Folgen eines brutalen AngriffsKölner liegt nach Faustschlägen im Wachkoma

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Ein Pfleger kümmert sich auf einer Intensivstation um einen Patienten.

Michael K. kämpft sich im Krankenhaus nach schweren Hirnverletzungen ins Leben zurück.

In einem Sekundenbruchteil änderte sich das Leben von Michael K. für immer: Der 59-Jährige wurde in Köln-Kalk niedergeschlagen.

Der Tag, an dem das gewohnte Leben von Michael K. zunichte gemacht wird, beginnt mit Sonnenschein und einer freudigen Aussicht: Es ist ein warmer Sommertag, um 14 Uhr will Michael K. den Vertrag bei seinem neuen Arbeitgeber unterschreiben. Seit Tagen freut er sich auf den Job in einem Callcenter.

Vormittags macht der 59-jährige Kölner noch ein paar Besorgungen, am Mittag zieht er seinen Einkaufstrolley zur U-Bahn-Haltestelle Kalk-Post, um nach Hause zu fahren. Auszug aus dem Polizeibericht vom 30. August 2022:

Nach bisherigen Ermittlungen soll es gegen 11.45 Uhr an der Treppe des Bahnsteigs in Richtung Bensberg zu einem Streit zwischen dem 59-jährigen Mann und einem unbekannten Tatverdächtigen gekommen sein, in dessen Verlauf der Unbekannte dem 59-Jährigen mindestens zwei Mal mit der Faust ins Gesicht geschlagen haben soll. Der Angegriffene stürzte daraufhin mit dem Kopf voran zu Boden und blieb bewusstlos liegen. Rettungskräfte brachten ihn mit einem Schädel-Hirn-Trauma in eine Klinik. Im Anschluss an die Tat flüchteten der Gesuchte und ein unbeteiligter Begleiter über die Platzfläche der Kalker Post.

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Das Kölner Paar war voller Pläne und wollte in die Türkei auswandern

Die Gehirnmasse sei von der Konsistenz her vergleichbar mit Pudding. So erklärt es später eine Ärztin der Lebensgefährtin von Michael K. Eine harte, knochige Schale soll das Hirn vor Schlägen und Stößen schützen. Sind die Bewegungen des Kopfes aber besonders heftig und ruckartig, kann die Schale sie nicht abfedern, dann kann es zu Verletzungen und Blutungen im Gehirn kommen. Und genau das widerfährt Michael K.

Seit jenem Spätsommertag liegt der Mann, der noch vor einem halben Jahr körperlich fit und voller Pläne war, im Krankenhaus, inzwischen in einer Art Wachkoma. Michael K. kann nicht aufstehen und nicht sprechen und wird über eine Magensonde ernährt. Manchmal bewegt er Beine und Hände, aber es ist nicht ganz klar, ob es bewusste Bewegungen sind oder reflexhafte Muskelzuckungen. Gegen seine Spastiken kriegt er Medikamente.

Neuerdings zwinkere er sie manchmal an, hat Anka Milow festgestellt, seine Lebensgefährtin. Aber auch dies kann sie nicht so richtig deuten. Sind das unwillkürliche Reaktionen? Oder will er ihr etwas mitteilen?

Der 30. August vorigen Jahres hat das Leben von Michael K. und Anka Milow komplett verändert. Das Paar schmiedete Auswanderungspläne. In ein oder zwei Jahren sollte es für immer an die Türkische Ägäis gehen, wo es ihnen im Urlaub so gut gefallen hat.

Stattdessen bangt die 62-jährige Krankenschwester nun um das Leben und die gemeinsame Zukunft mit ihrem Partner. Schlägt sich mit Anträgen, Bewilligungen und Bescheiden herum, korrespondiert mit Krankenkassen, der Arbeitsagentur und Anwälten. „Im letzten halben Jahr habe ich so viel telefoniert wie davor in meinem ganzen Leben zusammen nicht“, sagt sie. Es ärgert sie, dass man als Angehörige so vieles selbst regeln müsse, dass die Behörden, Ämter und Versicherungen nicht entgegenkommender seien.

Weißer Ring unterstützt die Lebensgefährtin von Michael K.

Unterstützung erhält Milow vom Weißen Ring. Der Verein hilft Kriminalitätsopfern im Umgang mit Behörden, vermittelt Kontakte zu Anwälten und hilft beim Ausfüllen von Anträgen – zum Beispiel, um beim Landschaftsverband Rheinland (LVR) lebenslange Renten nach dem Opferentschädigungsgesetz zu beantragen. Diese stehen Betroffenen gesetzlich zu. Leider, sagt Martin Büssow, ehrenamtlicher Betreuer beim Weißen Ring in Köln, dauere die Bearbeitung beim LVR mitunter sehr lang.

Was genau den Streit zwischen ihrem Freund und dem Täter ausgelöst haben könnte, von dem die Polizei in ihrer Pressemeldung spricht, weiß Anka Milow bis heute nicht. Will sie auch gar nicht wissen, sagt sie. „Vielleicht stand dieser Mann im Weg und Michael kam nicht durch, ich weiß es nicht.“ Sie möchte sich nicht mit den Einzelheiten belasten.

Kölner Polizei fasst Täter einen Tag nach der brutalen Tat

Den mutmaßlichen Täter fasste die Polizei einen Tag später. Zeugen erkannten ihn auf Fahndungsfotos aus der Videoüberwachung der Kalker Hauptstraße. Es ist ein 17 Jahre alter Kölner, nicht vorbestraft. Die Anklage, vermutlich wegen schwerer Körperverletzung, steht noch aus.

In der ersten Zeit, sagt Milow, wäre ihr der Jugendliche besser nicht begegnet. „Ich weiß nicht, was ich dann mit ihm getan hätte.“ Inzwischen habe sie sich ein wenig beruhigt. Ob sie es schafft, den Gerichtsprozess zu verfolgen, demjenigen ins Gesicht zu schauen, wisse sie noch nicht.

Womöglich im März, falls die Reha von Michael K. nicht noch ein weiteres Mal verlängert werden sollte, will Anka Milow ihn zu sich nach Hause holen. Als ambulante Krankenpflegerin weiß sie genau, was das bedeutet: Pflege rund um die Uhr. In ihrem Job will sie dann kürzer treten. Aber ein Pflegeheim, sagt die 62-Jährige, komme überhaupt nicht in Frage. Wenn Michael noch einmal Fortschritte machen sollte, ist sie überzeugt, dann nur zu Hause. Bei ihr. In seinem  gewohnten Umfeld.

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