Bei der Neuauflage des Prozesses im Landgericht war plötzlich die Rede von einem neuen Tatverdächtigen.
„Öffentliche Hinrichtung“Mord an Rocker – welche Rolle spielte Kölner Hells-Angels-Boss?

Mai 2023: Die Polizei sicherte Spuren des Verbrechens im Böcking-Park. Daneben saßen Menschen im Brauhaus.
Copyright: Martina Goyert
Der Mülheimer Böcking-Park war voll von Familien mit Kindern an jenem sonnigen Pfingstmontag 2023, Menschen strömten auch in das angrenzende Gilden-Brauhaus. Und plötzlich fielen Schüsse. Eine Frau tauchte auf, sie blutete schwer aus dem Hals – und rannte um ihr Leben. Nur wenige Meter entfernt an einer Unterführung lag ihr Freund, getötet durch einen Kopfdurchschuss. Es war eine Abrechnung im Rocker-Milieu, eine „öffentliche Hinrichtung“, so stellte es ein Richter später fest.
Köln: Bundesverfassungsgericht kippte Mordurteil
Seit Mittwoch muss sich der mutmaßliche Auftraggeber vor dem Landgericht verantworten. Anstiftung zum Mord wirft ihm die Staatsanwältin vor. Nicht zum ersten Mal. Bereits vor knapp zwei Jahren stand der heute 39-jährige Hami S. vor Gericht. Er wurde zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Der Bundesgerichtshof bestätigte das Urteil, doch dann griff das Bundesverfassungsgericht ein – das Landgericht habe einen wichtigen Zeugen nicht gehört. Daher kam es zur Neuauflage.

Der Angeklagte Hami S. mit seinem Verteidiger Leonhard Mühlenfeld beim Prozessauftakt im Landgericht
Copyright: Hendrik Pusch
Bei dem Zeugen handelte es sich gleichzeitig um den mutmaßlichen Mörder. Der war nach dem Verbrechen mit einem Komplizen in die Türkei geflüchtet. Über einen Anwalt hatte er im ersten Prozess ausrichten lassen, den Angeklagten entlasten zu wollen. Der Vorsitzende Richter schlug eine Vernehmung in Köln vor und sicherte freies Geleit zu, also eine von den Behörden unbehelligte Ein- und Ausreise. Das wollte der Mann nicht und auch eine Videovernehmung scheiterte damals.
Alles zum Thema Flughafen Köln/Bonn
- „Öffentliche Hinrichtung“ Mord an Rocker – welche Rolle spielte Kölner Hells-Angels-Boss?
- „Benzin für unsere Entwicklung“ Bayer 04 ist stolz auf den Sieg bei Manchester City
- Unerwartet gestorben Sabine Stiller engagierte sich mit Leib und Seele für die Menschen in Porz
- 30 Großbaustellen im Rheinland 2026 wird das härteste Jahr für Bahnpendler
- Flughafensicherheit Flughafen Köln/Bonn: Erneut Passagiere auf Flugfeld
- Insgesamt fünf Personen Erneut stürmen Reisende auf das Rollfeld des Flughafens Köln/Bonn
- Flughafen Köln/Bonn Maschine von Bayer 04 Leverkusen muss Start abbrechen
Dieser Zeuge muss bei der Neuauflage aber womöglich gar nicht gehört werden. Die Verteidigung rückte nämlich von der Strategie eines Freispruchs ab. Der Mandant habe zwar nicht den Auftrag zum Mord gegeben, aber womöglich Beihilfe geleistet – so deuteten es die Anwälte bei einem vor dem Prozess stattgefundenen Gespräch mit Gericht und Staatsanwaltschaft an. Als Tatverdächtiger rückte der Bruder des Angeklagten in den Fokus – der sei erst kürzlich durch einen Zeugen belastet worden.
Köln: Neue Vorwürfe im Rahmen eines Drogenprozesses
Der Bruder ist kein Geringerer als der frühere Präsident des inzwischen aufgelösten Hells-Angels-Charters „Rhine Area“. Die neuen Vorwürfe kamen im Rahmen eines derzeit am Landgericht laufenden Drogenprozesses auf, hier geht es um den Schmuggel von 40 Tonnen Kokain. Der als Kronzeuge geltende Habib I. soll den früheren Hells-Angels-Boss, der sich in der Türkei aufhält, im Drogenfall schwer belastet und auch eine mögliche Verstrickung in den Mordfall erwähnt haben.
Das Landgericht hatte es damals als mögliches Motiv angesehen, dass Mordopfer Eren Y. (35) eine Neugründung einer Hells-Angel-Fraktion geplant habe. Sollte Hami S. tatsächlich nur eine Beihilfe nachgewiesen werden, drohen ihm immer noch 15 Jahre Gefängnis. Allerdings gäbe es dann die Chance auf eine frühere Haftentlassung auf Bewährung.
Einig dürften sich die Verfahrensbeteiligten beim objektiven Tatablauf sein. Laut Anklage waren am Tattag zwei Männer am Fitnessstudio des späteren Mordopfers aufgetaucht. Man kannte sich aus dem Rockerclub, daher schöpfte Eren Y. keinen Verdacht. Die Männer lachten, rauchten eine Zigarette zusammen, so beschrieb es später die anwesende Freundin von Y. bei der Polizei. Als man dann vor den Tätern hergegangen sei, hätten die auf einmal von hinten das Feuer eröffnet. Y. war sofort tot.
Köln: Freundin des Mordopfers wurde „das Gesicht zerfetzt“
Nichts habe auf einen Angriff hingedeutet, hatte die Lebensgefährtin als Zeugin im Gerichtssaal ausgesagt. Zunächst habe sie gar nicht realisiert, auch selbst getroffen worden zu sein. „Mir lief Blut aus Mund und Hals, das hat richtig gezischt“, sagte sie. Sie sei weggerannt, die Täter schossen ihr offenbar noch hinterher. Der Kellner vom nahegelegenen Brauhaus habe ihr die Wunde mit einer Stoffserviette abgebunden. Eine Not-Operation folgte und ein Aufenthalt auf der Intensivstation.
Anwältin Funda Bicakoglu brachte es so auf den Punkt: „Meiner Mandantin wurde das Gesicht zerfetzt.“ Sie habe große Angst vor einer erneuten Aussage vor Gericht, so teilte es die Opfer-Vertreterin dem Gericht mit. Schon beim ersten Durchlauf hatte sie sich per Video zuschalten lassen, um nicht im Saal auf den mutmaßlichen Auftraggeber zu treffen. Eine weitere Vernehmung bleibt der 30-Jährigen diesmal wahrscheinlich erspart. Ihre früheren Aussagen sollen verlesen werden.
Köln: Mutmaßliche Schützen in die Türkei geflüchtet
Eine Polizistin berichtete am Mittwoch im Zeugenstand, was für ein Chaos damals am Tatort geherrscht habe. „Da war Publikumsverkehr ohne Ende und wir hatten die Befürchtung, dass da noch von irgendwo geschossen wird.“ Zu heftig sei das Verletzungsbild bei der Frau gewesen: „Uns war klar, dass sie nicht überleben sollte.“ Daher sei zunächst nicht sicher gewesen, ob die Schützen noch vor Ort waren. Kollegen seien dann mögliche Fluchtwege abgelaufen und -gefahren.
Tatsächlich befanden sich die mutmaßlichen Schützen aber unmittelbar nach den Schüssen bereits auf der Flucht. Sie sollen sich zum Flughafen Köln/Bonn begeben, unter falschen Personalien über Athen nach Istanbul gereist sein. Bis heute sollen sie sich in der Türkei aufhalten. Anders als beim ersten Prozess bestehe kein Kontakt mehr zu einem der Verdächtigen, sagte Verteidiger Leonhard Mühlenfeld. Ein Urteil in dem spektakulären Mordverfahren soll frühestens im Februar fallen.

