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Sommer, Sonne, StrüßjeWas macht der Kölner Karneval eigentlich im Sommer?

6 min
Eine Tänzerin der Tanzgruppe Kölsche Harlequins wird durch die Luft geworfen.

Es geht hoch hinaus: Die Tanzgruppe Kölsche Harlequins der KG Alt-Köllen vun 1883 e.V. beim Training. 

Noch 90 Tage bis zum 11. 11. und bis es wieder heißt: „Kölle alaaf!“. Aber was machen die Karnevalistinnen und Karnevalisten in der Wartezeit? 

Dienstagabend, eine Tennishalle im Kölner Norden: Die Tür ist angelehnt, gedämpft dringt der Refrain von „Dat es Karneval“ nach draußen. So richtig nach Karneval fühlt es sich heute aber nicht an. Es sind noch fast 25 Grad und die Sonne macht lange noch keine Anstalten, unterzugehen. Zwischen den Liedzeilen tönt immer wieder Stampfen und ein gelegentliches „Drei, Zwei, Eins!“ aus der Halle. Wer hier so in hochsommerlicher Karnevalsstimmung ist, das sind die „Kölsche Harlequins“, die Tanzgruppe der KG Alt-Köllen vun 1883. Am Abend trifft sich die Gruppe zum Tanztraining, so wie jede Woche. Immer zweimal, manchmal dreimal, manchmal viermal, ob Karneval ist oder nicht.

Dass eine Stadt wie Köln im Sommer karnevalsfrei ist, kann sich wohl niemand vorstellen, der einmal den Rosenmontagszug miterlebt hat. Es bleibt also die Frage: Was machen Kölns Karnevalistinnen und Karnevalisten eigentlich im Sommer?

„Ich möchte auch fürs Publikum besser werden.“

„Für uns fängt Karneval nicht erst am Elften an, für uns hört er eigentlich nie auf“, sagt Sascha Rombouts, Kommandant der Kölschen Harlequins und lacht. Einige andere Harlequins sind auch schon da, heute natürlich in Zivil. Während die ersten Beine fast senkrecht in die Luft geworfen werden, dehnen sich andere noch. In einer Viertelstunde ist Trainingsbeginn. Rombouts Sommer besteht nach eigener Aussage vor allem aus regelmäßigem, hartem Training. Auch Jens Sobania, Tanzoffizier der Gruppe, hat wenig Zeit für Karnevalspausen. Aber eigentlich will er die auch gar nicht: „Gerade bei Hebungen merkt man Pausen einfach viel zu sehr. Das ist dann auch gefährlich, da zu schwächeln. Ich möchte konstant besser werden: Für die Gruppe, für mich und natürlich vor allem fürs Publikum in der Session“, sagt er. Direkt nach Aschermittwoch starten deswegen die Probetrainings bei den Kölschen Harlequins. Dort entscheidet sich, wer neues Mitglied in der Gruppe werden darf. Ungefähr vier Wochen später geht es dann auch wieder mit dem regulären Training los.

Die Tanzgruppe Kölsche Harlequins beim Training

Um beim Heben die richtige Kraft und Körperspannung zu haben ist regelmäßiges Training gefragt.

Während sich Kommandant und Tanzoffizier anfangen aufzuwärmen, erzählt Thorsten Herwig, wie der Sommer für ihn so aussieht. Er ist der Tanzbeauftragte der Gruppe und damit vor allem in Organisationsaufgaben eingebunden: „Sommer heißt für mich auch immer die weniger aufregende Planung. Wir kümmern uns zum Beispiel um die Uniformen für die neuen Mitglieder, beantworten Buchungsanfragen und planen Fototermine“. In den letzten Jahren hat sich außerdem ein immer gefragteres Sommergeschäft entwickelt. Die Gruppe und ihre Kindertanzgruppe treten regelmäßig auch im Sommer auf, etwa bei Straßenfesten, Geburtstagen oder Veranstaltungen befreundeter Karnevalsgesellschaften. „Das freut uns natürlich sehr, auch im Sommer Bühnenerfahrung sammeln zu können und wir würden auch gerne noch mehr Buchungen annehmen. Sommerauftritte sorgen dafür, dass wir einen zusätzlichen Ansporn beim Training haben“, sagt Herwig.

Vorfreude ist der Ansporn in der Sommerzeit

Ortswechsel in den Kölner Osten nach Brück. Auch Uta Schumann, Geschäftsführerin und Pressesprecherin der KG Löstije Brücker Müüs hat im Sommer alle Hände voll zu tun. „Wir sind zwar ein etwas kleinerer Veedelsverein, aber die Sommerzeit ist für uns trotzdem keine untätige. Veranstaltungsanträge wollen gestellt sein, wir müssen unsere neuen Orden gestalten, die letzte Session evaluieren, und, und, und. Da nimmt das karnevalistische Ehrenamt auch jetzt gut und gerne mal mindestens einen Tag am Wochenende ein“, erzählt sie. Der größte Teil der Planung betrifft tatsächlich auch schon wieder die übernächste Session, denn gebucht wird immer zwei Jahre im Voraus.

Uta Schumann, Geschäftsführerin & Pressesprecherin und Dominik Becker, Präsident von der KG Löstije Brücker Müss e. V. im Garten.

Uta Schumann, Geschäftsführerin & Pressesprecherin und Dominik Becker, Präsident von der KG Löstije Brücker Müss e. V.

Auch Dominik Becker, Präsident der Löstijen Brücker Müüs, nutzt den Sommer produktiv: „Sommer heißt für mich als Karnevalist: Organisieren, Planen und dabei schon wieder Tränchen in die Augen kriegen vor lauter Vorfreude“. Für beide steht fest, dass die Liebe zum Karneval und die Gemeinschaft im Verein die Arbeit auch im Sommer absolut wettmacht. „Pause brauche ich da eigentlich selten, denn es macht zum Glück so viel Spaß!“, erzählt Schumann und blättert im Sessionsheft der vergangenen Session. Die Erinnerung an die Highlights im Karneval reichen manchmal schon als Motivation, sagt er. Um den Zusammenhalt innerhalb des Vereins auch über die karnevalsfreie Zeit zu halten, organisiert die Karnevalsgesellschaft regelmäßig Ausflüge und monatliche Stammtische, die sehr gut angenommen werden.

Planen für viel Kamelle im Winter

Auch im Kölner Süden herrscht bei sommerlichen Temperaturen karnevalistisches Treiben. Marcus Becker, 1. Vorsitzender und Präsident der KG Köln-Rodenkirchen von 2014 ist mit dem Karneval verbunden, seit er denken kann: „Karneval ist mein Hobby, meine Leidenschaft, irgendwo auch mein Leben. Bei mir kehrt nie Ruhe ein“. Ganz nach dem Motto: „Nach der Session ist vor der Session“, kümmert auch er sich im Sommer bereits um die nächste und vor allem übernächste Session. Wie er das mit seinem Leben abseits vonn Karnevalssitzungen und Umzügen vereinbart? „Meine Liebsten leben die Karnevalsliebe zum Glück genauso wie ich. Sonst wäre mein Engagement nicht in diesem Umfang möglich. Aber es lohnt sich so sehr. Unsere Arbeit im Sommer sorgt auch dafür, dass es wieder viele Kamelle und Strüßje zu fangen gibt und der Karneval ein Erfolg werden kann!“.

Marcus Becker, 1. Vorsitzender und Präsident der KG Rodenkirchen seit 2014 e.V. spricht auf einer Veranstaltung ins Mikro.

Auch zwischen den Sessionen im Karnevals-Modus: Marcus Becker, 1. Vorsitzender und Präsident der KG Rodenkirchen seit 2014 e.V.

Zurück bei den Kölschen Harlequins: Mittlerweile hat sich die Halle gefüllt und die ersten Damen werden auf den Schultern der Herren durch die Halle getragen. Auch zwei verletzte Mitglieder sind gekommen. Ein Tänzer ohne Tanzpartnerin macht fleißig Liegestütze, um seine Hebekraft zu trainieren. „Wir wissen, dass es sich auszahlt, hart zu trainieren. Und wir verstehen uns als Gruppe außerhalb der Halle super. Deswegen kommen wir eigentlich alle gerne ins Training und treffen uns auch mal samstags im Park für Zusatz-Trainings oder Unternehmungen“, erzählt Kommandant Rombouts.

Die Tänzerinnen der Tanzgruppe Kölsche Harlequins beim Training.

Damit die Choreografien sitzen, trifft sich die Tanzgruppe auch mal am Wochenende.

„Der Spaß ist und bleibt im Vordergrund, aber es ist eben ein Leistungssport, und zwar einer, der keine Fehler verzeiht.“, so Tanzoffizier Sobania. Dafür nehmen die Mitglieder sogar eine Urlaubssperre von September bis Aschermittwoch auf sich. Fast wie aufs Stichwort ertönt ein Pfiff vom Ende der Halle: „Ihr habt auch noch einen anderen Job! Wir fangen an!“, Trainerin Ines Autermann weiß, dass es noch viel zu tun gibt, bevor die Session beginnt. Vier Tänze von jeweils mindestens sechs Minuten Länge voll mit Hebungen, Würfen und ausgefeilter Choreografie müssen einwandfrei sitzen.

Gemeinsam mit Choreograf Michael Rehm fordert sie deswegen auch im Sommer die kleine Extraportion Disziplin von der Gruppe, aber eben auch immer mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen. „Ganz ehrlich, man muss auch ein bisschen positive Beklopptheit mitbringen, sonst zieht man das nicht durch. Und keine Sorge, man kann diese Beklopptheit auch lernen“, ruft Sascha Rombouts bevor es wieder heißt: „Dat es Karneval!“, und eine der Tänzerinnen meterhoch, aber äußerst elegant durch die Luft geworfen wird.