Glauben in KölnEin Gott für alle

Die Bahai kennen keine Liturgie – gesungen wird während des Neujahrsfests viel.
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Köln – Kein Klerus, kaum Riten, keine Heiligenbilder, kein Prunk, kein Pomp. Beim Neujahrsfest Naw-Ruz der Bahai hat man nicht unbedingt das Gefühl, sich in einer Religionsgemeinschaft zu bewegen. Das Gemeindezentrum ist eine Wohnung an der Neusser Straße, in der es ungezwungen und familiär zugeht. Jeder bringt etwas zu essen mit, einige sind festlich gekleidet, andere nicht, eine feste Zeremonie gibt es nicht. Eine kurze Begrüßung, dann liest der Vorsitzende der Kölner Gemeinde, Benjamin Henrichs, ein paar Fürbitten, Jazzmusiker Riaz Khabirpour spielt Gitarre, es wird ein Lied von Robbie Williams gesungen, junge Frauen stimmen einen Chor an, Kinder spielen Tabu mit Tugend-Begriffen, die Erwachsenen raten. Noch ein paar Lieder, ein Gebet, das war es für den offiziellen Teil.
Isabel Schayani, Journalistin, die aus den Tagesthemen bekannt ist, stellt uns Afshin vor. Der wurde im Iran in der elften Klasse wegen seiner Religion aus der Schule entlassen und erzählt entspannt seine Geschichte. Afshins Vater gehörte im Iran dem geistigen Rat der Bahai an und wurde dafür zu 150 Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Afshin wurde auf der Straße beschimpft und bedroht, mit 17 floh er nach Deutschland, studierte Informatik, ist längst erfolgreicher Geschäftsmann. Mindestens ein Dutzend der Kölner Gemeindemitglieder wurden im Iran verfolgt, einige saßen wegen ihrer Religion im Gefängnis.
Der Eindruck beim Neujahrsfest am 21. März, mit dem das in 19 Monate zu je 19 Tagen gegliederte Bahai-Jahr beginnt: Knapp die Hälfte der Gemeindemitglieder sind Deutsche, die andere Hälfte stammt aus dem Iran und anderen Ländern. Viele sind gebildet, „aber es ist nicht so, dass wir eine Religionsgemeinschaft der eher Gebildeten sind, der Eindruck täuscht vielleicht“, sagt Riaz, der Mann an der Gitarre.
Was nicht täuscht, ist, dass die Bahai eine offene, liberale Gemeinschaft bilden. Das legt schon ein fundamentales Glaubensprinzip nahe: Sie glauben, dass alle Religionen auf einen Gott zurückgehen. In jeder Religion steckt die gleiche Wahrheit, alle Glaubensrichtungen bauen aufeinander auf. Alle Propheten sind wichtig, nicht nur Baha’ullah, Stifter der Bahai-Religion. Dieser integrative Ansatz hat den Bahais nicht nur Freunde, sondern auch viele Feinde verschafft. Im Iran werden die Anhänger von Baha’ullah seit ihren Anfängen vor 171 Jahren verfolgt. Weil sie nicht akzeptierten, dass Mohammed der letzte Prophet sei, wie radikale Muslime argumentieren.
Gläubige der Bahai werden nicht getauft und bekennen sich erst ab dem 15. Lebensjahr zu ihrer Religion. Erst dann nämlich, wenn ihnen die Reife zugesprochen wird, um eigenständig zu entscheiden, ob es richtig ist, Bahai zu werden. „Das wichtigste Gebot lautet für uns, selbstständig nach Wahrheit zu suchen“, sagt Riaz Khabirpour, ein freundlicher Mann mit warmem Blick und leiser Stimme. „Und das schreckt vielleicht viele ab“, sagt lachend seine Frau Constanze von Kitzing.
Khabirpour und von Kitzing, die mit ihren Kindern Lua und Sam in Nippes leben, kommen aus Bahai-Familien. Khabirpours Vorfahren sind Bahai. Sein Opa kam mit der Familie 1959 zuerst nach Luxemburg und später nach Deutschland, um dort Bahai-Gemeinden aufbauen zu helfen.
Von Kitzings Opa war evangelischer Pfarrer. Ihrem Vater, einem von den Hippies beeinflussten Bio-Physiker, waren die protestantischen Gottesdienste zu ernst und freudlos – also machte er sich auf die Suche nach Alternativen. Und fand – wie nicht wenige 68er-Bewegte – die Bahai. Es ist nun nicht so, dass die Bahai keine Glaubensregeln hätten, es ist keine Religion light, keine Hippie-Religion, wo jeder tun und lassen könnte, was er will. Es gibt drei tägliche Pflichtgebete, die Khabirpour und von Kitzing auch befolgen. Davor waschen sie sich Gesicht und Hände, die Haltung beim Gebet ist nicht vorgegeben, sollte aber demütig und Richtung Südost sein. Abends singen Papa und Mama ihren Kindern Gebetslieder vor, oft spielt Khabirpour dazu Gitarre.
Religionsstifter Baha’ullah, der sich 1863 erklärt hat und mit diesem Akt die Bahai-Religion gründete, fordert von den Gläubigen, jeden Morgen und Abend in den heiligen Schriften zu lesen. Im Wohnzimmerregal der Familie lagern dutzende heilige Schriften, viele in Englisch. „Es ist wichtig, sich mit den Schriften Baha’ullahs und mit anderen heiligen Schriften auszukennen. Riaz schafft es, täglich zu lesen, ich wegen der Kinder leider nicht immer“, sagt Constanze von Kitzing, die als Kinderbuchillustratorin arbeitet und auch ein Buch mit Bahai-Gebetssprüchen für Kinder illustriert hat. Die 33-Jährige bietet auch Kinderkurse für Bahai-Kinder und Kinder von Freunden an. „Früher haben die Bahai in Deutschland ihre Religion eher versteckt ausgeübt. Inzwischen ist es Normalität geworden, die Gemeinden haben sich geöffnet. Das ist schön.“
Von Kitzing und Khabirpour wirken gelassen. Sie strahlen eine Ruhe aus, die viele Gemeindemitglieder auszeichnet. Während der Treffen wird regelmäßig für den Einklang der Religionen, Harmonie und Frieden unter den Menschen gebetet. „Wenn Religionen keinen Frieden stiften, sondern Kriege entfachen, sollte man sie eigentlich abschaffen“, sagt Khabirpour. „Im Vordergrund unseres Glaubens steht deswegen eine friedliche Wertschätzung gegenüber jedem.“
Liebe deinen nächsten wie dich selbst – auf diesem Grundsatz fußt fast jede Religion. Vielleicht ist es nur ein oberflächlicher Eindruck, dass die Bahai Nächstenliebe und Friedfertigkeit besonders ernst nehmen. Vielleicht sind es die vielen Pazifisten, auf die man in der Gemeinde stößt, die dieses Empfinden verstärken. Vielleicht wirken die Kölner Bahai auch deswegen so friedlich, weil man mit dem Christentum oder dem Islam eben nicht nur das Streben nach Frieden verbindet, sondern auch schreckliche Kriege, die im Namen der Religion geführt werden.