Nachruf auf getöteten Stadtmitarbeiter„Kurt war erst 47 – Warum musste er sterben?“

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Im vergangenen Herbst verbrachten Kurt Braun (l.) und sein Lebensgefährte Mark Boots einen dreiwöchigen Urlaub auf Bali.

  • In unserer Serie Nachrufe erinnern wir an Kölner, die in jüngerer Vergangenheit verstorben sind.
  • Am 13. Dezember vergangenen Jahres fand Kurt Brauns Leben ein jähes Ende. Der städtische Vollstreckungsbeamte wurde von einem psychisch kranken Mann erstochen.
  • Seine Freunde fühlen sich noch immer wie in einem „schlimmen Traum“. Sie vermissen Kurt, den Familienmenschen, den leidenschaftlichen Kölner und Karnevalisten – und einen Menschen, der seine Arbeit einfach gerne gemacht hat.

Köln – „Es war Liebe auf den ersten Blick“, sagt Mark Boots. „Ich hatte immer gedacht, so was gibt es nicht. Aber dann ist es doch passiert“. 2016 lernte er über das Internet Kurt Braun kennen. Sie trafen sich in Boots' Heimatstadt Venlo und hatten nur eine Stunde Zeit – genug, dass der Funke überspringen konnte. Beide teilten ein Faible für Latex-Kleidung. Braun war Mitglied von „Rheinfetisch“, einem Club für schwule Männer aus Köln und Umgebung, für die bestimmte Materialien und Stile, sich damit auszustaffieren, ein Fetisch sind, zum Beispiel Lederkluft, Militäruniform oder eben Gummikleidung. Mark Boots und Kurt Braun wurden ein Paar. „Wir waren eins“, sagt der 51-Jährige Lagerist. „Ihr seid so süß“, hätten sie von allen Seiten zu hören bekommen.

„Ich wurde verrückt von diesem Wort: ,süß„.“ Die Liebe hatte Bestand, obwohl die Männer zwischen Köln und Venlo pendeln mussten. Drei Mal nahmen sie gemeinsam als Fetisch-Männer an der Parade des Kölner Christoper Street Day teil. Im vorigen Herbst machten sie Urlaub auf Bali, drei Wochen lang. „Es war der Himmel auf Erden“, sagt Boots. Einige Wochen danach kam das jähe Ende. Am 13. Dezember entdeckte er zu seiner Überraschung auf dem Facebook-Konto seines Lebensgefährten mehrere Posts mit Trauerschleifchen. Rasch hatte er Gewissheit: Kurt Braun lebte nicht mehr.

Der Tod des 47-Jährigen fand große Beachtung in den Medien. Bei Kurt Braun handelt es sich um den städtischen Mitarbeiter, der vor einem Monat in Dünnwald von einem mutmaßlich psychisch kranken Mann mit einem Messer getötet wurde. Mit einer Kollegin von der Stadtkämmerei, die unverletzt blieb, war er im Außendienst unterwegs, um als Vollstreckungsbeamter Geld von säumigen Schuldnern einzutreiben. Der 60-jährige Mieter, an dessen Wohnungstür sie geklingelt hatten, stach unvermittelt zu. Schwer verwundet schleppte sich Kurt Braun auf die Straße. Er starb vor dem Haus im Rettungswagen.

Trauerfeier

Am Montag, 13. Januar, beginnt um 11.30 Uhr im Bürgerzentrum „Altenberger Hof“ , Mauenheimer Straße 92, in Nippes eine Gedenkfeier für Kurt Braun. Die Freunde bitten darum, in Sinne des Verstorbenen, dessen Leben „vielfältig“ und „bunt“ gewesen sei, „möglichst auf Trauerkleidung zu verzichten“. „Duchaus gerne gesehen“ würden etwa  Karnevalisten in  Uniform oder Litewka, bei Angehörigen der 1. Kölner Hunnenhorde oder  anderer Kölner Stämme  das „jeweilige Outfit“. Um 13.30 Uhr beginnt auf dem Nordfriedhof (Eingang Pallenbergstraße) die Beisetzung der Urne. Blumen und Kränze sind nicht erwünscht. Stattdessen wird um eine Spende an die „Stiftung Kölner Opferhilfe“ unter dem Stichwort „Kondolenzspende Kurt Braun“ gebeten.

Die Tat löste eine Diskussion über ein ämterübergreifendes Meldesystem für Übergriffe auf  Mitarbeiter der Stadt aus; die will es bis Ende März einführen. Der Mieter war schon im März desselben Jahres aufgefallen, ohne dass Braun und seine Kollegin davon wussten. Damals war der Mann auf eine Mitarbeiterin des Gesundheitsamts und einen psychiatrischen Sachverständigen losgegangen, die ihn wegen einer betreuungsrechtlichen Angelegenheit besucht hatten. Nach dem Angriff wurde der 60-Jährige für drei Wochen in der geschlossenen Psychiatrie in Merheim untergebracht; danach kehrte er in seine Wohnung in Dünnwald zurück.

„Er hat seine Arbeit einfach gerne gemacht“

„Er war ein sehr erfahrener, toleranter und hilfsbereiter Kollege, für den die Tätigkeit als Vollstreckungsbeamter Berufung war“, heißt es in der Todesanzeige von Stadtrat und Verwaltung. Boots bestätigt, sein Lebensgefährte habe den Beruf „mit Leidenschaft“ ausgeübt, ob es nun darum ging, mit Unterstützung von Ordnungsamt und Polizei in Gaststätten Geldbeträge einzuziehen, bei Kraftfahrern die Bezahlung offener Knöllchen durchzusetzen oder in Haushalten ausstehende Rundfunkgebühren einzufordern. „Dabei war er megabereit, den Leuten zu helfen, er war die Ruhe selber“, sagt Mark Boots. Karina Piroth, 39 Jahre alt, Erzieherin und Brauns beste Freundin, fügt schlicht hinzu: „Er hat die Arbeit gerne gemacht.“

Im September 1991 hatte er begonnen, bei der Stadt zu arbeiten. Nach dem Abschluss des Vorbereitungsdienstes war er im damaligen Kassen- und Steueramt tätig und hatte mit der Gewerbesteuerveranlagung zu tun. Anfang 2006 wechselte er  in die heutige Kämmerei und wurde Vollstreckungsbeamter im Außendienst. Er sei gut geschult gewesen und habe sich stets vorsichtig verhalten, sagt Boots. Selbst im Urlaub habe sein Freund mit feinem Sensorium darauf geachtet, ob sich irgendwo ein Konflikt anbahnen könnte. „Er hatte überall Augen. Ich habe ihm dann gesagt: Du kannst das mal ausschalten.“

Aufgewachsen ist Kurt Braun in Sülz. Früh starb der Vater; der einzige Bruder wurde nur 37 Jahre alt. Ausgesprochen eng war die Beziehung zu Mutter Käthe. „Sie war sein ein und alles“, sagt Andreas Klein, der lange mit Braun befreundet war und ihn von der Zeit her kennt, als er neben dem städtischen Dienst für eine Sicherheitsfirma als Wachmann arbeitete, bei Veranstaltungen in der Lanxess-Arena und in Karnevalssälen.

Als seine Mutter, die in Lindenthal wohnte, pflegebedürftig geworden war, habe Kurt Braun sich jahrelang „für sie aufgeopfert“, sagt Karina Piroth. „Für sie hat er alles gemacht“, bekräftigt Boots. 2016 starb die Mutter. Da war es noch nicht lange her, dass ihr Sohn ihr offenbart hatte, er fühle sich auch zu Männern hingezogen.

Braun, der früher nur Beziehungen zu Frauen hatte und dann von sich sagte, er sei bisexuell, hatte sich offenbar schwer damit getan, sich zu outen. Die Mutter habe gelassen reagiert, erinnert sich Andreas Klein, allerdings die Bemerkung fallen lassen: „Aber bring mir so eine nicht mit nach Hause“.

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Auch bei den Arbeitskollegen erwies sich die Angst, wegen der sexuellen Neigung womöglich schief angeguckt zu werden, als unbegründet. Boots: „Die wussten auch von dem Latex-Zeug“. Wegen jener Angst war es Kurt Braun nur recht, wenn Außenstehende ihn und Karina Piroth für ein Paar hielten. Auf alle Fälle war sein Verhältnis zu ihr innig. Auch zu ihrem Sohn Fabio, den sie alleine großzieht. „Er war mein Papa“, sagt der Zwölfjährige“; umgekehrt habe sein Ersatzvater ihn seinen „Leihsohn“ genannt. Häufig kam der Junge aus dem Westerwald nach Köln zu Besuch.

Mit Haut und Haaren war er dem Karneval verschrieben

In der Todesanzeige der Freunde, die über Braun in dessen Stammlokal „Oma Janßens Colonialwarenhandlung“ am Alter Markt Auskunft geben, ist zu lesen: „ Et jitt kei Wood / dat sage künnt / wat ich föhl / wann ich an Kölle denk“. Sie war groß, die Liebe zur Heimatstadt, deren Wahrzeichen Kurt Braun schon mal „das Bahnhofskapellchen schräg gegenüber von McDonald’s“ nannte.

Mit Haut und Haaren war er dem Karneval verschrieben. Eine Leidenschaft, die er mit Andreas Klein gemein hatte, für dessen Internet-Portal „Kölsche-Fastelovend.de“ er oft Fotos lieferte. Er war unter anderem Ehrenleutnant bei den Roten und den Blauen Funken sowie bei der Prinzengarde, außerdem Protokoll- und Schriftführer der Rheinischen Karnevalskorporationen. Klein: „Jeder kannte ihn mit Vornamen, er war bekannt wie ein bunter Hund im Karneval.“ Boots: „ Er war stolz wie ein kleines Kind auf all die Orden und die Urkunden, in der Küche hing die ganze Wand voll davon.“

Unsere Serie „Nachrufe“

In unserer Serie Nachrufe erinnern wir an Kölner, die in jüngerer Vergangenheit verstorben sind. Wenn Sie vom Tod eines interessanten Kölners erfahren, über den wir einen Nachruf schreiben können, melden Sie sich bitte bei uns unter 02 21/2 24-23 23 oder ksta-koeln@dumont.de. Bei den Geschichten geht es nicht darum, ob ein Mensch prominent war oder unbekannt, erfolgreich oder verarmt. Es sollen Lebensläufe mit ihren Höhen und Tiefen beschrieben werden. Getreu dem Gedanken: Jeder Mensch hat etwas zu erzählen. Jedes Menschenleben ist einzigartig.

Besonders war Braun der „1. Kölner Hunnenhorde von 1958“ verbunden, einem von 80 Kölner Stämmen, der jährlich im Volksgarten sein Lager abhält. Die Mitglieder kleiden sich so, wie das zentralasiatische Reitervolk es getan hat, und vollziehen seine Bräuche nach. In drei Karnevalsessionen in Folge schlüpfte Kurt Braun in die Rolle des Attila Rex; als seine Gefährtin Ildiko hatte er Karina Piroth an seiner Seite. Es mag auch der Reiz von Leder und Fell gewesen sein, der ihn ursprünglich an der Horde angezogen hatte. Doch das Interesse reichte weit darüber hinaus. „Die Geschichte von Attila und den Hunnen konnte er im Schlaf“, sagt die Freundin.

Mark Boots, der niederländische Lebensgefährte, fremdelte anfangs mit der Karnevalswelt. „1978 habe ich das erste Mal in Venlo Karneval mitgefeiert, und das reichte mir.“ Durch Kurt Braun gewann er den Fastelovend lieb; fünf Kostüme habe er sich in drei Jahren gekauft. „Es wurde immer schöner, Karneval ist jetzt mein Ding.“

Fest steht für ihn und Karina Piroth, dass sie zum nächsten Rosenmontagszug gehen. „Kurt würde wollen, dass wir das machen.“ Der Verlust ist für die Freunde unfassbar. „Es ist wie ein schlimmer Traum,“ sagt Mark Boots, „und der Traum hört nicht auf. Zu drei Vierteln ist mein Herz kaputt, und ein Viertel ist auf Autopilot geschaltet. Kurt war erst 47 und gesund. Warum musste er so früh sterben? Warum ist er erstochen worden? Die Frage bleibt: Warum?“

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