Kölner Bäcker vor dem Aus„ Ich habe keine Hoffnung, dass die Kunden das zahlen“

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Engelbert Schlechtrimen will Köln verlassen nach dem Ende seiner Bäckerei.

Köln – Die Kölner Traditionsbäckerei Schlechtriemen ist in diesem Jahr 90 Jahre alt geworden. Ein Grund zum Feiern – eigentlich. Doch Engelbert Schlechtrimen, der die Bäckerei in Kalk seit 30 Jahren und in dritter Generation führt, muss seine Backstube und die zwei Filialen am 2. Oktober endgültig schließen. Im ausführlichen Interview (das Sie hier auch als Podcast hören können) erzählt Schlechtrimen von den Gründen für die Schließung und davon, warum er zunehmend auch mit seinen eigenen Bäckereiprodukten hadert in einer Zeit, in der immer mehr Menschen adipös werden von zu viel Weißmehl und Zucker. Außerdem erzählt er von den Zukunftsplänen seiner rund 40 Beschäftigten und seinen eigenen – die nicht in Köln spielen. Herr Schlechtrimen, wie geht es Ihnen? Schlechtriemen: Der Standardspruch ist immer: Am liebsten geht es mir gut. Aber die letzte Zeit hat Spuren hinterlassen. Ein Magengeschwür, ein Muskelfaserriss: Die Anspannung geht in den Körper.

Sie haben 40 Beschäftigte. Wie geht es denen?

Die Stimmung ist verhalten. Alle haben zugesagt, Mitarbeiter der letzten Stunde sein zu wollen. Sie haben Verständnis dafür, dass meine Subventionierung endlich ist, wenn Kosten, Kaufzurückhaltung und Umsatz nicht mehr zusammenpassen. Sie freuen sich aber sehr über die vielen positiven Rückmeldungen, die sie derzeit erhalten. Und jeder plant natürlich für sich etwas Neues.

Wissen Ihre Beschäftigen schon, wie es für sie weitergeht?

Bei vielen ist es noch unklar. Aber die werden nicht im Stich gelassen. Die Bäckerinnung macht einen hervorragenden Job. Jeder hat mindestens vier bis fünf Angebote in seinem Postfach. Die Szene ist ja total leergeputzt. Ich habe Bäckereien, die bei mir angefragt haben, ob ich denen nicht mein komplettes Personal schicken kann. Das ist der blanke Wahnsinn.

Sie haben die Bäckerei in der dritten Generation geführt. Was ist das für ein Gefühl, jetzt aufgeben zu müssen?

Der Betrieb war für mich eine ziemlich große Last in den letzten Jahren. Die Last der vorangegangen Generation, die war natürlich ebenfalls deutlich auch spüren, genauso wie die Verantwortung gegenüber den Mitarbeitern, dem Stadtteil und der Menschen im Stadtteil. Ich bin aber froh, wenn ich diese Lasten abgeben kann, auch wenn meine Eltern sehr an der Firma hängen. Ich habe ja schon eine Zeitlang an meinem Ausstiegs-Szenario gebastelt. Das macht man nicht mal eben so bei der Verantwortung, die man hat. Aber ich konnte für mich keine gute Perspektive mehr finden. Ich wollte nicht in die Insolvenz rutschen, das finde ich unwürdig. Das wollte ich auch für meine Mitarbeiter, Kunden und Lieferanten nicht. Theoretisch hätte ich Vermögen verpulvern können, das mir und meiner Familie für die nächsten Jahre noch zur Verfügung steht. Aber es ist nicht zu verantworten.

Sie haben für das Aus Ihrer Bäckerei gleich mehrere Gründe genannt: fehlendes Personal, die Corona-Pandemie, steigende Lebensmittelpreise, explodierende Energiepreise und eine starke Kaufzurückhaltung. Seit wann zeichnet sich die Personalkrise bei Ihnen ab?

Das Problem spüren wir schon seit einigen Jahren relativ stark. Es gibt zwar immer wieder hoffnungsvolle Bewerber mit tollen Schul- oder teilweise sogar Studienabschlüssen. Aber es ist schwer, die dann auch wirklich in ein Ausbildungsverhältnis zu bringen. Wir haben an sieben Tagen in der Woche geöffnet. Natürlich muss nicht jeder sieben Tage am Stück arbeiten, aber es kommt schon mal vor, wenn Personal krank wird oder in Urlaub ist. Die Wochenend- und die Nacharbeit ist gesetzt. Damit kommen viele nicht klar.

Personalmangel führt häufig zur Überbelastung der verbliebenen Mitarbeitenden. Wie ist das in Ihrem Betrieb?

Leider so, wie Sie es beschreiben. Die Arbeit muss ja gemacht werden. Wir sitzen da natürlich in einem Boot, ich habe mich auch bedankt, dass mehr Arbeit geleistet und mehr Verantwortung übernommen wird. Die Verblieben wissen um ihre wichtige Funktion im Betrieb. Aber wenn die Lage aussichtslos ist, kann man da auch nicht mehr viel tun. Als wir noch fünf Filialen hatten, haben da fünf Konditoren gearbeitet. Die Leute dafür haben wir gar nicht mehr. Uns fehlt auch ein Fahrer, weil der in der Corona-Pandemie aufgehört hat, als unheimlich viele Lieferungen von Torten und Gebäck in die Gastronomie gecancelt worden sind. Jetzt ist die Nachfrage auf der Seite wieder enorm gestiegen. Eine große Hotelkette wünscht anspruchsvolle Backwaren und möchte gerne, dass wir ihre vielen Häuser damit beliefern. Toller Auftrag! Können wir nicht annehmen, wir finden keinen neuen Fahrer.

Wie hat sich die Corona-Krise noch auf Ihr Geschäft ausgewirkt?

Die Regierung hat gut gehandelt, wir konnten uns mit Kurzarbeit behelfen. Aber wir sind durch Krankheits-Ausfälle kalt erwischt worden. Wir wussten oft nicht, welches Geschäft wir am nächsten Morgen öffnen können. Teilweise musste ich den Dienstplan mehrmals am Tag umschreiben oder bei unseren Springern betteln. Leider ist es in einer Filiale dann auch oft zu vorzeitigen Schließungen am Nachmittag gekommen. Solche Dinge sind der Anfang vom Ende. Die Filiale musste ich später ganz schließen.

Seit dem Ukraine-Krieg haben sich die Lebensmittel verteuert. Wie sehr trifft Sie das?

Der Preis für Mehl hat sich mehr als verdoppelt, der für Butter verdoppelt. Die Milchprodukte sind ebenfalls viel teurer geworden. Trotzdem haben wir nach wie vor Butter in unseren Croissants. Weil die Preise schon vor dem Krieg gestiegen sind, mussten wir bereits Anfang des Jahres eine deutliche Preiserhöhung machen – es gab auch bereits mehrere in der Corona-Pandemie. In den vergangenen Jahren sind die Kunden immer mitgezogen, wofür ich sehr dankbar war. Das ist seit diesem Jahr vorbei, die Kunden reagieren mit Zurückhaltung.

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Die explodierenden Energiepreise verschärfen die Krise für Bäckereien weiter.

Absolut. Bei uns ist derzeit die Verteuerung des Heizöls das Problem, weil unsere Öfen noch mit Öl laufen. Damit haben wir noch Glück, denn die Gaskosten sind ja derzeit dabei, sich zu versiebenfachen. Mit unserem Stromanbieter haben wir zum Glück einen langfristigen Vertrag, auch bei Gas sind wir bis nächstes Jahr noch halbwegs sicher. Aber dann würde es uns eben umso doller erwischen.

Was kostet ein Brötchen bei Ihnen?

Ein normales Weizenbrötchen kostet 45 Cent, das finden viele schon zu teuer. Dabei ist dieses Brötchen über zwei Tage handwerklich hergestellt worden. Wenn wir die gestiegenen Kosten, vollständig umsetzen würden, müsste ich nochmal um bis zu 25 Prozent nach oben gehen. Ich habe keine Hoffnung, dass die Kunden das zahlen.

Viele Bäcker sind auf günstigere Margarine statt Butter umgestiegen. Warum ist das für Sie keine Option?

Mein Konzept beruht auf „slow baking“. Wir sind darin zertifiziert worden und fühle mich diesen Prinzipien verpflichtet: keine Tiefkühlprodukte, keine Fertigmischung und keine Chemie in den Backwaren. Die Kunden hatten wirklich einen Grund, zu uns zu kommen. Davon würde ich nicht abgehen wollen. Und wenn Sie noch eine sehr ehrliche Antwort wollen: Ich mache mir seit einiger Zeit viele Gedanken darüber, dass diese ganzen Weißmehlprodukte und verarbeiteten Milcherzeugnisse aus ernährungsphysiologischer Sicht einer guten Gesundheit abträglich sind.

Kritisieren Sie damit auch Ihr eigenes Angebot?

Ja. Viele Menschen sind adipös, weil sie zu viel Zucker und Weißmehlprodukte und zu viele tierische Fette genossen haben. Ich hadere damit, dass ich Dinge anbiete, die mir selbst nicht guttun. Außerdem leben wir in einer Zeit, in der wir die Klimakrise immer stärker spüren. Da muss man sich doch die Frage stellen. Wie geht es mit uns weiter? Ein gutes Brot ist toll, ein Vollkornbrot sowieso, dafür breche ich eine Lanze. Aber es kann nicht jeden Tag ein Bienenstich oder eine Schwarzwälder Torte sein. Das tut uns nicht gut und der Welt auch nicht.

Werden weitere Bäckerei-Schließungen in der Region folgen?

Ich gehe davon aus, dass viele kleinen Filialen diese Krise nicht überleben werden. Es gibt die Tendenz zur Konsolidierung seit Jahren, aber jetzt ist sie dramatisch geworden.

Welche Rolle spielen die fast überall verfügbaren Billigbackwaren beim Sterben der Qualitäts-Bäckereien?

Ob traditionelle Bäckereien überleben, darüber stimmt der Kunde jeden Tag mit seinen Füßen ab. Im Moment sind viele gezwungen, sich in die günstige Richtung zu entscheiden. Dafür habe ich vollstes Verständnis. Gegen die Discount-Bäckereien habe ich nichts. Das ist eine ehrliche Sache, jeder weiß, dass die Industrieware verkaufen. Ich habe eher ein Problem damit, wenn sich vermeintlich traditionelle Bäckereien ebenfalls dieser Produkte bedienen, die Kunden das aber gar nicht wissen.

Wie ist die Reaktion Ihrer Kunden auf die Schließung ausgefallen?

Wir haben gigantisch viele Rückmeldungen bekommen, sogar E-Mails aus den USA von Menschen, die mal in Köln gewohnt haben. Kürzlich waren die „Tagesthemen“ bei uns und haben eine Kundin befragt, die Rotz und Wasser geheult hat. Das hat mich sehr berührt. Die Menschen im Stadtteil konnten sich mit uns identifizieren. Wir hatten ein Büffet, man konnte bei uns sitzen, wir waren Lebensbegleiter für Generationen. Eine Verkäuferin hat den Spruch geprägt: Hier haben schon die Omas der Omas gekauft. Viele Kommentare waren nicht nur traurig, sondern auch würdigend. Das zeigt, dass wir nicht alles falsch gemacht haben.

Welche Reaktion hat Sie besonders gefreut?

Die einer Nonne aus dem Klarissenkloster, die sich daran erinnert hat, wie wir ihr früher Brot vom Vortag für Bedürftige gegeben hat. Und die Kommentare, die auch meine Arbeit im Stadtteil würdigen.

Sie waren ehrenamtlich sehr aktiv, haben viele Initiativen unterstützt. Was war Ihre Motivation?

Es gibt die Regel: Karitative Zwecke sponsern wir. Dazu gehört die KRAKE, die Kölner Rhein-Aufräum-Kommando-Einheit, die die Rheinufer vom Müll befreit, aber auch Sportvereine, Kirchengemeinden, oder die Caritas. Und da spendieren wir halt mal 200 Brötchen.

Ihr letztes Brötchen soll am 2. Oktober über die Theke gehen. Was werden Sie danach machen?

Möglicherweise führen Ausfälle dazu, dass wir auch schon früher das Zeitliche segnen müssen als geplant. Ich möchte dann erst einmal ausspannen, reisen, mir Zeit widmen und runterkommen. Ich möchte vermeiden, dass das, was wir uns in den letzten Jahren angetan haben, gesundheitliche Nachwirkungen hat. Eine ayurvedische Kur könnte ich mir vorstellen. Und dann gibt es noch meine Ausbildung zum Coach, Supervisor und Meditationslehrer. Es wäre denkbar, dass ich damit etwas anfange. Was genau, kann ich noch nicht sagen.

Werden Sie in Köln bleiben?

Ich fürchte nicht.

Sie wollen nicht in Kalk bleiben?

Ich habe viel dafür getan, dass Kalk die Kurve kriegt. Wir haben die Bürgerstiftung gegründet, die Stiftung „Kalk gestalten“. Wir haben die Standortgemeinschaft gegründet, ich habe mich darum gekümmert, dass die Fachhochschule rechtsrheinisch bleibt. Ich habe mich auch um so banale Dinge wie den Bücherschrank oder eine Hundefreilauffläche gekümmert. Und wir haben uns bemüht, dass viele institutionelle Vermieter wie zum Beispiel die GAG sich in Kalk mehr engagieren. Ich bin der GAG zutiefst dankbar, dass die ihre 1200 Wohnungen umgekrempelt haben, andere ziehen nun nach. Ziel ist es, eine sozial gerechte Gentrifizierung in dem Stadtteil hinzubekommen. Das war ein guter Weg. Aber aktuell gibt es Dinge, die mir wirklich Sorgen machen. Ganz vorne steht die beabsichtigte Veränderung der Kalker Hauptstraße zu einer Einbahnstraße. Ich fühle mich da überhaupt nicht mehr mitgenommen, sondern völlig abgekoppelt mit meinen Kenntnissen als sachverständiger Bürger, mit meinem Engagement.

Was haben Sie gegen die Einbahnstraße?

Da werden Kaufkraftströme abgeschnitten, die der Kalker Handel jetzt dringend braucht. Es haben ja nicht nur die Bäcker schwer, sondern alle, auch die Kunden. Eine Einbahnstraße stadtauswärts wird dazu führen, dass viele, die explizit auf der Hauptstraße einkaufen wollen, eine nördliche oder südliche Umfahrung in Kauf nehmen müssen, um ihr Ziel zu erreichen. Das ist umständlich, viele werden da lieber direkt in die Innenstadt oder die Köln-Arcaden fahren. Und die Kunden, die stadtauswärts fahren, haben ihren Einkauf schon gemacht.

Wenn nicht Kalk, wohin dann?

Ich mag mich gerne da aufhalten, wo das Grüne aufs Blaue trifft: Fluss, See, oder beides. In Kalk habe ich das nicht. Ich wohne über dem Betrieb, ich bin in Kalk geboren, 58 Jahre lang habe ich die Kirmes hier entweder mitgemacht oder geduldet (lacht). Irgendwann darf ich mich auch erholen.

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