„Abgrenzung aufgeweicht“Wie die AfD einen Kölner Rechtsextremisten zurück auf die politische Bühne bringen will

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Markus Wiener bei einer Demonstration gegen die Coronamaßnahmen am Neumarkt im Januar 2022.

Markus Wiener bei einer Demonstration gegen die Coronamaßnahmen am Neumarkt im Januar 2022.

Markus Wiener, früheres Gesicht der „pro“-Bewegung in Köln, soll von der AfD wieder auf die politische Bühne gebracht werden. Andere Parteien wehren sich – womöglich vergebens.

Vertreter der AfD versuchen derzeit, den Kölner Rechtsextremisten Markus Wiener auf die politische Bühne zurückzubringen. Der ehemalige Ratsherr der rechtsextremen Gruppierung „pro Köln“, die als Teil der „pro Deutschland“-Bewegung fungierte, wurde von der AfD-Fraktion in der Landschaftsversammlung Rheinland als sachkundiger Bürger vorgeschlagen. Wiener war zudem Generalsekretär von „pro NRW“, der Landesvertretung der inzwischen aufgelösten Bewegung.

Neben ihm wurde für diese Rolle auch Irmhild Boßdorf vorgeschlagen, Mutter der rechtsextremen Aktivistin Reinhild Boßdorf, die lange als zentrale Figur in der ebenfalls rechtsextremen Identitären Bewegung fungierte. Gemeinsam mit ihrer Tochter tritt Boßdorf auf zahlreichen Veranstaltungen auf, auch im Umfeld der AfD-Bundestagsfraktion ist sie vernetzt.

Die Vorschläge wurden mit verschiedenen Umbesetzungen innerhalb der Fraktion verbunden. Im Normalfall ist die Wahl der sachkundigen Bürgerinnen und Bürger ein rein formaler Akt: Die Landschaftsversammlung, die über die Finanzmittel des Landschaftsverbandes Rheinland mitentscheidet, stimmt den Vorschlägen der Fraktionen zu. In diesem Fall aber stimmten die Fraktionen, abgesehen von der AfD, gegen den Vorschlag.

„Wir konnten es mit unserem Gewissen nicht vereinbaren“, sagte ein Mandatsträger dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Ein anderer sieht den Vorschlag als Indiz für einen „massiven Rechtsruck“ innerhalb der AfD-Fraktion. Weil die Posten zunächst unbesetzt waren, landete der Fall beim Innenministerium. Das entschied, eine weitere Abstimmung durchführen zu lassen. Das Ergebnis war dasselbe.

AfD in der Landschaftsversammlung: Rechtsstreit in alle Richtungen

Nun hat das Kommunalministerium des Landes entschieden, beide Beschlüsse aufzuheben. In einem Schreiben des Ministeriums, das dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegt, werden die Fraktionen per Verfügung aufgefordert, der Umbesetzung der insgesamt acht vakanten Positionen durch die AfD-Fraktion zuzustimmen, sofern diese die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllen.

In der Landschaftsverbandordnung ist geregelt, dass als Ausschussmitglieder entweder Mitglieder der Landschaftsversammlung oder „Bürger aus dem Gebiet des Landschaftsverbandes gewählt werden, die durch Fachwissen oder Verwaltungserfahrung besondere Eignung hierfür aufweisen.“ Es ist denkbar, dass die AfD-Fraktion diese Anforderung bei Markus Wiener und Irmhild Boßdorf erfüllt sieht.

Juristisch hat sich durch die Abstimmungen eine unübersichtliche Lage ergeben: Die AfD-Fraktion klagt gegen die Landschaftsversammlung, die Landschaftsversammlung wiederum plant eine Klage gegen das Kommunalministerium, um die Anordnung anzufechten. Mit dieser sei, so sagte ein Mitglied, keine freie Wahl möglich. Bei der Sitzung der Landschaftsversammlung am Donnerstag stehen die verschiedenen juristischen Streitpunkte auf der Tagesordnung.

Die Unvereinbarkeitsliste der AfD und ihr Schlupfloch

Dass Markus Wiener vorgeschlagen wird, ist ein bemerkenswerter Vorgang: Die AfD hat eine bundesweit gültige Unvereinbarkeitsliste, unter die auch die „pro Deutschland“-Bewegung fällt. In Köln war Wiener jahrelang das Gesicht der Bewegung. Dass er nun eng mit der AfD zusammenarbeiten soll, ist aus Sicht der Bundespartei kein Problem. Aus zwei Gründen: Zum einen soll Wiener nur von der AfD vorgeschlagen werden, nicht aber ein Mandat der Partei ausüben. Insofern ist die Unvereinbarkeit aus Sicht der Partei nicht gegeben. Auch spielt sein Engagement bei „pro Köln“ keine Rolle, weil sich die Bewegung inzwischen aufgelöst hat und Wiener dementsprechend kein Mitglied ist.

Schon 2019 bewegte er sich im Umfeld der AfD: Er arbeitete als Referent für den früheren AfD-Landtagsabgeordneten Roger Beckamp, der zuletzt  als Bundestagsabgeordneter Propaganda des iranischen Regimes verbreitet hat. Nun soll Wiener selbst zurück auf die politische Bühne. „Eine bloße Verbindung – in welcher Form auch immer – reicht nicht aus. Entscheidend ist die Mitgliedschaft in einer Organisation, die auf der Unvereinbarkeitsliste steht“, heißt es von der Bundesgeschäftsstelle der AfD auf Anfrage. Selbiges gilt für Irmhild Boßdorf: Zwar agiert sie bloß im Umfeld der früheren Identitären Bewegung Deutschlands, ist auf dem Papier aber kein Teil der Bewegung. 

Aus Sicht von Experten ist der Vorgang exemplarisch für den Zustand der AfD in Nordrhein-Westfalen. „In der Anfangszeit sah es so aus als bräuchte die AfD das bisschen Personal, was es rechts von ihr gibt, nicht. Inzwischen scheint vor allem auf lokaler Ebene die Abgrenzung zunehmend aufgeweicht zu werden“, sagte Patrick Fels von der „Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus“. „Die Vorgänge in der Landschaftsversammlung haben nicht das große Potenzial, innerhalb der Partei einen Skandal auszulösen – obwohl man hier offen mit Rechtsextremen kooperiert. Das beschreibt den Zustand der AfD“, so Fels weiter.

„Es gibt kaum noch Dinge, bei denen sich die Partei genötigt sieht, zu bremsen“

Nicht zuletzt durch ihre Personalentscheidungen sei fraglich, wie konsequent sich die AfD noch an ihre Unvereinbarkeitsliste hält. Neben den Personalie Markus Wiener und seiner Vergangenheit in der „pro“-Bewegung sieht Fels auch die Rolle des Fraktionsvorsitzenden Yannick Noé kritisch, er „hatte in der Vergangenheit eng mit der Identitären Bewegung zusammengearbeitet“, betont Fels. „Obwohl beide Gruppen nicht mehr existieren beziehungsweise inaktiv sind, standen und stehen sie auf jener Unvereinbarkeitsliste der AfD.“

Sei in der Anfangszeit vielen in der Partei die Abgrenzung nach Rechtsaußen noch wichtig gewesen, scheine dies immer mehr an Bedeutung zu verlieren. „Inzwischen gibt es kaum noch Dinge, bei denen sich die Partei genötigt sieht, auszubremsen.“

Julia Klatt, die ebenfalls für die „Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus“ arbeitet, sagt: „Die AfD versucht durch Ihre Rolle als kleine Fraktion in der Landschaftsversammlung, parteirelevante Themen zu setzen. Stößt sie dabei auf Widerstand aus anderen Reihen der Versammlung, reagiert sie mit parteitypischem Verhalten und inszeniert sich als Opfer.“

Die aktuelle Klage gegen sei ein Beispiel hierfür. „Den LVR sieht die AfD für sich als gute Chance, rheinlandspezifisch Einfluss zu nehmen: der LVR ist hier größter Leistungsträger für soziale und kulturelle Einrichtungen und die Mitglieder der Landschaftsversammlung stimmen über die Höhe des Haushalts und die Verteilung dessen ab“, so Klatt weiter.

AfD kämpft im Rheinland gegen die eigenen Unsichtbarkeit

Aus ihrer Sicht hat die Radikalisierung von AfD-Fraktionen auch mit der Entwicklung der Parteienlandschaft insgesamt zu tun. „Die rechte Parteienlandschaft im Rheinland scheint aktuell zu schrumpfen. Zuletzt löste sich die Partei Die Rechte im Rhein-Erft-Kreis auf“, so Klatt weiter: „Ob die AfD in dem Zusammenhang Stimmenzuwachs erwarten kann, bleibt abzuwarten.“

In Nordrhein-Westfalen ist die AfD aktuell wenig sichtbar, „die Landtagsfraktion hat keine schillernden Figuren, die als Gesichter der parlamentarischen Arbeit der AfD taugen würden“, sagte Patrick Fels. „Auch auf kommunaler Ebene ist sie derzeit wenig präsent. Auch deswegen sucht sich die Partei neue Betätigungsfelder, wie etwa die Landschaftsversammlung.“ Dass sie den aktuellen Rechtsstreit gewinnt, scheint dabei nicht ausgeschlossen.

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