Forscher über Gewalt auf Kölner Ringen„Unter jungen Menschen ist es cool, sich mit Messern zu bewaffnen“

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Polizeieinsatz auf dem Hohenzollernring

Polizeieinsatz auf dem Hohenzollernring (Symbolbild)

Sozialpsychologe Andreas Zick von der Uni Bielefeld ist Konfliktforscher. Die Messerattacken auf den Kölner Ringen ordnet er gesellschaftlich ein.

Herr Zick, wie schauen Sie als Gewaltforscher auf das Phänomen von eskalierenden Konflikten in Innenstädten wie aktuell in Köln?

Prof. Andreas Zick: Wir mahnen seit vielen Jahren, dass gerade in den Städten, in denen es immer enger wird, immer mehr Menschen Orte aufsuchen, in denen sich regelmäßig eine aggressive Stimmung ergibt, die räumliche Gewaltprävention gestärkt werden muss.

Was heißt das konkret - auch für Köln?

Nach der Kölner Silvesternacht 2015/16 haben wir für Köln 2017/18 ein umfassendes Präventionskonzept entwickelt: Es wurden Verbotszonen für Böller eingerichtet, mit allen Menschen und Geschäften vor Ort sind Gespräche geführt worden, große Menschenansammlungen sind durch Raumeinteilung kontrolliert worden. Dazu haben wir uns nach Präventionskonzepten zur kommunalen Kontrolle orientiert, wie es sie im Ausland gibt.

Die Gewalt in Form von Messerattacken hat nicht zugenommen. Sie beobachten aber trotzdem neue, gewaltbereite Milieus.

In der Coronazeit haben an vielen Stellen Aggressionen und Gewalt zugenommen. Viele Menschen haben sich im Zuge von Verunsicherungen und Ängsten mit Messern und anderen Kleinwaffen bewaffnet. Darunter sind psychisch belastete Menschen, es gibt die Suchtthematik, die aggressionssteigernd wirkt. Bei vielen hat sich die Stimmung breit gemacht: Ich will meine Freiheit maximal durchsetzen, ich will Spaß und wer das stört, den greife ich an.

So ein Verhalten ist gerade an sogenannten Hotspots wie den Kölner Ringen zu beobachten. Halten Sie Waffenverbotszonen für sinnvoll?

Zunächst sind Waffenkontrollen wichtig. Die Bundesregierung nimmt das jetzt ernster als zuvor, auch wenn Kontrollen extrem schwer sind. In Deutschland ist die Zahl der legalen wie illegalen Waffen hoch. Auch unter hochaggressiv orientierten Personen wie Rechtsextremen. Das haben wir aus Sicht der Wissenschaft schon im Jahr 2012 betont. Da war von „Flüchtlingskrise“, in deren Folge sich auch in der bürgerlichen Mitte viele mit Schreckschusspistolen „bewaffnet“ haben, noch keine Rede. Waffenverbotszonen sollten eingerichtet werden, wenn zu beobachten ist, dass bei Events oder in bestimmten Räumen die Aggressionsbereitschaft besonders hoch ist. Für die Kölner Silvesternacht 2017/18 haben wir für eine Verbotszone rund um den Dom gekämpft - nur muss sie dann auch kontrolliert werden.

Es gibt noch keinen guten Mechanismus, wie psychisch hoch belastete oder extrem gewaltorientierte Personen besser kontrolliert werden könnten
Prof. Andreas Zick

Verbotszonen sind generell schwer kontrollierbar. Wie lässt sich das Risiko von Übergriffen noch reduzieren?

Es gibt noch keinen guten Mechanismus, wie psychisch hoch belastete oder extrem gewaltorientierte Personen besser kontrolliert werden könnten. Das Attentat im März 2023 unter den Zeugen Jehovas, die rechtsextremen Terroranschläge von Halle, Hanau und an anderen Orten zeugen davon, dass bestimmte Menschen zu leicht an Waffen kommen. Hier liegt ein wichtiger Hebel.

Sehen sie Veränderungen in den Milieus, in denen sich Menschen bewaffnen?

Die Waffenbeschaffung ist weit in die Mitte gerückt. Das liegt an den Unsicherheitsgefühlen, die an vielen Stellen geschürt werden, auch wenn die Unsicherheit unbegründet ist. Im Zuge der Zuwanderung von Geflüchteten 2015/16 haben Geschäfte einen Trend in allen Schichten beobachtet. Unter jungen Menschen ist es in Teilen heute cooler als früher, sich mit Messern zu bewaffnen. Es gibt einen Sicherheitspopulismus, der Menschen auch direkt suggeriert, dass sie sich zur Wehr setzen sollen. Und offensichtlich kann man mit Waffenverkäufen auch gute Geschäfte machen.

Allein auf den Kölner Ringen kam es im vergangenen Jahr zu mehr als zehn Messerattacken. Worauf deutet das hin?

Die Messerangriffe zeigen, dass viele Menschen mit Waffen vor die Tür und zu Events gehen. Das muss gründlich untersucht und recherchiert werden. Insgesamt steigt nicht unbedingt die Gewalt in der Gesellschaft. Daher muss untersucht werden, ob sich hier so etwas wie eine neue Alltagskultur entwickelt - und welche Rolle Waffen dabei spielen.

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