Die Serie „Große Kölner Prozesse“ blickt zurück auf den Fall einer Getöteten, deren Identität viele Jahre ungeklärt war.
In den Niederlanden getötetDas Mordrätsel um „Rosenmädchen“ Jozefa – die Spur führt nach Köln

Das Foto zeigt „Rosenmädchen“ Jozefa W. kurz vor ihrem Verschwinden im Jahr 1996.
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Am 4. Juni 1996 machen Gemeindearbeiter in einem Waldgebiet in Lottum (Niederlande) eine schreckliche Entdeckung. Sie finden im Dickicht die Leiche einer jungen Frau, augenscheinlich erschlagen. Die Jeanshose des Opfers ist geöffnet und heruntergezogen. Ein brutaler Sexualmord, so glauben die Ermittler – doch der Schein trügt. Die Identität der Getöteten bleibt ungeklärt. Weil der Tatort an einem Rosenfeld liegt, bekommt die Ermordete von niederländischen Medien den Namen „Rozenmeisje“ (zu Deutsch: „Rosenmädchen“). Erst Jahre später führt die Spur nach Köln.
Treffer in der DNA-Datenbank des Bundeskriminalamts
Der sogenannte „Cold Case“ mit dem Tatort unweit der deutschen Grenze wird 2009 wieder heiß. Die niederländische Polizei fasst die alten Akten wieder an, die Spurenlage wird neu bewertet. Dann der Durchbruch, in Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden in Deutschland. Unter Anwendung von neuartigen Untersuchungsmethoden ergeben die an der Leiche gesicherten DNA-Spuren einen Treffer in der Datenbank des Bundeskriminalamtes in Wiesbaden. Sie führen zum damals 56-jährigen Kölner Erich L., der im Stadtteil Mülheim wohnt. Es ist ein großer Fahndungserfolg, die Handschellen klicken.

Erich L. lächelt Verteidigerin Julia von Dreden beim Prozessbeginn an, neben der Anwältin sitzt die Mitangeklagte.
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Für die Ermittler passt alles ins Bild. Erich L. ist wegen Vergewaltigung vorbestraft. Laut einem Urteil des Kölner Landgerichts fährt er im November 1977 mit einem 17-jährigen Mädchen, das zuvor aus einem Heim weggelaufen war und einen Schlafplatz suchte, zu einem abgelegenen Waldgebiet. Mit einem Komplizen vergewaltigt er die junge Frau im Auto, so stellen es die Richter fest und verhängen dreieinhalb Jahre Haft. Erich L. streitet alles ab, was ihn nicht vor einer Verurteilung bewahrt; das Opfer ist glaubhaft. Das Sex-Verbrechen im Wald – eine auffällige Parallele zum Fall „Rosenmädchen“.
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Erich L. lebt in den 90er Jahren in Scheidung, seine Tochter wohnt bei ihm, bald auch deren Freund. Das Paar bekommt ein Kind und distanziert sich. Der jungen Familie gefällt der Lebenswandel von L. nicht, der keiner geregelten Arbeit nachgeht, häufig Alkohol trinkt und harte Drogen wie Kokain konsumiert; so stellt es später ein Gericht fest. L. hat Kontakte zum Rotlichtmilieu, bei ihm wohnen häufig Prostituierte. Er betätigt sich eher selten als „klassischer Zuhälter“, profitiert aber von den Einkünften der Sex-Arbeiterinnen, die sich als Untermieterinnen an den Haushaltskosten beteiligen.
Fall „Rosenmädchen“: Nun ist auch die Identität geklärt
In dem lange ungeklärten Mordfall überschlagen sich plötzlich die Ereignisse, denn nach einem im Ausland ausgestrahlten Fernsehbeitrag ist auch klar, wie das „Rosenmädchen“ heißt. „Das ist doch meine Jozefa“, soll eine Frau aus Polen beim Anblick von Fotos, die das Gesicht der Toten zeigten, ausgerufen haben – mehr als ein Jahrzehnt nach ihrem Verschwinden. Nach einem DNA-Abgleich kommt die Gewissheit, es handelt sich tatsächlich um Jozefa W. aus dem polnischen Gorzów Wielkopolski (früher: Landsberg an der Warthe). Ihre Leiche wird aus den Niederlanden überführt.
Das Schicksal vom „Rosenmädchen“ zeichnen die Gerichtsakten so nach: Mitte der 1990er Jahre will die damals 17-jährige Jozefa W. ihren betrunkenen Vater nach einer Feier nach Hause fahren. Sie hat keinen Führerschein, ist selbst alkoholisiert und verursacht einen Verkehrsunfall. Die beiden Autoinsassen werden schwer verletzt. Jozefa W. trägt einige lange und bleibende Narben davon – auch daran erkennt die Mutter später im TV-Beitrag ihre Tochter wieder. Der Vater macht Jozefa W. nach dem Unfall massive Vorwürfe. Jozefa W. flüchtet regelrecht und landet schließlich im Rheinland.
Die junge Frau gerät in die Fänge von Zuhältern, soll in Bordellen gearbeitet haben und lernt den Kölner Erich L. kennen. Sie zieht in dessen Wohnung, „die beiden hatten eine intime Beziehung“, so stellt es später das Gericht fest. Es wird der Knackpunkt im Mordverfahren, das eine entscheidende Wendung erfahren wird. Denn die Beziehung kann die an der Leiche gefundenen DNA-Spuren von Erich L. erklären, darunter Spermareste in der Unterhose des Opfers. Die bestehende Theorie des Sexualmords gerät ins Wanken. Der Beschuldigte streitet eine direkte Tatbeteiligung vehement ab.
Köln: Verdächtiger lenkt die Spur auf den wahren Täter
Erich L. ist es, der die Polizei in einem Verhör auf die Spur des „wahren Mörders“ führt: seinen früheren Bekannten Georg K. aus Bergisch Gladbach. Die Ermittler glauben Erich L. zunächst kein Wort, suchen Georg K. aber an dessen Wohnanschrift auf. Sie wollen ihn als Zeugen vernehmen und sagen, es gehe um einen Mord. Da wird Georg K. ganz blass, er muss sich an einer Wand abstützen. Vor der Abfahrt zur Zeugenvernehmung im Polizeipräsidium zieht K. plötzlich noch alle Stecker seiner Elektrogeräte und bemerkte, dass er ja jetzt „eh eine ganze Zeit lang“ nicht mehr zurückkomme.
Von dem Verhalten des Mannes überrascht, belehren die Beamten Georg K. vor der Vernehmung nicht mehr als Zeugen, sondern als Beschuldigten. Dann gesteht er tatsächlich den Mord im Jahr 1996. „Ich habe damals in ziemlichen Drogensumpf dringehangen“, sagt er. Josefa W. habe er in der Wohnung von Erich L. kennengelernt. Und dann habe es Probleme gegeben. Das Mädchen müsse weg, soll Erich L. sinngemäß gesagt haben. Ob Erich L. einen Mordauftrag erteilt habe, wollen die Ermittler wissen. Georg K. antwortet: „Der hat nur gesagt, das Problem müsste beseitigt werden.“
Das Landgericht rekonstruiert das Verbrechen so: Georg K. fährt nach dem Gespräch mit Erich L. zusammen mit Jozefa W. und einer Prostituierten, mit der er liiert ist, in die Niederlande. Der Anlass oder ein möglicher Vorwand können die Richter später nicht mehr feststellen, zeitweise ist die Rede von einer Fahrt in ein niederländisches Bordell. Gegen Mitternacht des Tattages fährt Georg K. in das Waldgebiet bei Lottum. Die Bekannte muss pinkeln, Jozefa W. schließt sich an. Während letztere mit heruntergelassener Hose im Wald hockt, greift sich Georg K. einen im Auto liegenden Hammer.
Mord durch Hammerschläge im abgelegenen Waldstück
Der völlig arglosen Jozefa W. schlägt der Täter den Hammer mehrfach mit Wucht gegen den Kopf. Nach dem ersten oder zweiten Schlag fällt Jozefa W. wahrscheinlich auf den Rücken. Georg K. schlägt weiter auf sein Opfer ein. Jozefa W. verblutet am Tatort. Die Lebensgefährtin von Georg K. beobachtet das Geschehen, greift aber nicht ein. Danach fährt das Pärchen zurück nach Köln. Laut Gericht berichten sie Erich L. in dessen Wohnung von dem Mord. Womöglich schließen die drei ein Schweigeabkommen. Niemand geht zur Polizei. Dreizehn Jahre bleiben die Beteiligten unentdeckt.

Im niederländischen Lottum wird Jozefa W. im Jahr 1996 ermordet. Der kleine Ort wird auch Rosendorf genannt.
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Spontan habe er Jozefa W. getötet, sagt Georg K.: „Ich weiß selbst nicht, wie ich das erklären kann. Das ist normal nicht meine Art.“ Angeklagt wird K. nicht. Er stirbt drei Monate nach seiner Verhaftung im Gefängnis in Aachen, wohl an einem Herzinfarkt. „Mein Mandant hatte die Absicht, im Prozess sein Gewissen zu erleichtern, dazu hat er jetzt leider keine Gelegenheit mehr“, sagt sein Verteidiger Martin Bücher. Zum Prozess im Landgericht kommt es aber trotzdem – gegen Erich L. und die Partnerin des Verstorbenen. Denn die Staatsanwaltschaft geht weiter von einem Mordkomplott aus.
Kölner Landgericht: Die Angeklagten schweigen beim Prozess
Erich L. grinst, als er im Februar 2011 von Wachtmeistern in den Schwurgerichtssaal geführt wird, er lächelt einer Verteidigerin zu und streckt die Daumen in die Höhe. Äußern wird er sich zum Vorwurf des Auftragsmordes nicht. Auch die Mitangeklagte schweigt. Zum Eklat kommt es, als der Anwalt des verstorbenen Georg K. im Zeugenstand einen Brief des Mandanten anspricht, der ihn zwei Tage vor dessen Tod erreicht habe. Das Schriftstück rückt Martin Bücher mit Verweis auf die anwaltliche Schweigepflicht nicht raus, zeigt es aber den Anwälten der Angeklagten. Die Staatsanwältin tobt.
Ob Georg K. in dem Brief die Mitangeklagten doch noch beschuldigt oder weiter entlastet hat, kommt nie raus. Erich L. und die Mitangeklagte bleiben bei ihrer Schweigetaktik. Und die geht in dem reinen Indizienprozess auf: Weder sieht das Gericht am Ende einen Auftrag von Erich L., noch eine Mittäterschaft der Mitangeklagten als erwiesen an. Der Richter verkündet einen Freispruch – und Erich L. lacht immer noch. Das Mordrätsel um das „Rosenmädchen“ ist zwar weitgehend gelöst, die Angehörigen haben Gewissheit. Doch wirklich gesühnt wird der gewaltsame Tod von Jozefa W. nicht.
In der „Große Kölner Prozesse“ bereitet der „Kölner Stadt-Anzeiger“ in unregelmäßigen Abständen große Kölner Strafprozesse aus der Vergangenheit auf. Fälle, die die Menschen in Köln stark bewegt oder ganz besondere Details ans Tageslicht gebracht haben.

