Kritischer Blick auf die StadtADAC-Experte: Köln braucht einen autofreien Stadtkern

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Am Habsburgerring in Köln

Köln – Wie steht es um das Radverkehrskonzept in Köln? Warum dauert die Umsetzung von Verkehrsprojekten oft so lange? Welche Chancen ergeben sich durch die Digitalisierung? Müssen Autos raus aus der Stadt? Mit solchen Fragen setzt sich Mobilitätsexperte Roman Suthold (49) auseinander. Suthold leitet seit 15 Jahren den Fachbereich „Verkehr und Umwelt“ beim ADAC Nordrhein. Seine Spezialgebiete sind Mobilität in Ballungsräumen, kommunale Verkehrsplanung und Digitalisierung. So sieht der ADAC den Verkehr der Zukunft.

Radverkehrskonzept

„Köln hat in der Theorie ein ausgeklügeltes Konzept mit einer engmaschigen Netzstruktur entwickelt. Doch in der Umsetzung werden immer nur ein paar hundert Meter neue Radwege fertig. Das Problem sind die Kreuzungen. Dort passieren die meisten Unfälle, zum Beispiel bei Abbiegevorgängen. Große Knotenpunkte wie der Barbarossaplatz müssen komplett neu geplant werden. Das ist komplex und dauert sehr lange. Auf freier Strecke lassen sich Radwege viel einfacher umsetzen. Die Stadtverwaltung will schnelle Erfolge präsentieren, kümmert sich deshalb lieber um die 200 Meter zwischen zwei Knotenpunkten.“ 

Radschnellwege

„Wir brauchen Radschnellwege, die nicht an der Stadtgrenze von Köln enden, sondern bis mitten in die Stadt führen, damit die Menschen mit dem Fahrrad pendeln können. Köln muss stärker mit den umliegenden Kommunen zusammenarbeiten. Das Hauptproblem ist, dass viele Pendler nach wie vor mit dem Auto kommen, weil am Stadtrand ein schneller Umstieg auf den ÖPNV nicht immer möglich ist.“

Planung von Kreuzungen

„Eine der größten Herausforderungen sind die Lichtsignalanlagen. Ändert man an einer Kreuzung die Ampelschaltung, hat das massive Auswirkungen auf das Gesamtnetz und die grüne Welle. Die Lichtsignaltechniker müssen sich immer mit Straßenbauern und Verkehrsplanern abstimmen. Da sind viele Abteilungen involviert, die dann im gesamten Stadtnetz nachjustieren müssen. Die KVB muss mit ihrem eigenen sehr ausgeklügelten ins Boot geholt werden. Eine Kreuzung wie den Barbarossaplatz neu zu planen, kann deshalb Jahre dauern.“

Verkehrsplanung

„Die Verkehrsplaner in Köln legen nicht die Füße auf den Tisch. Es gibt zu wenige Planer für die Fläche, die bearbeitet werden muss. Teilweise wird deshalb auf Externe zurückgegriffen. Die Kommunen konkurrieren auch noch mit Land und Bund, dem Landesbetrieb Straßen NRW und Autobahn GmbH um Fachkräfte. Unabhängig davon sollten die Fachabteilungen in Köln mehr miteinander kommunizieren und ganzheitlicher denken. Dass Radwege vor einer Baustelle enden, muss nicht sein. da gibt es sicher noch Optimierungspotential.“

Vorbilder Wien und Kopenhagen

„Kopenhagen kann man als Fahrradhauptstadt bezeichnen. In den 1960/70er Jahren stand die Stadt wirtschaftlich unglaublich schlecht dar. Das günstigste Verkehrsmittel, das man fördern konnte, war das Fahrrad. Wien ist eine ÖPNV-Hauptstadt, weil vor 50 Jahren mit einer Volksbefragung die Entscheidung getroffen wurde, den ÖPNV zu stärken.

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Anschließend hat man sich über Jahrzehnte auf den Ausbau und die Priorisierung des ÖPNV konzentriert. Diese Städte zeigen also Potentiale auf und geben Anregungen. Aber als Blaupause können die Konzepte nicht eins-zu-eins auf deutsche Städte wie Köln übertragen werden. Jede Stadt hat ihre eigene Mobilitätskultur. Wir brauchen einen Wandel weg von der autogerechten hin zur menschengerechten Stadt, in der die einzelnen Verkehrsträger ihre Stärken ausspielen und nicht mehr alles auf ein Verkehrsmittel ausgerichtet wird.“

ABC-Planung

„Köln sollte sich stärker an den Niederlanden orientieren. Da gibt es das Konzept der ABC-Planung. Städte werden in verschiedene Zonen eingeteilt. Der Stadtkern ist autofrei, man kommt mit dem Fahrrad durch und die Erreichbarkeit für Rettungsdienste, Müllabfuhr oder Lieferdienste bleibt gegeben. In diese Richtung geht es ja durchaus schon mit der Kölner Altstadt. Von allen Seiten kann man bei unseren Nachbarn an die Innenstädte heranfahren und sein Auto in Parkhäusern abstellen. Je kürzer die Entfernung zur Fußgängerzone, desto teurer wird das. Aus dem Umland bestehen sehr gute Möglichkeiten, mit dem ÖPNV schnell in die Stadt zu kommen. Das ist dort schon jetzt die attraktivere Alternative. Der Durchgangsverkehr muss gut organisiert außen herumgeführt werden.“

Achillesferse der KVB

„Köln hat sich für eine Mischung aus U-Bahn und Straßenbahn entschieden. Sobald im öffentlichen Straßenraum ein Unfall passiert oder die Bahn der Müllabfuhr hinterherfahren muss, sind Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit dahin. Köln braucht eine Lösung, um mehr ÖPNV-Kapazitäten auf der Ost-West-Achse zur Verfügung zu stellen – egal ob unter- oder oberirdisch. Das ist keine Frage ideologischer Grundsätze.“

Fehler bei neuen Veedeln

„Ich fordere, dass erst der ÖPNV-Anschluss realisiert wird und dann Häuser auf die grüne Wiese gesetzt werden. Widdersdorf ist fast schon europaweit das absolute Negativbeispiel. Hier ist zwar eine Trasse vorgesehen, aber bis die Straßenbahn kommt, vergehen wohl leider noch viele Jahre. Die Menschen, die in Widdersdorf wohnen, sind genervt, weil sie, zumindest vor Corona, morgens um 7.30 Uhr schon vor ihrer Haustür im Stau gestanden haben.“

Wasserbusse und Seilbahnen

„Köln braucht den Mut, neue Komponenten wie Wasserbus- oder Seilbahnsysteme zu integrieren. Über Wasserbusse wird schon seit 30 Jahren gesprochen, über Seilbahnen seit zehn Jahren. Das bestehende Verkehrssystem läuft am Limit. Ergänzungen sind dringend notwendig.“

Flächenkonkurrenz im öffentlichen Raum

„Der Verkehr ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen, der Platz für Autos, ÖPNV, Fahrräder, E-Roller und Fußgänger in Köln aber derselbe geblieben. Die Flächenkonkurrenz gehört zu den großen Herausforderungen in der Stadt. Wir wollen mehr Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum, mehr Platz haben für Fahrradstreifen und Fußwege. Den Autofahrern einfach pauschal Fahrspuren und Parkplätze wegzunehmen, ist zu kurz gedacht. Dann erhöht sich angesichts der ungebrochen hohen Zulassungszahlen in Köln nur der Parkdruck im weiteren Umfeld. Mehr Fläche lässt sich aber gewinnen, wenn ein Teil des ruhenden Verkehrs aus dem öffentlichen Raum in Quartiersgaragen oder nachts nicht ausgelastete Parkhäuser verlagert wird.“

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Parksuchverkehr

„In Köln sind bis zu 30 Prozent des Verkehrs Parksuchverkehr. Wir müssen den vorhandenen Parkraum besser zu nutzen. Hier kann man unheimlich viel über Daten optimieren, Anbieter und Nachfrager schnell zusammenbringen. Das Kölner Start-Up Ampido vermittelt zum Beispiel über eine App private Stellplätze. Wer den ganzen Tag nicht da ist, kann für diesen Zeitraum seinen Parkplatz weitergeben. Auch Mitarbeiterstellplätze, die abends leer stehen, können privat für einige Stunden vermietet werden. Digitales Parkraummanagement ist der richtige Ansatz.“

Anwohnerparken

„Dass Städte wie Köln knappen Parkraum effektiver bewirtschaften und die sehr niedrigen Gebühren für Bewohnerparkausweise anheben wollen, ist nachvollziehbar. Die Möglichkeit, in der Innenstadt zu leben und in angemessener Nähe zum Wohnort zu parken, darf aber keine soziale Frage werden, so dass sich nur noch Menschen mit eigenem Stellplatz oder ausreichend Budget ein Auto erlauben können. Wir fordern die Stadt deshalb auf, die Gebühren sozialverträglich zu gestalten, für die Anwohner zumutbare Höchstsätze festzulegen und auch die Größe des Fahrzeugs zu berücksichtigen. Wir erwarten ein Gesamtkonzept, das über die Gebührengestaltung hinausgeht und den Anwohnern Alternativen aufzeigt, bevor die Daumenschrauben angezogen werden. Dazu zählen Quartiersgaragen, ein günstiger und zuverlässiger ÖPNV mit dichtem Takt und Radwege, die ihren Namen auch verdienen.“

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