InklusionProtest gegen den Bau von neuen Förderschulen in Köln

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Kinder mit selbst gebastelten Plakaten demonstrieren.

Die 5. Klasse der Gesamtschule Rodenkirchen demonstrierte für ihre Mitschüler.

Familien, die für ihr Kind Inklusion wollen, sehen sich in Köln massiv benachteiligt. 

Für die Verfechter von Inklusion ist es eine Bankrotterklärung für das gemeinsame Lernen in Köln: Weil die Zahl der Inklusionskinder stetig wächst, will die Stadt zwei neue Förderschulen bauen. Eine davon im neuen Stadtteil Kreuzfeld. Dabei sorgte der Blick auf die Planungen der Stadt bei dem Elternverein „mittendrin e.V.“, der sich für Inklusion engagiert, für Wut: Auf dem neuen Campus sind eine Schule und eine Kita vorgesehen. Dahinter findet sich eine Gewerbeeinheit, und dahinter ist am Rand des Viertels quasi mit räumlichem Abstand die neue Förderschule eingezeichnet.

„Diese Planung offenbart ein vorgestriges Denken von einem Gemeinwesen, das Menschen mit Behinderung separiert und möglichst weit entfernt von der Mitte der Gesellschaft unterbringt“, kritisiert Ute Berger von „mittendrin“. Dies sei „in Stein gegossene Separation und Diskriminierung“. „mittendrin“ und die Arbeitsgemeinschaft Behindertenpolitik wollten das so nicht akzeptieren und legten ihr Veto ein. Sie fordern eine inklusive Bildungslandschaft für den neuen Stadtteil Kreuzfeld. Alles andere sei zehn Jahre nach der Verankerung der Inklusion im Schulgesetz des Landes NRW völlig aus der Zeit gefallen.

Kölner Schulpolitiker beschließen Änderungsantrag

Die Kölner Schulpolitiker nahmen die Kritik ernst: Mit einem gemeinsamen Änderungsantrag votierten im Schulausschuss alle Fraktionen geschlossen dafür, die Förderschule in den Bildungscampus zu integrieren. Dafür soll die Verwaltung nun zwei Varianten parallel planen: einen Bildungscampus Kreuzfeld mit Förderschule und einen komplett inklusiven Bildungscampus ohne Förderschule. Selbst wenn dann letztlich das Votum auf die Variante Förderschule fiele, soll es demnach gemeinsam genutzte Räumlichkeiten wie etwa die Mensa, Bibliothek und Veranstaltungsräume geben.

Hintergrund der beiden geplanten Neubauten von Förderschulen ist, dass die Zahl der Kölner Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf Jahr für Jahr steigt. Neun Prozent aller Kinder in der Primar- und Mittelstufe wird das inzwischen attestiert. Das hat angesichts des Schulplatzmangels in Köln gravierende Folgen: Einerseits platzen daher die Förderschulen aus allen Nähten, gleichzeitig gibt es einen großen Mangel an wortortnahen Plätzen des Gemeinsamen Lernens vor allem an den Gesamtschulen. Derzeit werden immer noch 45 Prozent der Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf an Förderschulen und nicht im Gemeinsamen Lernen unterrichtet.

Schuldezernent Robert Voigtsberger betonte, dass eine weitgehende oder vollständige Beschulung aller Lernenden mit sonderpädagogischem Förderbedarf an Regelschulen unter den gegebenen Rahmenbedingungen in Köln auf absehbare Zeit nicht möglich sei.

Bei „mittendrin“ ärgert man sich aber, dass der Bau neuer Förderschulen mit dem „angeblichen Elternwillen“ begründet wird. Danach, warum Eltern ihre Kinder dort anmelden, frage keiner. Dass das so ist, hängt für „mittendrin“ unmittelbar damit zusammen, dass es für Eltern von stark beeinträchtigten Kindern im gemeinsamen Lernen viel schwieriger ist, von der Stadt einen Transport zur Schule genehmigt zu bekommen als für Eltern von Förderschülern. Dort werde der Transport zur Schule in der Regel bewilligt. Eltern, die die täglichen, in Summe oft mehrere Stunden täglich in Anspruch nehmenden Elterntaxidienste aufgrund von Berufstätigkeit zeitlich nicht leisten könnten, meldeten dann eben auf der Förderschule an, obwohl sie eigentlich eine inklusive Beschulung für ihr Kind möchten.

Kölner Inklusionsschüler kann seit sechs Monaten nicht zur Schule

Beispiele dafür gibt es unter den Mitgliedern von „mittendrin e.V.“ viele. Was das aber wirklich für betroffene Familien bedeuten kann, darauf machte die 5. Klasse der Gesamtschule Rodenkirchen vor dem Rathaus lautstark aufmerksam: Die Schülerinnen und Schüler kämpfen mit einer Demonstration für ihren Mitschüler Henrik (Name geändert). Der Inklusionsschüler mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung konnte wegen fehlender Fahrtbewilligung mehrere Monate nicht zur Schule gehen, weil seine Eltern es bei sechs Kindern nicht schaffen, ihn täglich von Seeberg nach Rodenkirchen zu bringen und zu holen. Dies würde in Summe täglich vier Stunden Fahrzeit mit der KVB bedeuten. Sein Bruder dagegen, der eine Förderschule in Vogelsang besucht, hat die Beförderung vom ersten Tag an bewilligt bekommen.

Im Dezember gab es für Henrik doch eine Teilbewilligung für die Taxi-Fahrt zur Schule. Aber auch die löst die Probleme für die Familie nicht: Denn die Eltern sollen in Vorleistung gehen und die Taxikosten in Höhe von etwa 2000 Euro monatlich vorstrecken. Am Ende jeden Monats sollte nachgewiesen werden, an welchen Tagen der Junge in der Schule war und wann der Vater bei der Arbeit war. Dann wird geprüft, ob der Vater wirklich nicht fahren konnte und das Geld erstattet wird.

„Für die Eltern, die staatliche Unterstützung beziehen, ist das finanziell und organisatorisch nicht leistbar“, erläutert die Lehrerin von Henrik. Der Junge war deshalb in diesem Schuljahr nur einen einzigen Tag im Unterricht. „Das bedeutet für das Kind eine soziale Verwahrlosung ohne jeden Kontakt zu Gleichaltrigen und ein halbes Jahr ohne Lernzuwachs.“ In derselben Klasse gibt es noch ein weiteres Kind in derselben Lage. „Die Familie hat bis heute noch nicht mal einen Bescheid auf ihren Antrag auf Beförderung.“ 

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