Zu wenig Inklusionsplätze in KölnKaum noch Platz an Förderschulen – Elternverein macht Stadt schwere Vorwürfe

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Ein Kind mit Behinderung sitzt in seinem Rollstuhl in einer Klasse.

Inklusionsplätze an weiterführenden Schulen sind in Köln Mangelware.

Der Elternverein „mittendrin e.V.“ wirft der Stadt vor, dass sie bei der Inklusion die rechtlich möglichen Kapazitäten nicht ausreizt.

Die Kölner Förderschulen platzen aus allen Nähten. Vor allem die Schulen mit dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung müssen seit Jahren regelmäßig Zusatzklassen einrichten, um den Bedarf zu decken. Allein in den Schulen mit diesem Förderschwerpunkt stieg die Zahl der Schülerinnen und Schüler in den vergangenen zehn Jahren um 20 Prozent an.

Derzeit werden in den Kölner Förderschulen Geistige Entwicklung 723 Schüler beschult in Klassen mit durchschnittlich zwölf Kindern. Dabei liegt der Richtwert für Klassengrößen eigentlich bei zehn Kindern. Die Stadt rechnet damit, dass die Nachfrage an Plätzen in den nächsten Jahren weiter steigen wird.

Um den Bedarf zu decken, gibt es zwei Wege: Zusätzliche Förderschulen bauen oder mehr Inklusion fördern, indem mehr Plätze im Gemeinsamen Lernen an den Regelschulen geschaffen werden. Die Stadt Köln setzt darauf, das Problem durch den Bau von zwei neuen Förderschulen zu lösen. Im vergangenen Schulausschuss begründete die Verwaltung das damit, dass „die Möglichkeiten, in städtischen Schulen weitere Plätze im Gemeinsamen Lernen zu schaffen, ausgereizt sind“.

Stadt Köln sieht die Platzkapazitäten ausgereizt

Aktuell sei die Anzahl der Plätze im Gemeinsamen Lernen schulrechtlich auf drei pro Klasse festgelegt. Und die würden voll ausgereizt, heißt es in der Antwort der Verwaltung auf einen Antrag der Stadt AG Behindertenpolitik. Zusätzliche Plätze könnten daher in Köln nur durch den Bau neuer Schulen, insbesondere Gesamtschulen geschaffen werden. Da die Stadt diese schulrechtlichen Rahmenbedingungen nicht ändern könne, sei der Ausbau von Förderschulen alternativlos.

Der Elternverein „mittendrin“ weist nun allerdings nach, dass es diese „angebliche Obergrenze“ von drei Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf pro Klasse im Schulgesetz so gar nicht gibt. Tatsächlich heißt es im bereits 2018 veröffentlichten Erlass zur Neuausrichtung der Inklusion in öffentlichen weiterführenden Schulen im NRW-Schulgesetz, dass „eine Überschreitung der Aufnahme von drei Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf an einer Schule des Gemeinsamen Lernens möglich ist“. (§19). Und zwar dann, wenn die Schulaufsicht hierfür in Abstimmung mit dem Schulträger die Voraussetzungen schafft – also Schulen, die die Zahl erhöhen, mit mehr sonderpädagogischem Lehrpersonal ausstattet.

Wir schicken Inklusionskinder von Poll quer durch die Stadt in die Gesamtschule nach Bocklemünd, weil wir die Möglichkeiten des Schulrechts nicht ausschöpfen.
Eva-Maria Thoms, Vorsitzende von „mittendrin e.V.“

Die Vorsitzende von „mittendrin“, Eva-Maria Thoms, zeigte sich fassungslos, „dass die Stadt ihre Schulentwicklungsplanung augenscheinlich nicht auf Basis der korrekten Rechtslage vornimmt“. Stattdessen lege man eine Art „gefühlte Rechtslage“ zugrunde, indem man den Regelfall von drei Kindern quasi zu einer Obergrenze deklariere.

Thoms forderte die Stadt auf, ihre Schulentwicklungsplanung vor dem Hintergrund zu überprüfen und neue Plätze im gemeinsamen Lernen zu schaffen. Schon durch die Erhöhung der Zahl der Kinder pro Klasse von drei auf vier könnten in Köln in den 5. Klassen sofort 199 weitere Plätze im Gemeinsamen Lernen geschaffen werden, rechnet „mittendrin“ vor.

Aufgrund des Mangels an Inklusionsplätzen vor allem an den Gesamtschulen bekommen jedes Jahr etwa ein Drittel der an dieser Schulform angemeldeten Inklusionskinder keinen Platz. Wer einen der raren Plätze zugewiesen bekommt, hat oft sehr weite Schulwege, die die Eltern mit dem Pkw bewältigen müssen. „Wir schicken Inklusionskinder von Poll aus quer durch die Stadt in die Gesamtschule nach Bocklemünd, weil wir die Möglichkeiten des Schulgesetzes nicht ausschöpfen. Das kann nicht sein“, so Thoms.

Die Stadt erklärte auf Anfrage, dass in der Verwaltungsvorlage nicht von einer „Obergrenze“ gesprochen worden sei. „mittendrin“ hebe aber richtigerweise hervor, dass es sich laut Schulgesetz um den Regelfall handele. Dieser Regelfall werde von der Verwaltung als Planungsgrundlage für die Inklusion verwendet. Der Schulentwicklungsplan muss nach Ansicht der Verwaltung nun nicht neu geschrieben werden, da dieser nur eine „aktuelle Momentaufnahme“ sei. Die genaueren Maßnahmen würden jeweils einzeln beschlossen. Im nächsten Schulausschuss werde die Stadt zu den Vorwürfen und Forderungen von „mittendrin“ ausführlich schriftlich Stellung nehmen.

UN stellt Inklusion in Deutschland ein schlechtes Zeugnis aus

Ziel von „mittendrin“ ist, dass Eltern in Köln echte Wahlfreiheit bekommen – durch akzeptable Lernbedingungen an den Förderschulen einerseits und ausreichend Plätze im Gemeinsamen Lernen an den Regelschulen andererseits. Deutschland hat sich 2009 mit der Unterzeichnung der UN-Menschenrechtskonvention dazu verpflichtet, ein inklusives Schulsystem aufzubauen und Schülerinnen mit Behinderung am Wohnort gemeinsam mit anderen Schülern inklusiv zu unterrichten.

Auch die Stadt Köln bekennt sich aktiv zu diesem Ziel. Eine Staatenprüfung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention durch die Vereinten Nationen im vergangenen Jahr hatte Deutschland ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. „Eine Transformation hin zu einem inklusiven Schulsystem findet nicht statt“, heißt es in dem UN-Bericht. Die Datenlage zeige, dass im Bundesdurchschnitt aktuell noch immer mehr als die Hälfte der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischer Förderung an einer Förderschule unterrichtet wird. Bislang gibt es nur in Bremen und Hamburg einen Rechtsanspruch auf inklusive Beschulung.

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