Damals hatten die Ermittler überhaupt kein Verbrechen angenommen.Auf der Anklagebank sitzt jetzt ein früherer Bauarbeiter, dem Körperverletzung mit Todesfolge vorgeworfen wird.
Leiche in WohnungSpektakuläre Wende in Kölner „Cold Case“ von 2011 – bisheriger Zeuge in U-Haft

November 2011: Bestatter transportieren den Leichnam aus der Wohnung ab.
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Mit einem eher ungewöhnlichen „Cold Case“ aus dem Jahr 2011 muss sich derzeit das Kölner Landgericht beschäftigen. Auf der Anklagebank sitzt ein früherer Bauarbeiter, dem Körperverletzung mit Todesfolge vorgeworfen wird. Er soll einen Bekannten in dessen Wohnung in Vingst mit einem Messer attackiert und danach hilflos zurückgelassen haben. Der Mann verstarb. Sehr schnell nach dem Vorfall hatte die Ermittlungsbehörde allerdings vermeldet, dass kein Verbrechen vorliege.
Köln: Ermittler gingen damals nicht von Verbrechen aus
Mit hoher Wahrscheinlichkeit sei der 45-jährige Bewohner an den Folgen exzessiven Alkoholkonsums und der Einnahme von Tabletten verstorben, hatte die Polizei nur wenige Tage nach dem Fund der Leiche mitgeteilt. Eine Obduktion habe keine Anzeichen für ein Fremdverschulden gegeben. Der Fall war damit eigentlich geklärt. Doch kurz vor der Verjährung – auf Körperverletzung mit Todesfolge stehen maximal 15 Jahre Gefängnis – wurde der Fall noch einmal aufgerollt und ganz neu bewertet.

Der Angeklagte mit seinem Verteidiger beim Prozess im Kölner Landgericht
Copyright: Hendrik Pusch
Ins Visier der „Cold Case“-Ermittler geriet nämlich der Mann, der den Vorfall gemeldet hatte, aber bisher nur als wichtiger Zeuge galt. Der heute 61-jährige Adam R. war in einem benachbarten Kiosk aufgetaucht. Stark betrunken soll er zu dem Verkäufer gesagt haben: „Kollega tot, gib mir Tabak.“ Die Polizei wurde gerufen. Aufgrund des scheinbar eindeutigen Obduktionsergebnisses wurde Adam R. von Polizei und Staatsanwaltschaft jedoch nicht mehr behelligt. Doch nun sitzt er plötzlich in U-Haft.
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Köln: Angeklagter äußert sich nicht zu den Vorwürfen
Die Staatsanwaltschaft geht jetzt davon aus, dass der Beschuldigte mit seinem Bekannten bei einem Trinkgelage in Streit geraten sei und dann zum Messer gegriffen habe. Es wurden laut Anklage eine Vielzahl von Schnittverletzungen festgestellt, die meisten aber oberflächlich. Ein Schnitt soll jedoch eine Sehne an der linken Hand des Geschädigten durchtrennt haben. Eine erhebliche Menge an Blut sei daraufhin in das Sofa eingesickert und auf den Boden getropft, so heißt es in der Anklageschrift.
Der Angeklagte hätte laut Anklage erkennen können und müssen, dass der Bekannte hätte versterben können. Auch, weil dieser sich durch seinen jahrelangen Alkoholmissbrauch insgesamt in einem sehr schlechten körperlichen Zustand befunden habe. Die Obduktion hatte für die Tatnacht einen Wert von 3,2 Promille ergeben. Äußern wollte sich Adam R. nicht. Der Mandant werde sich zunächst schweigend verteidigen und auch keine Angaben zu seiner Person machen, erklärte sein Anwalt.
Köln: Wegen Messerattacke bereits rechtskräftig verurteilt
Wurde bisher angenommen, dass der Verstorbene sich die Handverletzungen selbst beigebracht haben könnte, floss in die Neubewertung der Beweislage nun mit ein, dass R. bereits wegen einer Messerattacke vorbestraft ist. So hatte er laut Urteil einem Bekannten nach einem weiteren Zechgelage mit einem Fleischermesser in die Flanke gestochen und dessen Lunge verletzt. Das Opfer sei so betrunken gewesen, dass ihm die lebensgefährliche Verletzung zunächst nicht aufgefallen sei.
„Das stimmt nicht“, sagte der damals Verletzte, der Angeklagte habe ihn ganz sicher nicht mit dem Messer angegriffen. Auch habe dieser nie Alkohol getrunken. „Trinken Sie immer noch?“, fragte die Staatsanwältin. Der Mann bejahte. „Dann habe ich keine Fragen mehr“, sagte die Anklägerin sichtlich entnervt. Zu dem damaligen Fall, der unter gefährliche Körperverletzung lief, existiert lediglich das schriftliche Urteil. Die Ermittlungsakte wurde aufgrund des langen Zeitablaufs inzwischen vernichtet.
Köln: Schwester berichtet von großen Blutflecken in Wohnung
Die Schwester des Verstorbenen wurde von den Prozessbeteiligten gefragt, ob ihr Bruder womöglich Selbstmordgedanken gehegt habe. „Nein, das glaube ich nicht“, antwortete die 50-Jährige, „er hatte viel zu große Angst vor dem Tod.“ Ihr Bruder habe vielmehr den Wunsch gehabt, sein Leben in Zukunft ohne Alkohol bestreiten zu können. Er sei zur Therapie mehrfach in der Klinik gewesen. Noch zwei Tage vor dessen Tod habe die Zeugin Kontakt zum Bruder gehabt: „Da hat er viel gelacht.“
Die Schwester berichtete zudem, zwei große Blutflecken in der Wohnung ihres Bruders entdeckt zu haben – auf der Couch und auf dem Boden, wie es auch die Anklage beschreibt. Ein neu hinzugezogener Gerichtsmediziner muss nun im Laufe der Verhandlung die Diskrepanz zu den ersten Erkenntnissen erklären. Und damit zur Aufklärung beitragen, ob es sich in diesem ungewöhnlichen Fall tatsächlich um ein Verbrechen handelt. Der Prozess soll im November fortgesetzt werden.
