„Internet ist eine Riesenhürde”Viele Kölner Familien fühlen sich digital abgehängt

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Marina Ahmad trainiert mit einer Teilnehmerin des Programms „Step by Step”.

Köln – Für den Traumjob schnell noch eine Online-Bewerbung schreiben, anschließend einen Termin bei der Stadt buchen, um den Personalausweis zu beantragen, und mittags Essen online im Restaurant bestellen. Viele Kölner lieben die Vorzüge, die das digitale Zeitalter mit sich bringt. Aber es gibt auch eine Kehrseite: Wer kein digitales Endgerät hat oder damit nicht richtig umgehen kann, fühlt sich zunehmend ausgeschlossen. „Die Gruppe der Menschen, die digital abgehängt sind, ist größer als wir denken“, sagt Beate Mages, Leiterin der Beratungsstelle Vingster Treff. „In Vingst betrifft das etwa ein Drittel aller Familien.“

Eine von ihnen war Amine Dej (Name geändert), die mit ihrer Familie in Vingst lebt. Die Familie mit acht Kindern hat nur ein Laptop und in der Corona-Pandemie waren sie fast offline, weil das Gerät eben für alle Kinder reichen musste. „Wir hatten viele Probleme“, sagt die 60-Jährige. „Ich persönlich konnte bis vor kurzem überhaupt nicht mit dem Computer umgehen und musste immer meine Kinder fragen.“

Dej ist kein Einzelfall. Menschen mit internationaler Geschichte, die nicht gut deutsch sprechen, oder Menschen, die generell nicht gut lesen und schreiben können, werden in der Welt der Tablets, Smartphones und Notebooks immer weiter abgehängt. „Viele Familien sind einfach nicht digital ausgestattet. Für sie ist das Internet eine Riesenhürde, sie fühlen sich digital abgehängt“, sagt Gülestan Cacan, Beraterin im Vingster Treff. So  komme sie immer wieder mit Menschen in Kontakt, die nicht wissen, wie man eine E-Mail verschickt, wie man einen Download durchführt oder wie man mit einem QR-Code umgeht.

Digitale Bildung hängt auch vom Einkommen ab

Eine Studie des Essener Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI), die Ende Januar veröffentlicht wurde, kam zum Ergebnis, dass besonders Migranten, Frauen, ältere Menschen ab 50 Jahren sowie Personen mit geringerer Bildung digitale Defizite aufwiesen. Bei Kindern sei die digitale Kompetenz unterdurchschnittlich ausgeprägt, wenn die Eltern arbeitslos seien. Die Schere in den digitalen Kompetenzen zwischen verschiedenen sozioökonomischen Gruppen öffne sich bereits während der Schulzeit ab der Sekundarstufe I. Während die Kinder in der sechsten Klasse noch über sehr ähnliche Kompetenzen verfügen, seien in der neunten Klasse bereits deutliche Unterschiede nach Migrationshintergrund und elterlicher Berufstätigkeit messbar.

„Die Studie zeigt, dass die digitalen Kompetenzen bereits bei Jugendlichen ungleich verteilt sind und stark vom Elternhaus beeinflusst werden“, schreibt RWI-Wissenschaftlerin Friederike Hertweck. „Somit könnte die Corona-Pandemie bestehende soziale Ungleichheiten langfristig verstärken, da der Zugang zum digitalen Unterricht für Kinder aus benachteiligten Familien schwieriger war.“ Die Politik müsse in den Aufbau digitaler Kenntnisse spätestens ab der Sekundarstufe I intensivieren und auch gezielte Weiterbildungsmaßnahmen für Frauen, ältere Menschen und Personen mit Migrationshintergrund anbieten.

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Auch die Mitarbeiterinnen des Vingster Treffs haben bemerkt, dass die Pandemie die Probleme verstärkt. Sie sahen Kinder, deren Familien keinen Internetzugang oder kein Endgerät hatten, die während des Lockdowns ihre Aufgaben nicht machen konnten, weil die Schule die Aufgaben per Mail schickte. Andere konnten die Unterlagen nicht ausdrucken, weil es zu Hause keinen Drucker gibt. Viele, die einen Laptop benötigten, seien schlicht an den bürokratischen Anträgen gescheitert, die nicht für jedermann leicht zu verstehen waren. Andere Familien hätten sich geschämt, ein Tablet zu ordern. „Wir haben oft von Kindern gehört: Ich will nicht, dass meine Klasse weiß, dass wir arm sind“, sagt Cacan.

Beraterin fordert freies WLAN in Köln

Die Beraterin fordert, dass es in Köln künftig freies WLAN gibt, damit auch Familien ohne Internetzugang wenigstens in der Stadt online gehen können. Denn wer nicht online ist, hat zum Beispiel schlechte Karten auf dem Arbeitsmarkt, kann sich nicht um eine Ausbildung bewerben. Geflüchtete Menschen konnten während des Lockdowns nur schlecht mit dem Ausländeramt in Verbindung bleiben, ergänzt Mages. Denn in der Pandemie konnten über Monate keine Präsenztermine bei der Behörde gemacht werden. Berater sagen zudem, dass das Amt per Telefon kaum erreichbar war.

Niedrigschwelliger Kursus

Der Vingster Treff bietet seit Mai 2021 das Programm „Step by Step“ an, einen Kursus, in dem die Grundlagen rund um die Themen Computer und Internet erläutert werden. Leiterin Marina Ahmad erläutert den bislang 100 Teilnehmenden in Einzelgesprächen dreimal täglich von Montag bis Mittwoch, wie man auf dem Handy ein Dokument scannt oder das Ergebnis ihres Corona-Tests online abrufen können. Während in anderen Kurse oft viel Vorwissen gefragt sei, gehe es bei Step by Step um die Grundlagen. „Die Leute brauchen ein niederschwelliges Angebot. Sie freuen sich, wenn sie ihre erste E-Mail verschicken können.“

Auch Amine Dej hat an dem Projekt teilgenommen und fühlt sich nun sicherer in der digitalen Welt. „Ich bin jetzt nicht mehr so abhängig und meine Familie ist stolz auf mich.“

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