Ist auf den Kölner Nahverkehr noch Verlass?„Meine liebe KVB, gib’ nicht auf!“

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Eine rote KVB-Bahn fährt auf einer Schiene, die in den Abgrund führt.

Die KVB steht in der Kritik. Wegen Personalmangels wird jetzt der Fahrplan ausgedünnt.

Die Kölner Verkehrs-Betriebe stehen in der Kritik. Nach chaotischen Zuständen wegen Personalnotstands im Dezember dünnen die Verantwortlichen nun den Fahrplan aus. Kann man das als Kunde noch hinnehmen?

Meine liebe KVB! Mir reicht’s. Ich habe die Nase voll von all den Nörglern und Besserwissern, die den lieben langen Tag nichts Besseres zu tun haben, als Dir komplette Unfähigkeit zu bescheinigen. Unpünktlich, unzuverlässig, überteuert, verdreckt. Als säßen in der Deiner Vorstandsetage nur Schönredner und Ignoranten, als seien Deine Bahn- und Busfahrer unfähig, ihre Fahrzeuge schnell und sicher durch den Dschungel einer Millionenstadt zu manövrieren.

Natürlich bin ich genervt über die vielen Unzulänglichkeiten, über Geisterzüge, die vom Haltestellen-Display verschwinden, hundsmiserable Kundeninformationen, Leihräder, die sich nicht überall im Stadtgebiet abstellen lassen und regelmäßige Bankrotterklärungen vor Großveranstaltungen. Also immer dann, wenn Du wirklich gefordert bist. An Karneval zum Beispiel.

Für das absurde System von Hoch- und Niederflurstrecken kann die Dienstgruppe nichts

Aber ist der Fahrer einer Stadtbahn für die Dauerstaus im Innenstadttunnel am Neumarkt verantwortlich? Muss die Dienstgruppe in der Leitstelle für das absurde System von Hoch- und Niederflurstrecken und einer U-Bahn, die gar keine ist, in Sack und Asche gehen? Soll sich Deine Chefin auf den Gleisen am Neumarkt festkleben, damit die Grünen im Stadtrat endlich begreifen, dass man auf der Ost-West-Achse mit einer gemütlichen Tram nach Freiburger Vorbild, die oberirdisch über ein Rasengleis zuckelt, die Mobilität in der viertgrößten Stadt Deutschlands nicht in den Griff kriegt?

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Und dass 90 Meter lange Monsterzüge, die im Vergleich zu heute an doppelt so langen Bahnsteigen halten werden, unter der kleinteiligen Innenstadt durchtauchen müssen, damit sie nicht jedes falsch geparkte Auto aus dem Takt bringen?

Peter Berger

Peter Berger

Chefreporter des „Kölner Stadt-Anzeiger“. Jahrgang 1959, Schwerpunkte NRW, Verkehrsinfrastruktur, öffentlicher Nahverkehr und Verkehrswende, Kohleausstieg und Energiewende. Seit 2001 beim KStA, zuvor ...

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Meine liebe KVB! Vor vielen Jahren habe ich Dich in einem Anfall von Wut und Verzweiflung mal als Kölner Versager-Betriebe bezeichnet. Das war nicht nett von mir. Die Versager, das weiß ich heute, sitzen anderswo. In der Politik – und zwar auf allen Ebenen. Im Stadtrat, im Land und im Bund. Dort hat man Dich wie viele andere Verkehrsbetriebe in Deutschland zum Spielball und Spekulationsobjekt gemacht. Bis weit in die 1990er Jahre warst Du der Paria der Mobilität, ein Transportmittel für Schüler, Studenten und Menschen, die sich kein Auto leisten konnten. Du durftest nichts kosten, für neues Personal wurde ein Tarif mit schlechterer Bezahlung eingeführt, im Stadtrat ernsthaft über Deine Teilprivatisierung diskutiert. Die Linie 1, Dein Goldesel, stand gar  zum Verkauf. Der Abendbus zur Fähre in Langel wäre Dir aus Mangel an Investoren geblieben.

Plötzlich machen dir alle den Hof

Seit zwei, drei Jahren machen Dir alle den Hof. Über Nacht sollst Du Motor der Mobilitätswende und Klimaretter sein, die Innenstadt von den Autos befreien, die Feinstaubbelastung verringern und bei einem Regenschauer alle Fahrräder transportieren. Das alles ohne hinreichende Investitionen, dafür mit einem Deutschlandticket für 49 Euro, einer Nord-Süd-Stadtbahn, die bis 2030 ein Torso bleibt und mit einer Infrastruktur, die vor allem aus Plänen besteht, in der die Wirklichkeit zuletzt vor vier Jahren um 600 Meter erweitert wurde: vom Ollenhauerring bis zum Görlinger Zentrum.

Meine liebe KVB! Gib’ nicht auf. Ich verlasse mich auf Dich.

Peter Berger (63), Chefreporter, hat zwar kein Monatsticket mehr, sondern zahlt seine Einzelfahrten lieber mit dem Smartphone, ist der KVB aber wohlgesonnen. Vor allem wenn es regnet oder das Fahrrad mal wieder einen Platten hat.


Die Zeit des Fünfjährigen im Kindergarten läuft ab. Noch 35 Minuten. Laut Fahrplan der KVB braucht die Bahn von der Amsterdamer Straße zum Hans-Böckler-Platz an diesem Nachmittag mit Umstiegszeit 16 Minuten. Geplante Abfahrtzeit: Jetzt. In einer idealen Welt blieben 19 entspannte Minuten Me-Time übrig. In einem Öffentlichen-Nahverkehrs-Paradies könnte eine gestresste Mutter die letzten Meter zum Kindergarten schlendern. Am Ende sogar noch einen Kaffee vom Bäcker holen. Möglicherweise sogar durchschnaufen. Dann lächelnd den Fünfjährigen in die Arme schließen.

Aber die Kölner Nahverkehrswelt ist kein Paradies. Sie ist für einen Menschen, dessen Tag eine straffe Kette an Pflichten durchzieht, eher ein Fegefeuer. Es lodert immer, es droht das Scheitern, es geht nie ohne Herzklopfen. Denn die 16 fällt natürlich aus. Eine kann ich mir gerade noch leisten, die Schlenderzeit schmilzt ruckzuck auf neun Minuten. Aber wer weiß schon, ob die nächste 16 kommt? Die 3 nach dem Umstieg? Ich schwitze. Ich bete. Ich organisiere panisch andere Eltern, die den Fünfjährigen an meiner Stelle in Empfang nehmen können. Ich erwäge ein Taxi.

Warum handelt die KVB erst jetzt?

Denn was die KVB ihren Kunden an Unzuverlässigkeit zumutet, können viele Arbeitnehmer oder Eltern an anderer Stelle nicht weitergeben. Die Schichtarbeit verlangt Pünktlichkeit. Eine Kita schließt um halb fünf, nicht um 16:35 Uhr. Nun zwingt der hohe Krankenstand die Verantwortlichen dazu, den Fahrplan auszudünnen. Das ist bitter, aber wenn dafür mehr Verlässlichkeit einkehrt, die bessere Alternative. Doch warum handelt die KVB erst jetzt? Warum war man nicht bereit, schon im Herbst einzugestehen, dass man den Aufgaben wegen der ständig wachsenden Personalnöte nicht mehr gewachsen ist? Warum beteuerte man, einen Zehn-Minuten-Takt bieten zu können, wissend, dass man dieses Versprechen täglich brechen würde?

Claudia Lehnen

Claudia Lehnen

Claudia Lehnen, geboren 1978, ist Chefreporterin Story/NRW. Nach der Geburt ihres ersten Kindes begann sie 2005 als Feste Freie beim Kölner Stadt-Anzeiger. Später war sie Online-Redakteurin und leitet...

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Der Personalnotstand ist nicht allein hausgemacht, das stimmt. Auch andere Branchen ächzen. Dennoch sind die Probleme bei den Kölner Verkehrsbetrieben seit Jahrzehnten vielfältiger. Ich weiß noch, wie konsterniert ich war, als ich vor einigen Jahren mit meiner Tochter nicht zum Zahnarzt fahren konnte, weil ich kein Kleingeld hatte und der Automat keinen Zehn-Euro-Schein annahm. Und auch keine EC-Karte. Nicht etwa, weil er defekt war, sondern weil das gar nicht vorgesehen war. Bezahlen konnte man nur mit Münzen und einem aufgeladenen Geldkartenchip. Die Sache mit den Scheinen funktioniert übrigens bis heute nicht.

Oder als mir klar wurde, dass ich mit dem Kinderwagen längst nicht an allen Stationen aussteigen kann, weil Aufzüge defekt sind oder schlicht gar nicht angedacht. Einmal riet mir ein Busfahrer ernsthaft, ich solle statt in die Innenstadt nach Leverkusen fahren. Der Bus dorthin hätte nämlich eine kinderwagengeeignete Tür.

Ich würde gerne mit Bus- und Bahn durch Köln gondeln. In meinen Träumen läuft das alles sehr bequem ab. Am Ende habe ich immer Zeit zum Schlendern. In der Wirklichkeit verlasse ich mich lieber auf meine eigenen Beine. Mit dem Rad zum Kindergarten in 16 Minuten erfordert einen etwas schnelleren Tritt, ist aber planbar zu schaffen.

Claudia Lehnen (44), Ressortleiterin Story/NRW findet das Konzept des öffentlichen Nahverkehrs grundsätzlich großartig. In der Praxis bekommt sie am Gleis angesichts der Verspätungsanzeigen aber regelmäßig Wut- und Panikanfälle.

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