Sebastian Jost erhielt im Alter von drei und erneut mit 29 Jahren ein Spenderherz.
Lebensrettende TransplantationSebastian Jost erhält nach 26 Jahren zweites Spenderherz

Patient Sebastian Jost mit Dr. Katharina Seuthe im Herzzentrum der Uniklinik Köln.
Copyright: MedizinFotoKöln D.Hensen
Es war am späten Abend des 24. Mai dieses Jahres, als die Nachtschwester und die betreuende Ärztin Sebastian Jost die erlösende Nachricht überbrachten: Ein passendes Organ hatte sich gefunden. Erst vier Tage zuvor war er auf die Hochdringlichkeitsliste für ein Spenderherz im Eurotransplant-Raum gesetzt worden, dem acht europäische Länder angehören. „Mir kommen jetzt noch Tränen der Freude“, sagt der 29-Jährige, dem das erste gespendete Herz eingepflanzt wurde, als er knapp drei Jahre alt war.
An jenem Maiabend benachrichtigte er sofort seine Eltern, die wie er in Solingen wohnen. Dann wurde er in einem Intensivtransportwagen vom Herzzentrum der Kölner Universitätsklinik zur Uniklinik Düsseldorf gebracht. „Aus Freude ist irgendwann Angst geworden“, sagt er zu seinen Gefühlen, die ihn im OP-Saal überkamen. Da sei ihm mit durchschlagender Wucht klar geworden: „Es ist ernst, jetzt geht es los.“
Die Operation dauerte zehn Stunden
Zehn Stunden dauerte die Operation. Danach wurde der Patient knapp eine Woche im künstlichen Koma gehalten. Wieder bei Bewusstsein, musste er es noch ein paar Tage erdulden, „einen Schlauch im Hals zu haben. Das war das Schlimmste für mich, weil ich nicht vernünftig kommunizieren konnte, was ich wollte.“ Doch er fand einen Weg, sich verständlich zu machen. Streckte er die Zunge heraus, bedeutete dies, dass man ihm den Mund befeuchten sollte. Indem er eine Hand zusammenkrallte, signalisierte er, dass er Schmerzen hatte.
Herztransplantierter Jost: „Ein Riesenglück, damals und heute“
Drei Wochen verbrachte er in der Düsseldorfer Klinik. „Die Transplantation und die Tage danach verliefen bilderbuchmäßig“, sagt Prof. Udo Boeken, chirurgischer Leiter des Herztransplantationsprogramms der Uniklinik Düsseldorf. „Rund zwei Wochen nach der Operation war der Zustand von Sebastian Jost so stabil, dass er von der Intensiv- auf die Normalstation wechseln konnte.“ Wenige Tage später wurde er ins Kölner Herzzentrum zurückverlegt.
„Es war ein Riesenglück, damals und heute“, sagt er mit Blick darauf, dass sich für ihn zweimal ein lebensrettendes Organ gefunden hat. „Mit eineinhalb Jahren fing es an“, erzählt seine Mutter. „Er hatte häufig Lungenentzündungen und wurde immer schwächer.“ Die Diagnose: eine schwere Erkrankung des Herzmuskels. Sieben Wochen vor seinem dritten Geburtstag bekam das Kind im Herz- und Diabeteszentrum NRW in Bad Oeynhausen ein Spenderherz eingesetzt. Sebastian Jost war zu klein, um genau zu begreifen, was vor sich ging, und hat kaum konkrete Erinnerungen daran. „Aber ich weiß, dass ich vor der OP gesagt habe: „Tschüss Mama, tschüss Oma, bis später.“ Denn ich bin davon ausgegangen, dass ich es schaffe.“ Insgesamt war er damals drei Monate im Krankenhaus. Später ging es mit seiner Mutter in die Reha.

Sebastian Jost nach der ersten Herztransplantation im August 1998 im Herz- und Diabeteszentrum NRW in Bad Oeynhausen.
Copyright: Heidi Jost
Im Kindergarten war immer dann Anlass zur Sorge, wenn typische Krankheiten wie Mumps oder Scharlach die Runde machten. „Dann musste er zu Hause bleiben oder Antibiotika nehmen“, sagt Heidi Jost. In der Grundschule gab es keine Probleme, den Sportunterricht eingeschlossen. Mit zehn wechselte der Junge auf Empfehlung seiner Grundschullehrerin auf die Rheinische Förderschule in Leichlingen, die heute LVR-Paul-Klee-Schule heißt. Mit der Zeit fühlte er sich dort fehl am Platz. „Ich habe die Lehrer so lange damit genervt, dass ich auf eine normale Schule gehöre, bis sie gesagt haben, ich solle zwei Wochen in einer Hauptschule hospitieren.“
Das erste Spenderherz war nach 26 Jahren stark funktionseingeschränkt
Das tat er – mit Erfolg. Auf einer Hauptschule in Solingen machte er nach Klasse zehn seinen Abschluss. Die folgende Ausbildung zum Heilerziehungspfleger brach er nach einem halben Jahr ab: „Die Pflege ist nicht mein Ding, habe ich gemerkt.“ Auf einer Weiterbildungsschule holte er mit Qualifikation den Realschulabschluss nach. Im Rahmen eines Starthilfeprogramms begann er bei Bayer Leverkusen eine Ausbildung zum Chemie-Laboranten. Er beendete sie vorzeitig, um auf einem Weiterbildungskolleg in Wuppertal auch das Abitur nachzuholen. Dazwischen kam die Corona-Pandemie in Kombination damit, dass nach vielen Jahren der Stabilität die Gesundheitsprobleme zurückkehrten.
„Das erste Spenderherz war nach 26 Jahren stark funktionseingeschränkt“, so Katharina Seuthe, Oberärztin der Klinik für Kardiologie im Herzzentrum der Uniklinik Köln. Außer einem wiederholten Perikarderguss, also einer Flüssigkeitsansammlung im Herzbeutel, diagnostizierten die Mediziner krankhafte Veränderungen an den Herzkranzgefäßen, die dazu führten, dass das Herz mangelhaft durchblutet war.
Zustand von Jost verschlechterte sich
Das Kölner Spezialistenteam unternahm alles, um die volle Funktion des Organs wiederherzustellen. Dazu gehörte ein chirurgischer Eingriff, bei dem ein Loch in den Herzbeutel geschnitten wurde, um die angesammelte Flüssigkeit abfließen zu lassen. Doch das brachte keine dauerhafte Besserung. Der Zustand des Patienten verschlechterte sich sogar, bis dahin, dass eine Lungenembolie einen Herzstillstand auslöste. Eine Reanimation rettete ihm das Leben. Weil auf das Herz kein Verlass mehr war, wurde er an ein ECMO-Gerät außerhalb des Körpers angeschlossen, das technisch einer Herz-Lungen-Maschine gleicht; es entfernt das Kohlendioxid aus dem Blut und reichert es mit Sauerstoff an.
„Es war klar, dass mein Herz nicht mehr mitmacht“, sagt Sebastian Jost. Deshalb die Entscheidung der Ärztinnen und Ärzte, ihn auf die Hochdringlichkeitsliste für ein Spenderherz zu setzen. Der 29-Jährige möchte „aus Selbstschutz“ nicht erfahren, von wem das neue Organ Herz stammt; das Wissen würde ihn zu stark belasten, glaubt er. Voll Dankbarkeit ist er in jedem Fall. Auch seine Mutter, die auf die dramatischen Momente als „Alptraum“ zurückblickt. „Es müsste mehr publik werden, wie wichtig Organspenden sind“, sagt sie. Ihr Sohn wünscht sich mehr Druck auf die Politik, damit es doch noch zu einer „Widerspruchslösung“ kommt. Diese bedeutet, dass jeder verstorbenen Person Organe entnommen werden können, sofern sie zu Lebzeiten einer Spende nicht ausdrücklich widersprochen hat.
Jost muss stets Medikamente nehmen, die das Immunsystem unterdrücken
Dankbar sind Eltern und Sohn auch für den Einsatz der Mediziner. „Die Ärzte und Ärztinnen in Köln haben alles Mögliche getan und so toll gekämpft, um das Leben meines Kindes zu retten“, sagt Heidi Jost. „Köln kooperiert sehr eng mit Düsseldorf, wenn es um Herztransplantationen geht“, erklärt Prof. Artur Lichtenberg, Direktor der Klinik für Herzchirurgie in Düsseldorf. „Die gesamte hochspezialisierte Vordiagnostik wird in Köln geleistet, die eigentliche Transplantation erfolgt dann in Düsseldorf, die Nachbetreuung wieder in Köln. „Mir geht es von Tag zu Tag besser“, sagt Sebastian Jost. An den Aufenthalt in der Klinik schließt sich eine Reha an. Wie schon seit der Transplantation in der Kindheit wird er stets Medikamente nehmen müssen, die das Immunsystem unterdrücken und so verhindern, dass der Körper das fremde Herz abstößt. Alkohol, manche anderen Getränke und bestimmte Speisen sind tabu, zum Beispiel – wegen der möglichen Salmonellenbelastung – Gerichte mit Fleisch, das nicht durchgebraten ist.
Im kommenden Jahr möchte sich Sebastian Jost wieder darum kümmern, das Abitur nachzuholen. Und er will sich als Mitglied der Grünen weiter in der Politik engagieren. Mit dem Abi in der Tasche werde er vielleicht Wirtschaft und Politik studieren, sagt er. Eine Ausbildung für einen Büro- oder IT-Job kann er sich auch vorstellen. Eins ist klar:„In diesem Jahr will ich mich voll auf meine Genesung konzentrieren.“