Interview mit „Iris vom Essers“Was die Kölner Wein-Expertin zum Schnitzel empfiehlt

Lesezeit 9 Minuten
Iris Giessauf

Iris Giessauf von Essers Gasthaus in Neuehrenfeld

  • Seit 2004 überzeugen Koch Andreas Esser und Sommeliere Iris Giessauf, die auch privat ein Paar sind, in Essers Gasthaus in Neuehrenfeld mit deutsch-österreichischer Küche, hoher Produktqualität und einer attraktiven Weinkarte.
  • Wir sprachen mit „der Iris vom Essers“, geborene Steirerin und 2019 vom Falstaff nominiert als Sommeliere des Jahres, über Schnee, Backhendl, Fensterln, Lockdown, Wein und Karneval.

Köln – In Köln ist es grau, nass, kalt und arbeiten dürfen Sie auch nicht. Bekommt man da nicht Heimweh?  Iris Griessauf: Ich habe gerade voll viel Heimweh. Vor allem, weil meine Mutter und meine beste Freundin daheim in der Steiermark glauben, sie tun dir einen unfassbaren Gefallen, wenn sie ein Foto schicken mit blauem Himmel und schneebedeckten, menschenleeren Pisten. Ich vermisse das Skifahren soooo! Zumal ich ja ausnahmsweise Zeit hätte, viel Zeit. Ich war echt kurz davor, zur Mama nach Graz zu fahren. Da sind mehrere Skigebiete drumherum.

Dann können Sie verstehen, dass die Kölner zum Schnee in die Eifel und ins Sauerland strömen.

Nachvollziehen ja, aber meins wär’s nicht – etwas mehr als eine kurze Wiesenpiste muss schon sein. (lacht)

Ohne Lockdown arbeiten Sie oft sieben Tage die Woche. Wie kriegt man die Zeit jetzt rum?

Man wird so abgebremst, es wirkt noch immer unnatürlich. Die paar Stunden fürs Außer-Haus-Angebot hat ja mit der Arbeit, die wir gewohnt sind, nichts zu tun. Das macht man eher, um den Kontakt zu den Stammgästen zu halten. Richtig rumkriegen tut man sie nicht, die Zeit. Ich habe vor Weihnachten mit der Johanna, meiner 13-jährigen Tochter, Vanillekipferl gebacken – das gab’s noch nie. Oder wir haben einen Christbaum dieses Jahr, einen riesengroßen Christbaum. Sonst steht da immer eine Leiter, auf die wir den Christbaumschmuck hängen, weil für die kurze Zeit, die man sonst zu Hause ist, zahlt sich das nicht aus. Das war sehr schön, aber jetzt ist Weihnachten rum, jetzt wird es echt bitter. Wenn wir März wieder aufmachen können, müssen wir ja glücklich sein. Da dreht es mir den Magen um, zumal wir unsere Leute bezahlt haben, aber von den Novemberhilfen noch nichts gesehen haben. Und mir fehlt einfach die Kraft, mir für die zwei, drei Monate etwas zu suchen, was mich ausfüllt. Ich wüsste nicht, was das sein sollte.

Bleibt der Außer-Haus-Verkauf am Wochenende.

Ja, man kann fensterln beim Essers. (lacht).Das ist besser als nichts, weil es auch für unsere zwei Köche Abwechslung bedeutet. Die arbeiten sonst deutlich mehr. Gastronomie ist ja eine Lebenseinstellung, kein Job. Man denkt an nichts anderes. Für uns ist das schwer auszuhalten – wir gehen alle auseinander wie die Germknödel. (lacht).

Ihr Restaurant sieht von außen aus wie eine gemütliche Eckkneipe. Was ist Ihre Philosophie?

Wir möchten ein Gasthaus sein, kein Restaurant. Der Unterschied ist, dass man im Gasthaus die Teller abschlecken kann. (lacht). Ich will dieses Mittelding sein zwischen Kneipe und Restaurant. Der Andreas ist ein Produkt-Fanatiker. Wir haben keine Tischwäsche. Besteck und Teller sind nicht so wichtig. Wichtig ist, was auf dem Teller drauf ist.

Diese Gasthaus-Qualität, die man aus Österreich und Süddeutschland kennt, gibt es in Köln noch nicht so lange.

Ich war völlig entsetzt, als ich in den 90ern hierher kam, dass es das nicht gab. Pizzerien, Gyrosbuden, Asiaten, aber dass man einfach mal a gscheit’s Gulasch kriegt, das hat es nicht gegeben. Also Gulasch schon, aber kein gutes. Oder es war sehr teuer. Das habe ich nicht verstanden, dass es dieses Mittelding nicht gab.

Hat sich das denn verändert?

Ja, schon. Viele neue, junge Gastronomen gehen zurück zu den Wurzeln, wollen kochen wie früher. Teilweise kommen die aus der Sterneküche und haben da keinen Bock mehr drauf. Der Marc Flogaus von Metzger & Marie, oder Bernd Stollenwerk, der jetzt im Hotzenplotz um die Ecke ist. Tobi und Jan vom Maibeck haben einen Stern bekommen, aber die waren gar nicht erpicht darauf, die wollten einfach nur gut kochen. Als wir 2004 in Ehrenfeld angefangen haben, hat noch niemand auf der Karte geschrieben, wo sein Fleisch herkommt. Wir schon, ich fand das wichtig. Und jeder Fleischskandal hat mir in die Karten gespielt. Es gibt Leute, die sagen: „Iris, Hendl ess ich nur bei dir.“ Die kommen vom Millianshof in Bergheim-Reith. Backhendl läuft hier ja wie verrückt, gibt es aber nur einmal im Monat. Weil der Hof nicht mehr Hühner liefern kann. Punkt. Das wird auch nicht diskutiert. Uns ist das sehr wichtig.

Wie hat es Sie nach Köln verschlagen?

Ich bin mit meinem damaligen Freund nach Köln gekommen. Der hat studiert, und ich hab im Hotel Mercure Severinshof angefangen, später im Büro vom Thalys, dann in einer PR-Agentur gearbeitet. Da hat der Andreas mich dann abgeworben. Das Essers war damals in Sülz/Klettenberg, wo heute das Eckstein ist. 2001 hab ich da als Aushilfe angefangen, der Andreas hat die Theke gemacht und sein Bruder gekocht. Und dann ist es passiert (lacht) dann hab ich mir den Chef geschnappt und gesagt: So, jetzt zeig ich dir mal, wie das geht. (lacht laut). So ist das gekommen. Heute bin ich einfach unfassbar stolz auf das, was ich aus der Küche bringe, was der Andreas kocht. Umgekehrt ist er auch stolz auf das, was ich mache. Wenn er sagt: das ist die Empfehlung heute, verkauf mir das zehn mal, dann verkauf ich das. Nimm z. B. die Lammhaxe. Auf einem Teller, da ist richtig was drauf. Ein Kochkollege aus der Spitzengastronomie, der die mal hier gegessen hat, sagte voller Begeisterung: „Alter, da mach ich fünf Portionen draus.“ Anfangs, wenn ich ein Gericht empfohlen habe, kam immer etwas pikiert die Frage: „Muss das weg?“ (lacht)…

…das ist aber sehr Deutsch…

…ja, das ist sehr Deutsch. Die ersten zwei, drei Jahre habe ich die Welt nicht mehr verstanden: Warum nehmen die Gäste, denen ich was Gutes tun will, das nicht an? Also hab ich einfach weitergemacht, und jedes Mal, wenn einer drauf eingegangen ist, hatte ich gewonnen. „Danke für den Tipp, Iris, das war so lecker, das hätte ich sonst nie bestellt.“ Jetzt vertrauen sie mir.

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Was haben sie gelernt?

Ich war in der Höheren Lehranstalt für Fremdenverkehrsberufe in Bad Gleichenberg. Eine fünfjährige Ausbildung in einem Internat mit Kochen, Servieren, Marketing, Ernährungslehre, zwei Fremdsprachen und berufsbezogenen Praktika. Massenhaft Teller durch die Gegend tragen, das kann ich, seit ich 15 bin. Und wenn eine Sauce abgegangen ist, kann ich das in der Küche auch sagen, was natürlich da keiner hören möchte. Als klar war, dass wir Essers Gasthaus aufmachen, das doppelt so groß war wie der Laden vorher, habe ich beschlossen, die Sommelier-Schule zu machen. Ich wollte nicht, dass mir einer sagt, dass der Wein korkt, und ich rieche das nicht. Nicht, um den Gast korrigieren zu können – der hat eh immer recht – sondern ich wollt’s einfach wissen.

Seitdem zelebrieren Sie deutsch-österreichische Küche.

Früher war hier eine Kölsch-Kaschämme drin. Die haben Reibekuchen und Speckpfannkuchen gemacht. Mittelmäßige Brauhausküche. Wir haben uns spezialisiert auf das, was uns am nächsten war: Köln und Graz. Wir haben viele Produkte aus der Region, aber auch aus der Steiermark. Kernöl etwa, das ist ja unser Lebenselixier dort. Oder das Schweinefleisch ist auch von da. In einem Gasthaus spielt der Wein eine viel größere Rolle als in einem Brauhaus. Ich kenne 90 Prozent unserer Winzer persönlich. Wir hatten anfangs so etwa 60 Positionen auf der Weinkarte, heute sind es doppelt so viele. Das spricht sich rum.

Inwiefern?

Gerade bei den Kollegen. Viele kommen hier essen, weil wir eine gute, bezahlbare Weinkarte haben und das Essen auch noch schmeckt. Sonntags und montags haben wir relativ viele Gäste aus der Gastronomie hier, weil die dann Ruhetag haben. Wir nicht. (lacht). Unser Essen ist ja nicht nur so gut, weil der Andreas soo viel besser kocht als andere, sondern weil das Grundprodukt so gut ist. Dass ein Schweinsbraten besser schmeckt als ein anderer, hat halt mit dem Schwein zu tun. Der Durchbruch für uns war dann eine sehr liebevolle Kritik im „Kölner Stadt-Anzeiger“, damals von Helmut Gote. Danach war die Hütte voll.

Und heute?

Heute erzählt es einer dem anderen. Und wir entwickeln uns weiter. Ohne Corona wäre 2020 das Mega-Jahr geworden. Wir haben noch einen Koch eingestellt und mit Luise Volkert eine zweite Sommeliere. Sie kommt aus der Sternegastronomie, hat in Hamburg im Louis C. Jacob an der Alster gelernt, war dann jahrelang in der Landlust in Flamersheim. Das Tolle ist: wir denken gleich. Wenn ich weiß, dass ein bestimmter Gast abends kommt, suche ich schon mal tagsüber einen Wein aus. Manchmal mache ich ihn sogar schon auf, dass er atmen kann, das ist für den Gast super. Wenn ich Luise um Rat frage, ist sie immer bei mir. Das geht Hand in Hand. Und wenn ich jetzt frei habe, habe ich wirklich frei.

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Sie waren 2019 vom Falstaff nominiert zur Sommeliere des Jahres?

Ja, das war total schön. Der Falstaff ist in Österreich viel wichtiger als hier, und meine Mutter liest den, so lange ich denken kann. Ich habe sie dann mit zur Preisverleihung nach Essen genommen, weil ich ohne ihre Unterstützung die Ausbildung damals nicht hätte machen können.

Muss man als Gast Ahnung von Wein haben?

Nein, aber hilfreich ist, wenn man weiß, was einem nicht schmeckt. Der Kölner würde zum Schnitzel oder zum Hendl ziemlich sicher Bier trinken. Aber bei mir nicht! Zum Backhendl einen steirischen Sauvignon Blanc, die fruchtige Säure passt super zur buttrig-knusprigen Panade. Zum Schnitzel empfehle ich einen Veltliner mit ein bisserl Wumms, einen Ortswein am Besten, eine Lage wäre zu kräftig. Oder einen deutschen fruchtsüßen, alten Riesling, einen Kabinett. Den unsicheren Gast würde ich einfach probieren lassen. Wenn’s schmeckt, nimmt er vielleicht noch ein zweites Glaserl. (lacht)

Was ist ihr Lieblingsessen?

Backhendl. Und wenn ich mal rauskomme: Ich stehe im Moment total auf diese asiatischen Ramen-Suppen.

Und Karneval flüchten sie in den Schnee?

Nein. Als ich am 11.11.1995 nach fast tausend Kilometern Fahrt aus Graz hier ankam und einige Clowns auf der Straße gesehen habe, dachte ich, ich hätte Halluzinationen. Jetzt sind wir jedes Jahr bei „Loss mer singe“ dabei, immer am Donnerstag vor Weiberfastnacht. Der Andreas, im Severinsklösterchen geboren, hilft noch beim Kneipe-ausräumen und ist dann weg. Ich stehe abends auch schon mal auf der Theke und singe mit. Schade, fällt auch aus dieses Jahr.

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