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Kölner Rocker getötetKronzeuge sagt in Mord-Prozess aus – und belastet jemand anderen

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Mai 2023: Die Polizei sicherte Spuren des Verbrechens im Böcking-Park. Daneben saßen Menschen im Brauhaus.

Mai 2023: Die Polizei sicherte Spuren des Verbrechens im Böcking-Park. Daneben saßen Menschen im Brauhaus.

Hells-Angels-Mitglied Eren Y. wurde in aller Öffentlichkeit getötet. Nun die mögliche Wende im Prozess.

Wer steckt wirklich hinter dem hinterhältigen Mord an dem Rocker Eren Y. am Mülheimer Böcking-Park? Während die Schützen seit der Tat im Mai 2023 auf der Flucht sind, verhandelt das Landgericht nun schon in der Neuauflage gegen den mutmaßlichen Auftraggeber. Ein Kronzeuge entlastete den Angeklagten Hami S. am Donnerstag im Zeugenstand und rückte dessen Bruder in den Fokus – Kamil S., den damaligen Präsidenten der Hells-Angels-Fraktion „Rhine Area“.

Köln: Kronzeuge sagt gegen früheren Hells-Angels-Boss aus

Bei dem Zeugen handelt es sich um Habib I., der sich derzeit mit weiteren Beschuldigten in einem Prozess um den Schmuggel von 40 Tonnen Kokain verantworten muss. In diesem Verfahren soll I. eine Art Lebensbeichte abgelegt und den in der Türkei befindlichen Kamil S. schwer belastet haben. Bei Beschuldigungen in der Drogensache blieb es aber nicht. Fast schon nebenbei bezichtigte der Zeuge den früheren Rockerboss auch, hinter dem Mord in Mülheim zu stecken.

Der Angeklagte Hami S. zwischen seinen Verteidigern Michael Diwo (l.) und Leonhard Mühlenfeld beim Prozessauftakt im Landgericht

Der Angeklagte Hami S. zwischen seinen Verteidigern Michael Diwo (l.) und Leonhard Mühlenfeld beim Prozessauftakt im Landgericht

Der Zeuge berichtete, dass Kamil S. bei einem Rockertreffen in Duisburg im Oktober 2022 als Präsident abgesetzt worden sei, nachdem es Beschwerden von Mitgliedern gegeben habe. Das spätere Mordopfer Eren Y. soll sich loyal zu Kamil S. gezeigt, dann aber mit dessen ärgstem Kontrahenten für ein Foto posiert haben. Konkreter Auslöser des Mordauftrags soll dann der Beschuss eines Frisörladens in Meschenich gewesen sein, den die Brüder S. betrieben hatten.

Nach der Sichtung von Überwachungsvideos hätte Kamil S., so der Zeuge, Eren Y. als denjenigen ausgemacht, der die Schüsse auf das Geschäft abgegeben haben soll. Der Kronzeuge berichtet, dass Kamil S. daraufhin einen Attentäter aus der Türkei nach Köln geschickt haben soll. Das will Habib I. aus Gesprächen mit S. erfahren haben. Eren Y. habe eine Vorahnung gehabt, so Zeugen, dass man ihm nach dem Leben trachte. Von einem „Statement“ war in Rockerkreisen die Rede.

Köln: Rocker in Mülheim in der Öffentlichkeit erschossen

Am Tattag waren es die früheren Rocker Marco C. (27), genannt „Toblerone“, und Emre U. (31), genannt „Chico“, die laut den Ermittlungen an der Wohnung des späteren Mordopfers aufgetaucht sein sollen. Dort öffnete der Mitbewohner die Tür, Eren Y. war nicht zu Hause. Handydaten zeigen, dass „Chico“ sich danach bei Eren Y. gemeldet hatte, offenbar verabredete man sich am Fitnessstudio „McFit“ am Clevischen Ring, in dem Y. mit seiner Lebensgefährtin trainiert hatte.

Die Freundin berichtete später im Gericht von einer freundschaftlichen Stimmung bei dem Aufeinandertreffen. Man kannte sich. „Marco war zwei Tage vorher noch bei uns zu Hause, saß am Tisch, alles war ganz normal“, berichtete die Zeugin. Niemals hätten sie oder ihr Freund mit einem Angriff gerechnet. Die Gruppe ging gemeinsam zum Böcking-Park, alles erschien noch harmlos. Plötzlich habe sich Marco C. gebückt und in seiner Tasche gekramt, so die Zeugin.

Dann fielen die Schüsse, einer in den Rücken von Eren Y., der tödliche in den Kopf. In Panik flüchtete die Freundin und bemerkte da erst, dass auch sie getroffen worden war. Blut lief aus Hals und Kiefer. „Meiner Mandantin wurde das Gesicht zerfetzt“, so drastisch formulierte es Opfer-Anwältin Funda Bicakoglu. Während Eren Y. noch am Tatort starb, konnte seine Freundin durch das schnelle Handeln eines Kellners eines nahe gelegenen Brauhauses gerettet werden.

Bundesverfassungsgericht hebt Kölner Mordurteil auf

Im ersten Prozess hatte das Landgericht nicht Kamil S., sondern dessen Bruder Hami als den Auftraggeber ausgemacht und ihn zu lebenslanger Haft verurteilt. Handydaten hätten ergeben, dass Hami S. vor und nach dem Mord mit den Schützen per Handy korrespondiert habe. Nachdem die Verteidigung in der ersten Runde noch einen Freispruch beantragt hatte, räumten die Anwälte nun immerhin eine Beihilfe ihres Mandanten ein. Eine Beihilfe würde milder bestraft.

Dass der Mordfall überhaupt noch einmal verhandelt wird, liegt am Bundesverfassungsgericht, das das vom Bundesgerichtshof bereits bestätigte Urteil doch noch kassiert hatte. Das Landgericht habe es versäumt, einen wichtigen Zeugen – den mutmaßlichen Schützen Emre U. – zu hören. Der hatte sich über einen Anwalt gemeldet und einer Videovernehmung zugestimmt. Er wolle Hami S. entlasten, hieß es. Das Gericht wollte den Zeugen jedoch nur mit der Einräumung freien Geleits vor Ort vernehmen. Das hatte Emre U. aber über seinen Rechtsanwalt abgelehnt.