100 Jahre Hans ImhoffKölner Unternehmer mit „Herz aus Schokolade"

Lesezeit 8 Minuten
Neuer Inhalt (2)

Hans Imhoff mit seiner zweiten Frau Gerburg.

Köln – „Hans Imhoff (* 12. März 1922 in Köln; † 21. Dezember 2007 ebenda) war ein deutscher Schokoladen-Fabrikant. Er gründete das nach ihm benannte Imhoff-Schokoladenmuseum in Köln.“ So steht es bei Wikipedia – das pralle Leben eines Kölner Originals reduziert auf zwei einleitende Sätze im World Wide Web. An diesem Samstag wäre Hans Imhoff, der nach eigener Einschätzung „ein Herz aus Schokolade“ hatte, 100 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass haben wir mit seinen Töchtern Annette (52) und Susanne (50) gesprochen.

Hans Imhoff: Als Kind musste er sich an Schokolade sattriechen

„Der Geburtstag meines Vaters ist der Todestag von Ludwig Stollwerck“, erzählt Annette Imhoff, die mit ihrem Mann Christian heute das Schokoladenmuseums leitet. Eine erst jüngst entdeckte Tatsache, von der ihre Eltern nichts gewusst hätten. „Ludwig Stollwerck war der Innovator, der das Unternehmen Stollwerck großgemacht hat. Er stand für Produktqualität, hat unter anderem die Automaten und Sammelbilder erfunden und ist nach Amerika und viele andere Länder expandiert.“

Rund 50 Jahre später sollte Hans Imhoff Stollwerck übernehmen und vor dem Konkurs retten.

Alles zum Thema Ford

Sein Lebensweg schien früh vorgezeichnet, denn schon in der Kindheit roch sich der kleine Hans satt an den Düften der Schokoladenfabrik in der Südstadt. „Mein Vater kam aus einer Schlosserfamilie, die wahnsinnig unter der Weltwirtschaftskrise gelitten hat“, sagt Susanne Imhoff, Leiterin der Imhoff Stiftung. „Die waren arm, wohnten in der Fleischmengergasse, fühlten sich da fehl am Platz, aber mehr war nicht drin. Zu Zeiten gab es wenig zu Essen. Ich erinnere mich an eine Führung meiner Grundschulklasse durch die Schokoladenfabrik, die damals, Ende der 1970er Jahre, schon in Porz war.“

„Mein Vater, der auch dabei war, hat sich vor die Kinder gestellt und gesagt: Macht die Augen zu und riecht mal – is dat nit fantastisch? Das werde ich nie vergessen.“ Annette ergänzt: „Essen war ihm später immer wichtig, genussvoll essen, was man ihm ja auch angesehen hat. Aber als Kind gab es eben Margarine aufs Brot. Oder Rübenkraut. Aber Rübenkraut ohne Margarine oder Butter drunter schmeckt fies. Wenn dann der Nachbarssohn mit der Leberwurststulle kam, war das schon ein Trigger, das auch unbedingt zu wollen.“  

Metall verarbeiten mochte Hans Imhoff nicht. Nach dem Besuch der dreijährigen Handelsschule begann er bei Bosch eine kaufmännische Lehre. Er meldete sich als Freiwilliger bei der Kriegsmarine und kam nach Griechenland. Aufgrund eines Augenleidens wurde er 1943 ausgemustert und kehrte nach Köln zurück. Im selben Jahr heiratete er seine erste Frau Irmgard Lenz, mit der er zwei Kinder, Hans und Monika, hatte.

Er arbeitete zunächst in einer Autowerkstatt, später bei Ford. Geredet hat er über diese Zeit vor und während des Krieges wie fast alle seiner Generation nie. „Dieses kollektive Schweigen macht doch etwas mit einem“, sagt Susanne. Die Biografien der Kriegsgeneration verstehe man nur, wenn man die unausgesprochene Wahrheit dieser Zeit berücksichtigt. „Dass ich immer das Gefühl habe, ich bin bedürftig, das ich Angst habe, dass das nicht reicht – diese Erfahrung haben wir ja gar nicht.“

Hans Imhoff: Verlust der Jugend im Krieg als Antrieb

Der Verlust der Jugend als Antrieb für das spätere Leben. „Er hatte immer das Gefühl, mein Leben reicht nicht aus, das zu schaffen, was ich noch erreichen will“, sagt Susanne. Golfspielen und Kreuzfahrten waren nicht seins. „Unbändige Kraft und unbändigen Willen bescheinigt ihm auch Annette. „1989, da war er Ende 60 und eigentlich im Rentenalter, ist er ja mit der Osterweiterung nochmal einen unternehmerischen Riesenschritt gegangen, mit gigantischen Risiken.“

Es gäbe aber immer zwei Seiten: das erfolgreiche Vorwärtsgehen im Beruf habe die Schattenseite des Nicht-Wissen-was-mit-sich-tun, wenn man nicht arbeitet. „Das resultierte darin, dass er jeden Urlaub vorzeitig abbrach“, erzählt sie. „Man nahm sich vor, dass der Urlaub nötig wäre, aber spätestens nach fünf, sechs Tagen kriegt er Hummeln im Hintern und schickte Faxe an seine Führungskräfte oder reiste ab.“

Im Oktober 1945 erhielt Hans Imhoff von den Besatzungsmächten die Genehmigung, in Alf an der Mosel einen Lebensmittelgroßhandel zu errichten, der sich in kürzester Zeit zum größten Lebensmittelversorger in der Region entwickelte. Mit einer auf dem Schwarzmarkt erstandenen Schokoladenmaschine gründete er 1948 in Bullay eine Schokoladen- und Pralinenfabrik und avancierte zum ersten deutschen Nachkriegsmillionär. Das Unternehmen wuchs ständig, im Jahre 1958 beschäftigte Imhoff bereits 400 Mitarbeiter. 1964 kehrte er nach Köln zurück und expandierte weiter.

Verkauf des Stollwerck-Geländes und Umzug nach Porz

Im Januar 1972 übernahm er die Kölner Stollwerck AG und sanierte das Unternehmen gründlich. So verkaufte er 1974 das 57.356 Quadratmeter große Stollwerck-Betriebsgelände und das sanierungsbedürftige Verwaltungsgebäude im Kölner Severinsviertel, verlagerte die Produktion nach Porz.

Der Kölner Stadt-Anzeiger schrieb 2005: „Imhoff führt das Unternehmen tatkräftig und schlitzohrig zu einer unerwarteten neuen Blüte. Allerdings wird die Produktpalette von über 1000 auf 190 Artikel zusammengestrichen und auch die Zahl der Mitarbeiter zunächst kräftig reduziert. Doch innerhalb weniger Jahre erzielt Stollwerck wieder Gewinne. (…) Im Jahr 2000 setzt Stollwerck über 700 Millionen Euro um und beschäftigt weltweit 5000 Mitarbeiter. Seine Kleinaktionäre verwöhnt Imhoff, der zugleich Aufsichtsrats- und Vorstandsvorsitzender ist, mit unterhaltsamen Hauptversammlungen, großzügiger Bewirtung, ordentlichen Ausschüttungen und regelmäßigen Naturaldividenden in Form von Schoko-Paketen.“

Das könnte Sie auch interessieren:

Der Erfolg hat seinen Preis. Die Familie sieht ihn eher selten. Imhoff ist mittlerweile mit Gerburg in zweiter Ehe verheiratet, das Paar hat zwei Töchter, Annette und Susanne. Außer ab und an beim gemeinsamen Abendessen oder einem Sonntagsfrühstück sahen die drei Frauen das Familienoberhaupt nicht oft.

„Präsent war er schon für mich“, erinnert sich Susanne. „Er war eine ganz, ganz wichtige Person, aber ein bisschen auch ein Mysterium. Nach Hausaufgaben gucken oder ob wir Zähne geputzt hatten? Nein. So ein Tag hat ja auch nur 24 Stunden. Er hatte so unfassbar viele Entscheidungen zu treffen, musste sich durchsetzen und kämpfen. Die Energie war woanders. Ich hatte aber nie das Gefühl, dass mir was fehlt. Das war selbstverständlich so, wie es war.“

Auch bei den Freundinnen wäre das nicht anders gewesen damals, ergänzt Annette. „Ein Mann beim Elternabend? Da hätten die ziemlich komisch geguckt.“

Da sind andere Erinnerungen prägender. „Die Schleyer-Entführung 1977, bei der zwei Menschen erschossen wurden, war vor dem Haus meiner besten Freundin“, erzählt Annette. „Ich war damals acht. Dann kam die Oetker-Entführung. Unternehmer, aber auch Politiker waren ja einer schweren Bedrohung ausgesetzt, nicht nur er, auch seine Familie. Die Angst meines Vaters ist mir noch heute sehr präsent. Dass wir heimlich mit dem Fahrrad zur Schule gefahren sind, durfte Papa nicht wissen. Eigentlich mussten wir immer gebracht und abgeholt werden.“

Ihre Mutter habe sich trotz des Risikos darüber hinweggesetzt, um ein Stück Normalität zu schaffen. Auch die vergitterten Fenster sind für die Schwestern bis heute prägend. Susanne sagt: „Ich fühlte mich ständig eingesperrt als Jugendliche.“ Trotzdem habe die Mutter es geschafft, die wahre Größe der Bedrohung von den Mädels fernzuhalten.

Die Reflektion darüber, was der Vater war und was er geleistet hat, da sind die Schwestern sich einig, komme eh erst, wenn man in den Zwanzigern ist. Vorher sei man zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Der kleine, persönliche Mangel wiege als Teenager mehr als die Privilegien, die die Erfolge des Vaters mit sich gebracht hätten.

Hans Imhoff war ein Macher alter Schule, ein Patriarch, ein Machtmensch, der seine Firma mit strengem Regiment führte. Gleichzeitig wollte er Mitarbeiter und Kleinaktionäre wie Familienmitglieder behandeln. Er klüngelte, was das Zeug hielt, war (nicht nur in Köln) bestens vernetzt.

Die Bilder von Politik und Wirtschaft aus der Zeit sind identisch: rauchende Männer an Verhandlungstischen voller Alkoholflaschen. Imhoff, der auch Honorarkonsul von Togo war, stand für Anekdoten, die man heute in den Chefetagen großer Unternehmen kaum noch geboten bekommt. „Genug gequatscht, jetzt jitt et lecker Kölsch" ist eines der Zitate aus einer Aktionärsversammlung, bei denen es oft lustiger zuging als bei einer Karnevalssitzung im Gürzenich. Viel zu verhandeln gab es ohnehin nicht – Imhoff hielt 96 Prozent der Aktien selbst.

Auf einer anderen Hauptversammlung stellt er in einem Film seinen Lebenstraum vor: das Imhoff-Stollwerck-Museum am Rheinauhafen. Er probierte die Idee mit einer großen Ausstellung im Gürzenich aus, die Besucher waren begeistert.

1993 wurde das neue, gut 55 Millionen Mark teure und von Hans Imhoff komplett privat bezahlte Schokoladenmuseum eröffnet. Gegen massive Widerstände der Politiker, die den Unternehmer für „komplett irre“ hielten. „Aber er war robust genug, das durchzuziehen“, sagt Annette heute. „Geiles Thema, geile Lage. Meine Mutter hat das Grundstück gefunden damals, die wollten uns eigentlich mit einer Parzelle im Süden des Hafens abspeisen. Und er hat groß gedacht: Tropenhaus, echte Schokoladenfabrik. Und er hat es nie als Firmenmuseum gesehen.“

Start-up-Preis

Zu Ehren von Hans Imhoff hat die Familien einen Start-up-Preis ins Leben gerufen. Hier erfahren Sie mehr dazu.

Im laufenden Bau optimiert er die Pläne: „Hier sollen die ollen Tanten sitzen und Kaffee trinken?“ habe er bei einer Baustellenbegehung gefragt, erzählt Annette. Und das Café kurzerhand verlegt und die Produktionsstraße an die Spitze des Rheinauhafens in die Toplage platziert. Nach 13 Monaten ist der Bau fertig. Der Erfolg ist umwerfend: Ohne Pandemie kommen rund 600.000 Besucher jedes Jahr.

Gemeinnützige Stiftung zum Wohle der Vaterstadt

Im Jahr 2000 gründet er die gemeinnützige Imhoff Stiftung zum Wohle seiner geliebten Vaterstadt Köln. „Ich bin kein Clown, ich versuche nur, das Schwere erträglicher zu machen“, hat Hans Imhoff einmal gesagt. Heute unterstützt die Stiftung gezielt Projekte in Köln. „In diesem Jahr werden etwa 600.000 Euro ausgeschüttet“, sagt Susanne Imhoff.

Köln: Hans Imhoff starb 2007

Das ständige Leben im Starkstrommodus und die patriarchalische Struktur des Konzern forderten allerdings ihren Tribut. 2002 verkaufte Imhoff, mittlerweile 80 Jahre alt und Ehrenbürger, seine Aktienmehrheit an der Stollwerck AG für 175 Millionen DM an den Schweizer Schokoladenkonzern Barry Callebaut.

Hans Imhoff zog sich ins Privatleben zurück und starb, nach langer Krankheit, am 21. Dezember 2007. Sein Vermächtnis zum Wohle Kölns ist bis heute präsent. Wer daran zweifelt, sollte im Schokoladenmuseum vorbeischauen und sich satt riechen.

KStA abonnieren