Die Serie „Große Kölner Prozesse“ blickt zurück auf ein unfassbar brutales Verbrechen, das auf einem Missverständnis beruhte.
Tatort RudolfplatzMord am Kölner Weihnachtsmarkt – das tragische Schicksal vom „schönen Helmut“

In einem der Häuser links vom Weihnachtsmarkt am Rudolfplatz wurde Helmut B. ermordet.
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Die Dächer des Weihnachtsmarktes am Rudolfplatz sind an jenem Dezembertag im Jahr 2012 mit Schnee bedeckt. Marktbeschicker bereiten alles für den nächsten großen Ansturm vor, als nur wenige Meter von ihnen entfernt – im dritten Stock eines Wohn- und Geschäftshauses – ein Mord geschieht. Die Täter vermuten hohe Geldsummen beim Opfer. Doch der Mann ist längst verarmt. Es ist die tragische Geschichte des früheren Boutiquenbesitzers, den alle nur den „schönen Helmut“ nannten.
Köln: Mordopfer hatte früher vier Modeboutiquen
Helmut B. wird im Jahr 1952 geboren und arbeitet zunächst als Speditionskaufmann im elterlichen Betrieb. Er fühlt sich vom Vater zunehmend beruflich eingeengt, will andere Pläne verfolgen. Er zieht nach Köln und macht sich mit Modeboutiquen selbstständig. Im Laufe der Zeit führt er vier Geschäfte, durchaus erfolgreich. Vor allem in den frühen 1980ern ist Helmut B. im Kölner Nachtleben aktiv, er gilt als extravagant – der „schöne Helmut“ ist geboren. Doch schnell geht es auch wieder bergab.

Ein Mitarbeiter der Mordkommission zeigt im Februar 2013 ein Fahndungsplakat, mit dem der Mörder von Helmut B. gesucht wird. Im Haus dahinter geschah das Verbrechen.
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„Er führte einen verschwenderischen Lebensstil, trank viel Alkohol und konsumierte auch Kokain“, so wird es das Kölner Landgericht später in seinem Urteil feststellen. Die Geschäfte laufen in der Folgezeit immer schlechter. Im Jahr 1992 verkauft Helmut B. seine letzte verbliebene Boutique an seine damalige Lebensgefährtin. Kurz darauf leistet er einen Offenbarungseid. Doch Helmut B. kommt fünf Jahre später wieder zu Geld, als er ein Mehrfamilienhaus von seinem Vater erbt und es verkauft.
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Helmut B. verfügt nun wieder über mehrere Hunderttausend D-Mark und zieht einen Handel mit hochwertigen Autos auf. Um spontan neue Fahrzeugkäufe tätigen zu können, bewahrt er seine Bargeldvorräte in einem Versteck in seinem Schlafzimmerschrank auf. Er ist freigiebig, wedelt bei Ausflügen auch gern mal mit einem 1000-Mark-Schein. Doch sein Autohandel macht schnell große Verluste – auch, weil Helmut B. zu gutgläubig ist und sich offenbar oft über den Tisch ziehen lässt.
Köln: Täter vermutet hohe Geldbeträge beim späteren Opfer
Zum Tatzeitpunkt wird die Wohnung von Helmut B. am Rudolfplatz längst von der Arbeitsagentur bezahlt. Er hat knapp 18.500 Euro Schulden, auch beim Finanzamt. Dass Helmut B. verarmt ist, hat sich offenbar noch nicht überall herumgesprochen. Und so war es der Berufskriminelle Josef T. aus Hürth, genannt „Jupp“, der nach einem Hinweis einer Bekannten auf den früheren Boutiquenbesitzer aufmerksam wird. Er geht davon aus, dass B. immer noch über ein sehr hohes Bargelddepot verfügt.

Der später wegen Mordes verurteilte Josef T. beim Prozess im Kölner Landgericht
Copyright: Michael Wand
Josef T. wird wie sein späteres Mordopfer im Jahr 1952 geboren. Er wächst mit neun Geschwistern auf, sein Vater ist Dreher, seine Mutter Hausfrau. Er arbeitet vier Jahre lang bei der Berufsfeuerwehr, macht sich im Bereich Straßenbau selbstständig und geht mehrfach bankrott. Von Jahr zu Jahr wird sein Vorstrafenregister immer dicker: Beleidigung, Diebstahl, Betrug, Geldfälschung, Körperverletzung, Nötigung, Steuerhinterziehung, Urkundenfälschung. Josef T. verbringt mehrere Jahre im Gefängnis.
Auf der Suche nach einer neuen Geldquelle kommt Josef T. der Hinweis auf die vermeintlichen Geldreserven vom Speditionserben vom Rudolfplatz gerade recht. Er geht von bis zu 30.000 Euro in der Wohnung aus und will Helmut B. ausrauben. Dazu bindet er die 58-jährige Prostituierte Katharina T., die er am Brennpunkt Kölnberg kennengelernt hat, in seinen Tatplan ein. Sie ist Josef T. verfallen, ordnet sich unter, hinterfragt nichts. Am Morgen des 7. Dezember 2012 stehen sie vor Helmut B.s Tür.
Köln: Helmut B. erleidet schwerste Verletzungen und stirbt
Wie genau sich die Täter Zutritt zur Wohnung von Helmut B. verschaffen, wurde nicht geklärt. Fest steht laut Landgericht, dass Josef T. der Hauptakteur ist. Er schlägt seinem Opfer mit der Faust ins Gesicht, brüllt: „Wo ist das Geld?“ Helmut B. hält sich die Nase, stützt sich am Kühlschrank in der Küche ab und hinterlässt einen blutigen Handabdruck. Im Schlafzimmer entdeckt Josef T. im Schrank eine Socke, bemerkt aber nicht die mit Mühen angesparte Notreserve von Helmut darin – 2300 Euro.

Komplizin Katharina T. beim damaligen Prozessauftakt im Kölner Landgericht.
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Josef T. wird im Verlauf der Tat immer wütender. Er will endlich Geld sehen und packt eine Rohrzange aus einer mitgebrachten Plastiktüte aus. Er schlägt Helmut B. mit dem Werkzeug gegen den Kopf, was zu einer stark blutenden Wunde führt. Das Opfer versucht die Blutung im Badezimmer zu stillen, dann zerrt Josef T. ihn – das sei laut Gericht zumindest naheliegend – ins Schlafzimmer. Von Wut getrieben, schlägt Josef T. immer wieder mit der Zange zu. Er trifft den Hinterkopf und das Gesicht seines Opfers.
Impressionsbrüche am Hirnschädel, Brüche der Augenhöhlen und des Jochbeins sowie ein Abbruch des Oberkiefers von der Schädelbasis sind die Folge. Helmut B. ist bereits dem Tode geweiht, als Josef T. ihm noch beidseitige Rippenserienbrüche, Abbrüche an den Lendenwirbeln, Brüche am Schulterblatt, einen Brustbeinquerbruch und Verletzungen an der Lunge beibringt – laut Feststellung des Landgerichts „entweder durch mehrfaches Springen oder durch ein gewaltsames Niederknien auf den Brustkorb“.
Köln: Mordverdächtiger flüchtet aus Klofenster in Gerichtsgebäude
Josef T. lässt laut Urteilsfeststellungen von Helmut B. ab, „naheliegend nachdem seine Wut weitgehend verraucht war.“ Dann verlässt er mit der Komplizin die Wohnung. Der Schwerstverletzte bleibt im Bett liegen. Er deckt sich teilweise mit seiner Bettdecke zu und stützt sich mit seinen Füßen am Bettrahmen ab, „wohl, um sich hierdurch ein Gefühl der Stabilität zu verschaffen“. Hilfe rufen kann Helmut B. nicht mehr. Er verstirbt laut Obduktionsbericht innerhalb der nächsten 30 Minuten.
Nachdem Freunde noch am selben und dem Folgetag erfolglos versuchen, Helmut B. zu erreichen und sich große Sorgen machen, alarmieren sie die Polizei. Die Beamten ziehen die Feuerwehr hinzu, die Wohnung wird geöffnet und die Leiche entdeckt. Erst ein halbes Jahr später gerät Josef T. ins Visier der Ermittler, nachdem eine Bekannte bei der Polizei seinen Namen nennt. Sie war es, die T. von dem angeblich immer noch wohlhabenden ehemaligen Boutiquenbesitzer Helmut B. berichtet hatte.
Noch bevor am Kölner Landgericht der Prozess startet, sorgt T. im Landgericht Kleve für Aufruhr. Dort muss er sich im November 2013 wegen Kaffeeschmuggels verantworten. Gerade als der Richter das Urteil verkünden will, meldet sich Josef T. zu Wort: „Ich habe Durchfall, ich muss aufs Klo!“ Die Beamten führen ihn zum stillen Örtchen – und der Beschuldigte springt aus dem Fenster und ist weg. Erst einen Tag später wird der Geflohene an einer Tankstelle entdeckt und wieder festgenommen.
Köln: Erst ein mildes Urteil, dann lebenslänglich Gefängnis
Spektakulär verläuft auch der eigentliche Mordprozess in Köln. Verteidiger Thomas Pusch vertritt von Anfang an die These, dass noch ein weiterer Täter in der Wohnung von Helmut B. gewesen sei. Dieser habe dem Opfer die tödlichen Verletzungen beigefügt, nicht sein Mandant.
Anwalt Pusch sagt, er habe das womöglich mit einer Urinuntersuchung aus der Toilette der Wohnung beweisen können – Tatortfotos hatten eine gelbe Flüssigkeit in der Schüssel dokumentiert. Doch ein Ermittler hatte versehentlich die Klospülung betätigt – und mögliche Beweise vernichtet. „Uns ist da ein Malheur passiert“, räumt ein Hauptkommissar im Landgericht ein. „Schlamperei“ nennt das der Anwalt.
In erster Instanz kommt Josef T. aber milde davon. Die Schwurgerichtskammer geht zwar von einem Angriff T.s mit der Rohrzange aus. Nicht ausschließen will das Gericht jedoch, dass danach tatsächlich noch ein weiterer Täter die Tat vollendet hatte. Achteinhalb Jahre Haft wegen schweren Raubes lautet das Urteil, das der Bundesgerichtshof aber kassiert – die Annahme eines weiteren Täters sei völlig lebensfremd. Und so wird der Mordprozess vor einer anderen Kammer in Köln wiederholt.
In der nächsten Instanz heißt es: Mord aus niederen Beweggründen. Josef T. wird zu lebenslanger Haft verurteilt. Zum Verhängnis wird ihm auch die Aussage seiner Komplizin und früheren Geliebten. „Entschuldige Jupp, ich kann damit nicht leben“, sagt diese seufzend und legt ein umfassendes Geständnis ab. Für ihre passive Beteiligung an dem Verbrechen – der Mord wird ihr nicht zugerechnet – erhält Katharina T. lediglich zwei Jahre Haft auf Bewährung. Vor lauter Freude darüber küsst sie im Gericht ihren Anwalt.
In der neuen Serie „Große Kölner Prozesse“ bereitet der „Kölner Stadt-Anzeiger“ in unregelmäßigen Abständen große Kölner Strafprozesse aus der Vergangenheit auf. Fälle, die die Menschen in Köln stark bewegt oder ganz besondere Details ans Tageslicht gebracht haben.

