz zuvor gegründeten Rote Armee Fraktion kontrollieren wollen und war von den Terroristen erschossen worden.

Die Kölner Täter machten sich gegen 12.30 Uhr über den Wallrafplatz davon und auf den Weg nach Süden. Während Geisel Kraus auf dem Beifahrersitz Platz nehmen musste, bugsierte man den zunächst gefesselten Hamacher hinter das Steuer. Der Kriegsveteran war in seinem Leben schon einmal angeschossen worden: am 29. August 1944 in Skopje/Mazedonien, als damals 20-jähriger Soldat an der Ostfront. Seit 1968 fungierte der gebürtige Düsseldorfer als Kölner Kriminaldirektor. Wie sein Kollege Kraus bemerkte er schnell, dass die Täter keineswegs so abgebrüht waren, wie sie im ersten Moment wirkten. Einen großen Fehler hatte Bandenchef Vicenik bereits vor dem Überfall begangen, als er seinen Personalausweis in seinem Kölner Hotel liegenließ.

Auch auf der Flucht wirkt er angeschlagen. Augenzeugen von der Domplatte hielten Vicenik wegen seines schwankenden Ganges für betrunken. Im Auto läuft dem übergewichtigen Österreicher pausenlos der Schweiß übers Gesicht. Er habe „unentwegt Baldriantropfen und unzählige Tabletten gegen sein Herzleiden geschluckt“, so Hamacher.

Das Fluchtauto wird zunächst von einem ganzen Konvoi verfolgt – Polizisten, Journalisten und Neugierige haben sich an die Fersen der Entführer geheftet. Die Gangster lassen sich von einem Polizeiauto durch die Weinstadt Bingen lotsen und tanken mehrmals. Bezahlen muss stets Kripochef Hamacher, auch für Cola und Zigaretten kommt er auf.

Die Stimmung sei während der gesamten Tour gereizt gewesen, erzählten die beiden Geiseln später. Vor allem die beiden Franzosen seien mehrmals „fast durchgedreht“. In einem Fall waren sie drauf und dran, einen Reporter zu erschießen. Der Mann sei vor ihnen aus seinem Auto gesprungen, um das Fluchtfahrzeug zu fotografieren. Um die Atmosphäre zu beruhigen, hätten die Beamten nach geeigneten Gesprächsthemen gesucht. Zwischendurch habe man mit den Entführern sogar über deren Zukunftspläne sprechen können. Die Waffe in der Hand, erzählte Vicenik den Beamten von der bürgerlichen Idylle, die er sich mit der Beute erschaffen wollte. Sein Anteil würde wohl reichen, um „zehn bis zwölf Jahre ein ruhiges, redliches Leben zu führen“, glaubte er. Übereinstimmend berichten Hamacher und Kraus später, dass die Bankräuber nach dem Zählen des Geldes überaus enttäuscht gewesen seien.

Kraus erntete einen Lacher, als er um 17 Uhr darauf hinwies, dass man als Beamter nun eigentlich Feierabend habe. Aber die Todesangst der beiden Geiseln konnte auch das lockere Parlieren nicht vertreiben. „Wenn man ein Gewehr im Rücken hat, kann schon eine falsche Bewegung genügen“, sagte Hamacher. „Wir hatten ständig Angst, dass die Gewehre unbeabsichtigt losgingen.“ Um abrupte Bremsmanöver zu vermeiden, sei er mehrmals über rote Ampeln gefahren.

Südlich von Saarbrücken wird die Sache dann unübersichtlich. Ganz offenbar haben die Täter entweder gar keinen Fluchtplan vorbereitet oder sind von den Ereignissen völlig überrumpelt worden. Am Schlagbaum Goldene Bremm an der französischen Grenze reicht es Werner Hamacher schließlich: „Bis hierher und nicht weiter“, habe er den Räubern zu verstehen gegeben. Weder Kraus noch er wollen den Wagen auf französisches Gebiet steuern. Man sei dann zurück Richtung Saarbrücken gefahren. Kurz nach 20 Uhr parken die Entführer das Auto in einem Waldstück bei Rohrbach. Die beiden Geiseln werden entlassen, die Flucht soll nun offenbar zu Fuß weitergehen.

Als Hamacher und Kraus zurück zur Straße finden, hält dort direkt das erste Auto für sie an. Darin: ein Polizeikollege. Nach acht langen Stunden in der Gewalt der Gangster befinden sie sich endlich in Sicherheit.

Der Schuss

Die Verfolger haben unterdessen die Spur der Verbrecher verloren. Spekulationen über ihren weiteren Fluchtweg schießen ins Kraut. Ein Spaziergänger will einen Fesselballon gesehen haben, der sich gen Westen bewegte. In der Presse ist sogar von geheimen Bunkergängen des ehemaligen Westwalls die Rede, durch die das Trio unterirdisch nach Frankreich gelangen wolle. Tatsächlich jedoch verleben die Gangster die Nacht und den folgenden Dienstag im Vereinsheim des Hundesportclubs Limbach im Kreis Homburg. Die Kälte und der Hunger treiben sie irgendwann nach draußen. Wieder stehlen sie einen Wagen und nehmen eine Geisel, den 21-jährigen „Maschinenarbeiter“ Karl Friedrich Bach.

Fast 400 Polizisten und drei Hubschrauber durchkämmen am frühen Nachmittag des 29. Dezember Land und Luftraum des Saarlandes. Als ein Helikopter den Fluchtwagen erspäht, heftet sich erneut eine ganze Autoschlange an die Fersen der Gangster. Ein über die Mediathek des Saarländischen Rundfunks zugänglicher Nachrichtenfilm bezeugt den seltsamen Zug. Wieder wollen die Gangster ihre Geisel gegen einen möglichst hochrangigen Polizisten austauschen. Werner Hamacher in Köln erklärt sich bereit, ins Einsatzgebiet zu fliegen und erneut mit den Tätern zu verhandeln. Noch einmal als Geisel will er jedoch nicht fungieren. Die Sache zerschlägt sich schließlich. Auf einer waldreichen Anhöhe bei Baltersweiler, 40 Kilometer nördlich von Saarbrücken, kommt es zum Showdown.

Ebenfalls per Helikopter ist Polizeirat Julius Groß, Leiter der Saarbrücker Sonderkommission zum Fall, eingeflogen worden. Nach seiner Ankunft beginnen gegen 15.30 Uhr erneute Verhandlungen mit den Geiselnehmern. Wer heute die kurze Filmaufnahme betrachtet, fühlt sich an zwei Duellanten aus einem Western erinnert. Ähnlich schilderte es seinerzeit auch der anwesende Reporter der Kölnischen Rundschau: „Lässig die Maschinenpistole in der Hand haltend steht der Bankräuberboss auf der Straße. (…) Nur seine hastigen Züge an der Zigarette verraten etwas von seiner Nervosität.“

Ob Groß bewaffnet ist, scheint Vicenik nicht zu kümmern. Polizisten bilden einen Kordon um die beiden, mit aller Kraft müssen sie die Schaulustigen zurückdrängen. Während Vicenik auf Groß zugeht, sitzen die zwei Franzosen mit der letzten Geisel im Auto. Die Atmosphäre scheint trotz der bedrohlichen Umstände relativ entspannt, als plötzlich ein Schuss fällt. Polizist Groß schilderte den Verlauf später auf einer Pressekonferenz aus seiner Sicht. Aus dem Augenwinkel habe er beobachtet, wie sich der Franzose auf dem Vordersitz zum Kollegen im Fond umgewandt habe. Diese Gelegenheit nutzte Groß, um seine Waffe zu ziehen und Vicenik zur Aufgabe zu zwingen. „Ich habe die Pistole auf ihn gerichtet, und in dem Moment hebt er den Arm und will schießen. In diesem Augenblick habe ich dann auch geschossen.“

„Vicenik dreht sich halb zur Seite – und fällt zusammengekrümmt auf den Asphalt“, schrieb die Kölnische Rundschau. Gleichzeitig bemerkt Groß, dass die Geisel vorn am Steuer in Deckung gegangen ist. Dadurch habe er freies Schussfeld auf die Täter im Wagen gehabt. Angesichts der auf sie gerichteten Waffen ergeben sich Donadio und Mattei. Der 21-jährige Gekidnappte wird unverletzt befreit, während Bandenboss Vicenik wie leblos auf der Straße liegt. „Sein Blut färbt einen Richtungspfeil auf der Fahrbahn rot“, heißt es im Augenzeugenbericht. Der Schuss aus der Polizeipistole ist in Kurt Viceniks Magen eingedrungen, hat die Leber durchlöchert und ist nahe der Wirbelsäule steckengeblieben.

Der Haupttäter

Nach und nach waren während der zweieinhalb Fluchttage einige Details aus Viceniks Vorleben bekanntgeworden. Er wurde 1927 als uneheliches Kind einer 18-Jährigen in Wien geboren, wuchs bei verschiedenen Verwandten auf und geriet früh auf die schiefe Bahn. Diebstähle, Raub, Erpressung und Einbruch zählen zu seinen Jugenddelikten. Wegen erpresserischen Raubes wanderte der 20-Jährige für sieben Jahre hinter Gitter. Später scheint es jedoch in seinem Leben auch ruhigere Phasen gegeben zu haben. Ebenfalls in Wien betrieb er zeitweise einen Obstladen, später in Köln eröffnete er einen Kiosk. Aus der 1962 geschlossenen Ehe mit einer Düsseldorfer Verkäuferin gingen zwei Söhne hervor. Vicenik war bereits geschieden, als es 1968 zu einem Banküberfall in Düsseldorf kam, der als „Einbruch der Wühlmäuse“ bekannt wurde. Die unbekannten Gangster hatten sich einen Tunnel bis unter den Tresorraum gegraben und 400.000 Mark erbeutet. Der Tipp für den Coup soll von Vicenik gekommen sein, aber damals hatte man ihm nichts nachweisen können. Dass er, wie von einigen Zeitungen kolportiert, gute Kontakte in die Unterwelt von Marseille gehabt habe, wies die französische Polizei zurück. Vicenik sei in diesem Milieu höchstens „ein kleiner Fisch“ gewesen. Vor dem Kölner Überfall war er offensichtlich so abgebrannt, dass er seine Uhr und weitere Wertsachen in einem Pfandhaus hatte versetzen müssen.

Die Folgen

Bandenchef Kurt Vicenik starb fünfzehn Tage nach der Festnahme an Kreislaufversagen infolge seiner Schussverletzung. Die Aufnahme, auf der Polizist Groß mit gestreckter Waffe über dem verletzten Vicenik kniet, wurde zum Weltpressefoto des Jahres 1972 gekürt. Die beiden Franzosen Charles Loran Donadio und François Anton Mattei wurden zurück nach Köln gebracht und zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Als man den Koffer der Diebe öffnete, fehlten von dem geraubten Geld nur wenige Tausend Mark.

Beim Bankraub in München hatte ein geltungssüchtiger Staatsanwalt den verheerenden Schießbefehl gegeben. Auch im Kölner Fall schoss die Polizei, obwohl sich noch eine Geisel in der Gewalt der Täter befand. Julius Groß mochte tatsächlich den Eindruck gehabt haben, Herr der Lage zu sein. Aber ihm hatte auch das Glück zur Seite gestanden. Denn wie sich später herausstellte, hatte die junge Geisel nur durch Zufall überlebt. Die Untersuchung des Tatorts ergab, dass aus dem Fluchtauto heraus zwei Schüsse abgefeuert worden waren. Laut den Ermittlern hatten sie wohl dem flüchtenden Karl Friedrich Bach gegolten. Er erlitt einen schweren Schock.

Wie die Austauschgeisel Hans Kraus wurde auch sein Kollege Werner Hamacher für seinen Mut mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse belohnt. Einige Jahre später stieg letzterer zum LKA-Chef von Nordrhein-Westfalen auf. Dank mehrerer Bücher wurde er ein viel gelesener Experte für Organisierte Kriminalität. Kraus wiederum überließ der Nachwelt bei seiner Pensionierung 1981 die damalige Waffe des Haupttäters. Kurt Viceniks seltenes Revolver-Gewehr des Kalibers 357 Magnum lagert heute im Depot des Kölnischen Stadtmuseums.

Die Überfälle von München und Köln lösten Debatten über angemessene Polizeitaktik aus. Der nordrhein-westfälische Innenminister Willi Weyer warnte vor einer erneuten Diskussion über die Todesstrafe angesichts der neuen Dimension von gewaltsamen Geiselnahmen. Die Bild malte noch während der Verfolgungsjagd den Teufel an die Wand: „Seit zwei Jahren läuft die Baader-Meinhof-Bande frei herum, eine breite Spur von Blut und Verbrechen hinter sich lassend. (…) Seit 48 Stunden narren die drei Kölner Bankräuber ihre Verfolger. (...). Wir dürfen nicht so weit kommen, dass in unserem Rechtsstaat jeder jeden kidnappen kann. Die Bundesrepublik darf nicht zu einem riesigen Chicago werden.“

Die Politik reagierte prompt. Nach den Münchner Ereignissen war am 17. Dezember 1971 der Tatbestand „erpresserischer Kindesraub“ auf „erpresserischen Menschenraub“ erweitert und mit Freiheitsstrafen bis 15 Jahren belegt worden. Und schon im Folgejahr wurden − nach dem Terroranschlag bei den Olympischen Spielen 1972 − die ersten Spezialeinsatzkommandos (SEK) gegründet. Aber die Geschichte wiederholte sich dennoch. Der Überfall von 1971 hätte nicht zuletzt als Blaupause für ein sehr ähnlich gelagertes Szenario von 1988 dienen können: die Geiselnahme von Gladbeck. Offenbar jedoch hatten die Behörden nicht dazugelernt. Wieder ließen sie sensationslüsterne Gaffer und Journalisten in unmittelbare Nähe der Täter, wieder starben Unschuldige.

Die überlebten, litten zum Teil lange. Eine Betreuung der Opfer seitens der Behörden war damals noch nicht vorgesehen. So berichtete der Bankangestellte Hans Könen, dass er schon am nächsten Tag wieder zur Arbeit anzutreten hatte. „300 Mark Schmerzensgeld haben wir bekommen. Psychologen hat man damals nicht eingesetzt.“ Könen gelang es zunächst, die Ereignisse zu verdrängen. Ein Jahr später jedoch begannen seine Nerven plötzlich zu flattern. Erst eine vierwöchige Reha brachte ihn wieder in die Spur. Kassierer Theo Grein wiederum kämpfte ein Leben lang mit seinen bösen Erinnerungen. „Bis heute kann ich mir keinen Krimi im Fernsehen angucken, da läuft es mir eiskalt den Rücken runter“, erzählte der langjährige Ortsvorsteher von Dürscheven bei Zülpich im Jahr 2012 einem Reporter. Immerhin: Könen und Grein konnten im Nachhinein auch lachen über jene Verbrecher, die sie traumatisiert hatten. Beide erzählten gern von Haupttäter Vicenik, der sich „oben in seinen Blaumann ein Tablett mit Münzen schüttete, die dann an den Hosenbeinen wieder rausfielen.“ Könen gönnt sich bei besonderen Anlässen stets einen Remy Martin – wie einst im Domhotel. Und Kassierer Grein verdankt den drei Räubern sogar einen persönlichen Rekord: „Die 311.000 Mark waren die höchste Summe, die ich jemals ausgezahlt habe.“

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