Schätze aus alten ZeitenZu Besuch im Merheimer Pfarrarchiv – was man hier über Sprache und Kölner Geschichte lernt

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Zwei Menschen vor der Kirche fotografiert.

Hermann Pilger und Ursula Haak-Pilger kümmern sich um das Archiv von St. Gereon.

Quittungen, Berichte, Beschwerdebriefe, Tauf- oder Hochzeitsregister – im Archiv schlummern Dokumente aus längst vergessenen Zeiten.

Stressige Zeiten für Johann Weffer: Die „Brandenburgischen“ waren mit Gewalt in St. Gereon eingedrungen, hatten dabei die Kirchentür stark beschädigt und dann das Gotteshaus geplündert. Kerzen im Wert von neun Gulden und 22 Albus ließen die Soldaten, vermutlich Protestanten, mitgehen: „Wachs war damals wertvoll, für einen Gulden arbeitete ein Handwerker einen ganzen Tag“, erklärt Hermann Pilger, der gemeinsam mit seiner Frau das Pfarrarchiv von St. Gereon betreut.

„Ein Albus war eine Silbermünze, 24 Albus ergaben einen Gulden.“ Kirchmeister Weffer legt dann in seinem Rechenschaftsbericht aus dem Jahre 1627 dar, wie er sich mit einem Kollegen auf den Weg nach Köln gemacht hatte, um dort wenigstens Kerzen im Wert von drei Gulden als Ersatz zu erstehen.

Rund 3000 Archivalien lagern im Pfarrarchiv von St. Gereon

Kirchmeister, ein Begriff, der heute noch in der evangelischen Kirche gebräuchlich ist, gab es in jener Zeit auch bei den Katholiken. Meist waren es wohlhabende Landwirte, vom Pastor für jeweils zwei Jahre ernannt, die sich um die Finanzen der Gemeinde und die Bauprojekte kümmerten. „Dass ich so ein Dokument aus dem Dreißigjährigen Krieg in den Händen halten kann, ist doch großartig“, sagt Pilger mit Blick auf das bräunliche, schon etwas brüchige Papier, das sorgfältig in einer grauen Mappe aufbewahrt wird.

Rund 3000 Archivalien aus den letzten fünf Jahrhunderten lagern in wuchtigen Schränken in den Räumen des Pfarrhauses. Bis ins 19. Jahrhundert hinein war Merheim schließlich die bedeutendste Ortschaft in der bäuerlichen Umgebung, mit eigener Bürgermeisterei. Zur sonntäglichen Messe in St. Gereon kamen Menschen aus Holweide, Brück oder Dellbrück.

Ein gelbes Blatt Papier mit alter Schrift.

Der Bericht von KirchmeisterJohann Weffervon 1627

Merheimer Pfarrarchiv: Viele Schriftstücke gehen bis ins 17. Jahrhundert zurück

Erstaunlich viele der Schriftstücke stammen aus dem 17. Jahrhundert, auch das 19. und natürlich das 20. Jahrhundert sind gut vertreten: „Wenig ist aus dem 18. Jahrhundert erhalten, woran das liegt, wissen wir auch nicht. Vieles ging wohl in den Wirren der Franzosenzeit verloren“, erklärt Ursula Haak-Pilger. Wie ihr Gatte unterrichtete sie an einer Schule, der Ruhestand war nahe, als 2014 der frühere Archivar der Gemeinde sein Ehrenamt aus Altersgründen niederlegte. Seither teilt sich das Ehepaar die Stelle, längst ist die Arbeit zu einem Hobby geworden, mehrmals in der Woche gehen sie ins Archiv, um aus den alten Schriftstücken etwas über die Vergangenheit ihrer Gemeinde zu erfahren.

Ursula Haak-Pilger ist Historikerin, da liegt das Interesse an dem Dokumentenschatz ohnehin nahe. Aber auch Hermann Pilger ist „vorbelastet“, betreibt schon seit Langem privat Familienforschung: „Das hilft mir jetzt sehr bei der Entzifferung der alten Handschriften“, erzählt er lachend. Und er kann sich an ungewöhnlichen Begriffen wie „Kirchengezeugh“ erfreuen, das Kirchmeister Weffer für eine Prozession ebenfalls aus Köln mitgebracht hatte – wertvolle Kirchengeräte wie eine Monstranz, die hier in der Merheimer Kirche nicht mehr sicher waren.

Dokumente zeigen unterschiedliche Schreibweisen für denselben Begriff

Damals schrieb jeder, der schreiben konnte, die Worte noch frei nach Gehör auf, einen Duden gab’s erst mal nicht. Deshalb stößt man in den Dokumenten auf ganz unterschiedliche Schreibweisen für ein- und denselben Begriff. „Da klingt rheinische Sprachfärbung durch, aber es kommt uns so vor, als hätte man früher hier eher einen Dialekt aus dem Bergischen gesprochen als Kölsch“, sagt Hermann Pilger. Wenn er Genaueres wissen möchte, helfen die Quittungen, Berichte, Beschwerdebriefe, Tauf- oder Heiratsregister im Archiv allerdings nicht weiter. Für allgemeinere Darstellungen der jeweiligen Epoche schlagen die Archivare in der Forschungsliteratur nach.

Auch die Lücken im Merheimer Archiv lassen sich zum Teil schließen. „Wenn etwas fehlt, schauen wir häufig im Archiv des Erzbistums oder im Duisburger Landesarchiv nach“, berichtet Ursula Haak-Pilger. So liefern die Archivfunde oft genug Ausgangspunkte für kürzere Aufsätze zur Gemeindegeschichte, die das Ehepaar zum Beispiel in „Unser Weg“, dem Pfarrbrief der katholischen Pfarrgemeinden St. Hubertus und St. Gereon, oder im halbjährlich erscheinenden „Merheimer Terminkalender“ des Bürgervereins veröffentlicht.

Da geht es etwa um drei Geistliche aus Wipperfürth, die im 17. Jahrhundert Pfarrer in Merheim waren, eine Verwandte des Pastors Johannes von Langenberg wurde als Hexe verbrannt. Oder um den Küster Joseph Malmede, der im 19. Jahrhundert einen Kleinkrieg mit der Kirchenobrigkeit um die Vergrößerung seiner Küsterei führte, den Neubau aber schließlich selbst bezahlen musste. Das war möglich, weil er gleichzeitig Wirt des „Hähnche“ in Brück war und außerdem reich eingeheiratet hatte.

Ehepaar löst Rätsel um Kreuz auf dem Kirchhof von St. Gereon

Auch das Rätsel um ein Kreuz auf dem Kirchhof von St. Gereon, auf dem seltsamerweise die Jahreszahlen fehlen, konnte das Ehepaar wenigstens teilweise lösen. Jener Theodor Dusar, der hier mit seiner Frau Catharina Koch begraben liegt und aus dem belgischen Nivelles stammte, hatte offensichtlich als Verwalter der Isenburg in Holweide sein Geld verdient – wenn er denn mit „Theodor Thusart“ identisch ist. „Die Lebens- und Sterbedaten haben wir nicht gefunden, aber das Paar bekam 1695 sein zehntes Kind, das steht im Taufregister“, erzählt Hermann Pilger.

Einen Pfarrer „Overrath“ hatte die Gemeinde im vorletzten Jahrhundert auch einmal. Der stammte aus Rösrath und war vermutlich ein früher Verwandter der Fußballlegende Wolfgang Overath. Anlässlich der geplanten Feiern zum 200-jährigen Bestehen des Neubaus von St. Gereon im Jahre 2020 hatten die „Archivare“ eigentlich Führungen in der Umgebung der Kirche vorgesehen, bei denen auch solche Anekdoten zur Sprache kommen sollten. Wegen Corona fielen die allerdings zunächst aus. Am 9. und 10. September, den Tagen des Offenen Denkmals, sollen nun aber Führungen stattfinden. „Wir hoffen, dass dann auch eine Kunsthistorikerin dabei ist, die durch das Innere der Kirche führt“, sagt Ursula Haak-Pilger. „Das überlassen wir den Profis.“

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