Eltern am Limit„Bitte betreuen Sie Ihr Kind selbst“ – Personalnotstand in Kölner Kitas spitzt sich zu

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Eine Mutter steht mit ihrem dreijährigen Sohn vor dem Eingang einer Kita.

Julia Fenrich steht mit ihrem dreijährigen Sohn vor dem Eingang der städtischen Kita in Lövenich. Momentan sind die Betreuungszeiten dort sehr eingeschränkt.

Kitas müssen Öffnungszeiten kürzen, Kinder können nur an bestimmten Tagen betreut werden. Eltern sind verzweifelt. Zahlen müssen sie trotzdem.

Julia Fenrich ist wütend: „Es muss etwas passieren – endlich!“ Ihr Sohn besucht seit einem Jahr eine städtische Kita in Lövenich. Theoretisch. Denn momentan ist der Dreijährige häufiger zu Hause als in der Kita. Und eine Verbesserung ist nicht in Sicht. Im Gegenteil. „Und der Herbst mit den üblichen Krankheitsausfällen hat noch nicht mal richtig begonnen“, sagt Fenrich.

Die Personalnot hat sich so zugespitzt, dass bis Mitte November die Betreuungszeiten massiv gekürzt wurden, wie die Stadt auf Anfrage bestätigt. Mehrere Mitarbeitende hätten demnach gekündigt oder seien in Rente gegangen. In der Praxis sieht das so aus: Grundsätzlich schließt die Kita täglich spätestens um 15.30 Uhr – statt wie sonst um 16.30 Uhr.

Köln: Kaum eine Kita leidet nicht unter Personalmangel

Auch die Anzahl der Kinder, die betreut werden können, variiert täglich. „Montags erhalten wir einen Plan für die ganze Woche. Wenn kurzfristig Erzieherinnen ausfallen, erfahren wir morgens um 7 Uhr per Whatsapp, wie viele Plätze zur Verfügung stehen“, berichtet Fenrich.  In dieser Woche etwa können lediglich an zwei Tagen alle 21 Kinder der Kita-Gruppe kommen. An allen übrigen jeweils nur zehn und dann auch nur von 9 bis 14 Uhr.

Julia Fenrich weiß um den Fachkräftemangel: „Aber die einzige Lösungsstrategie der Stadt kann doch nicht sein, das Problem auf die Eltern abzuwälzen.“ Fenrich berichtet von dramatischen Szenen, die sich teilweise am Eingang abspielten: „Neulich musste eine Mutter ihr Kind wieder mitnehmen, weil schon zu viele Kinder und zu wenige Mitarbeitende da waren. Ihr Mann ist krebskrank und sie wollte zu ihm ins Krankenhaus.“ Andere Eltern fürchteten um ihre Jobs, weil Arbeitgeber irgendwann kein Verständnis mehr für die vielen Fehlzeiten hätten.

Die einzige Lösungsstrategie der Stadt kann doch nicht sein, das Problem auf die Eltern abzuwälzen.
Julia Fenrich, Mutter eines Dreijährigen

Nach Angaben der Stadt ist für November eine Stellenbesetzung geplant, weitere werden geprüft oder sind ausgeschrieben. Erst wenn die vakanten Stellen besetzt seien, würden sich die Betreuungszeiten bessern. Fenrich hat indes schon mehrere Hundert Euro in Babysitter investiert. „Natürlich zahlen wir trotzdem die vollen Elternbeiträge und das Essensgeld.“ Was die Elternbeiträge angeht, so sei es nur bei einem „erheblichen Betreuungsausfall“ möglich, diese zu reduzieren – etwa wenn es mehrere Wochen keine Betreuung gäbe.

Fenrich ist Marketingleiterin eines Möbelhauses und kann auch aus dem Homeoffice arbeiten – „soweit das mit Kleinkind überhaupt machbar ist“. Doch in vielen Branchen ist Eltern das nicht möglich. Jonas Zacher etwa arbeitet als niedergelassener Kardiologe, seine Frau Nina Zacher ist Lehrerin an einer Gesamtschule. „Seit Monaten tangieren die Betreuungsprobleme in der Kita unserer Tochter unsere Jobs und damit auch die Gesellschaft“, sagt Zacher.

Eltern werden am Eingang der Kita mit ihren Kindern abgewiesen

Der Arzt muss immer wieder Patiententermine absagen oder verschieben, immer wieder muss die Lehrerin Unterricht ausfallen lassen, um die Tochter früher aus der Kita abzuholen. „In den letzten Monaten gab es kaum eine Woche ohne gekürzte Öffnungszeiten und eine Reduzierung der Kinder-Anzahl.“ Regelmäßig erhielten die Eltern Nachrichten der Kita-Leitung mit der Aufforderung, das Kind möglichst zu Hause zu betreuen oder früher abzuholen.

Vor einigen Tagen sei Zacher am Eingang der Kita abgewiesen worden, weil schon die Maximal-Anzahl der Kinder erreicht gewesen sei. „Ich musste meine Tochter dann mit in die Praxis nehmen.“ Auch in der Schule seiner Frau sei die Fünfjährige gezwungenermaßen schon mehrfach im Unterricht gewesen. „Momentan überlegen wir, ob wir die restliche Kita-Zeit nochmal mit Elternzeit überbrücken.“ Zachers Kritik richte sich explizit nicht gegen die Kita oder die dort Beschäftigten: „Die machen alle einen tollen Job und sind super engagiert. Das ist ein strukturelles Problem, das seitens der Politik gelöst werden muss.“

Was die Familien Fenrich und Zacher erleben, sind keine Ausnahmen, sondern aktuell in sehr vielen Kölner Kitas Alltag. „Bitte holen Sie Ihr Kind so früh wie möglich ab“ oder „Bitte betreuen Sie Ihr Kind nach Möglichkeit selbst“ – solche Nachrichten erhalten Eltern immer wieder von Kita-Leitungen. Sie liegen der Redaktion vor.

Die Politik scheint das Problem inzwischen erkannt zu haben. Im Jugendhilfeausschuss am Dienstag sollen Maßnahmen und Beschlüsse auf den Weg gebracht werden, um „mit absoluter Priorität die Stabilisierung des Betreuungssystems“ in Kitas und der Tagespflege sicherzustellen, wie es der in der Beschlussvorlage des Bildungsdezernats heißt. Dazu soll ein Stufenplan mit kurz-, mittel- und langfristigen Maßnahmen vorgestellt werden. Zudem fordern die Ratsfraktionen von SPD und FDP in einer gemeinsamen Resolution die NRW-Landesregierung auf, dem Fachkräftemangel in Kitas durch „innovative Personal- und Ausbildungskonzepte“ entgegenzuwirken.

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