„Wir müssen mehr kämpfen“Ticketkrise in der Inflation trifft Kölner Jecken hart

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Kölner Corona-Karneval im Gürzenich

Die Ticketverkäufe im Karneval laufen nicht bei allen Gesellschaften gut

Köln – Da rieb sich so mancher Jeck die Augen: Die hölzerne Schwingtür der Gaststätte Stüsser im Agnesviertel geht auf, die Herren Volker Weininger, Martin Schopps und Jörg P. Weber betreten die Kneipe und heben an zu einer kleinen Sangeseinlage, die Gäste sind begeistert. Das in der letzten Session total abgefeierte „Herrengedeck“ ist auf „Promo-Jux-Tour“, wie Sitzungspräsident Weininger es nennt. Zwar sind für ihr Gastspiel im E-Werk am 29. Oktober die meisten Tickets (39,50 Euro) bereits verkauft, dennoch zieht das Trio einen Abend lang durch diverse Kneipen, verteilt kleine „Herrengedeck“-Schnapsflaschen mit QR-Code für den E-Werk-Gig, singt und spricht mit den Gästen.

„Wir haben natürlich auch Spaß, aber wir müssen mehr kämpfen, um Tickets zu verkaufen“, sagt Weininger, der die Situation für die Branche aktuell als „generell bescheiden“ einordnet. „Das gerade ist die schwierigste Phase der Pandemie.“ Zumal die Kosten für Techniker und Equipment in wenigen Monaten um zweistellige Prozente gestiegen seien. Die Gesamtsituation sei frustrierend, dennoch müsse man sich Zuversicht bewahren. „Das wollen wir rüberbringen.“

Der Kampf um Ticketverkäufe in Köln

Eines ist sicher in diesen so unsicheren Zeiten: in der Veranstaltungsbranche ist nichts mehr so, wie es vor Corona, dem Russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und der aus beidem resultierenden Inflation war. Die Kühlschranktür voller noch nicht eingelöster Tickets aus dem Lockdown, Veranstaltungsstau, Angst vor der nächsten Strom- oder Gasrechnung, Unsicherheit bezüglich der Pandemie-Entwicklung im kommenden Winter  – es gibt viele Gründe für Zurückhaltung beim Ticketkauf.

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Das Herrengedeck auf Promo-Jux-Tour im Gasthaus Stüsser auf der Neusser Straße: Jörg P. Weber, Martin Schopps und Volker Weininger (v.l.)

Die Kaufentscheidung wird erkennbar kurzfristiger getroffen, die Volksbühne am Rudolfplatz gar spricht von einer „Wiedergeburt der Abendkasse“. Der für Weiberfastnacht im Stadion geplante „Karneball“ wurde um ein Jahr verschoben. Dennoch ist nicht logisch nachvollziehbar, wer wann warum zu welchem Preis eine Karte kauft, oder eben nicht.

Michael Gerhold Karneval

Michael Gerhold im Karneval.

Das gilt auch für den Karneval, dessen Gesellschaften und Vereine teilweise schon in der Session mit dem Ticketverkauf für die nächste anfangen. Da dieser 2022 sehr verhalten begann, schlugen die ersten Karnevalsvereine mit Blick auf die kommende Session Alarm. „Aktuell liegen die Kartenverkäufe deutlich unter dem Niveau von vor Corona“, sagte schon im August etwa Michael Gerhold, beruflich Inhaber der Künstleragentur Ahrens, im Ehrenamt Präsident der Nippeser Bürgerwehr. Da er nicht der Einzige war, startete das Festkomitee Kölner Karneval (FK) eine nicht repräsentative Umfrage.

„Unsere Umfrage unter den Mitgliedsgesellschaften hat gezeigt, dass die Ticketverkäufe derzeit noch unter dem Niveau der Jahre vor Corona liegen“, sagt FK-Präsident Christoph Kuckelkorn zu den Ergebnissen. „Auch wenn wir die Zurückhaltung bei den Jecken aufgrund der aktuellen Lage natürlich verstehen, sind die Vereine nach zwei eingeschränkten Sessionen stark auf die Unterstützung angewiesen. Wenn die meisten Jecken erst kurzfristig Karten kaufen und die Vereine aufgrund mangelnder Planungssicherheit Veranstaltungen absagen müssen, wirkt sich das über kurz oder lang negativ auf die Vielfalt im Fastelovend aus.“

Klarer Trend in der Umfrage des Kölner Festkomitees

Mehr als dreiviertel der Vereine bezeichnen ihren Verkauf laut Umfrage verglichen mit dem der Session 2020 als schlechter oder viel schlechter. Beim Rest ist der Verkauf in etwa gleich gut. Auffällig ist, dass offenbar eher große Vereine mit mehr als 200 Mitgliedern und mehreren Veranstaltungen Probleme beim Verkauf haben. Das könnte einerseits daran liegen, dass kleinere KGs eine größere Bindung zu ihren Kunden haben, andererseits an der Tatsache, dass große Vereine und Korps oft umfangreiche Kartenkontingente an Firmen veräußern.

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Prinz Christian Krath, Bauer Frank Breuer und Jungfrau Griet (Ralf Schumacher ) in der Kutsche

Ein Lied davon singen kann Frank Breuer, Vorsitzender und Korpskommandant beim Reiterkorps Jan von Werth. „Der Ticketverkauf ist nicht zufriedenstellend“, sagt der Bauer von 2020. „Vor allem die Firmenkunden warten ab, was auf sie zukommt. Wir haben gerade mal 40 Prozent unserer Karten verkauft.“ Das sei weniger als die Hälfte der Vor-Corona-Kontingente. Viele Menschen seien verunsichert und hätten Angst vor der Inflation.

Ticketverkauf für Karneval: „Die Kurve geht nach oben“

Die sieben Veranstaltungen des Traditionskorps, alle in großen Sälen und eine Party auf der „MS Rhein-Energie“, will er aber auf jeden Fall durchziehen. Man werde die Kunden ansprechen und gegebenenfalls für 2024 die richtigen Schlüsse ziehen. Auch Bürgerwehr-Präsident Gerhold sagt aktuell: „Die Kurve geht nach oben, deshalb bin ich noch nicht nervös, auch wenn wir rund 30 Prozent unter den Vor-Corona-Zahlen liegen.“ Entscheidend sei die Zeit kurz vor dem 11.11.: „Dann haben die Menschen den Urlaub abgehakt und planen ihren Winter.“

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Mädchensitzung in den Sartory-Sälen

Aber auch hier scheint es Unterschiede zu geben. So sagt Benedikt Conin, Pressesprecher der Ehrengarde, auf Anfrage: „Unter den gegebenen Umständen sind wir mehr als zufrieden. Tickets für unsere Sitzungen sind schon bis zu 75 Prozent verkauft. Einige Veranstaltungen sind sogar schon ausverkauft, so der Bützje-Ball in der Halle Tor 2 mit mehr als 3000 Besuchern.“ Aber auch die, bei denen es gut läuft, wollen die eigenen Angebote überprüfen:

Kölner Karneval: Faktor Saalkosten

„Ob wir unser Angebot auf Dauer anpassen oder neue Formate erfinden müssen, weil einfach weniger Leute kommen, wird diese Session auch zeigen“, ist sich Heinz-Günther Hunold, Präsident der Roten Funken, sicher. Auch die Traditionstanzgruppe Hellige Knäächte un Mägde ist mit dem Kartenverkauf via Facebook „zufrieden“. Allerdings würden sie als eher kleinere Gesellschaft keine großen Säle wie Gürzenich, Maritim oder Sartory mieten. „Die Kosten für unsere Veranstaltungen sind deutlich niedriger“, sagt Sprecherin Sigrid Krebs.

Ein nicht zu unterschätzender Faktor, ist doch eine Veranstaltung in einem Saal mit 1300 Plätzen je nach Programm erst bei 1000 verkauften Tickets kostendeckend. Das Risiko, eventuell nur 600 Karten zu verkaufen und auf den Differenzkosten sitzen zu bleiben, ist nicht jeder Verein gewillt zu übernehmen. Zumal die Kosten massiv steigen. Michael Gerhold benennt das Problem. Die Kosten für ein Festzelt seien aktuell 50 Prozent höher, die für Security lägen bei 30 Prozent mehr, die für Technik und vor allem für technikpersonal gar zwischen 50 und 100 Prozent. „Von den steigenden Energiekosten gar nicht zu reden“, so Gerhold. Um für die Vereine etwas Druck vom Kessel zu nehmen, hat man reagiert. So teilte die größte Künstleragentur Alaaf.de durch Geschäftsführer Horst Müller unlängst mit: 

Langfristige Planungen im Karneval sorgt für Probleme

„Künstler, Veranstalter und Dienstleister trotzen der Krise und schauen bei aller Nachdenklichkeit positiv in die Zukunft. Weder Sorgen noch Probleme hindern die Menschen daran, mit positiver Energie ihren einmaligen Karneval zu planen und zu leben. Um dies noch besser zu unterstützen, hat der organisierte Karneval gemeinsam mit dem Literatenstammtisch Köln von 1961 e.V. und der Literatenvereinigung Köln von 1987 beschlossen, das Buchen der Künstlerprogramme der Session 2024 nicht wie gewohnt nach den Sommerferien stattfinden zu lassen, sondern erst nach den Herbstferien Ende Oktober. Wir begrüßen diese fürsorgliche Entscheidung sehr und folgen dem Prozedere vollumfänglich.“

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Diese Vereine ächzen unter den langfristigen Planungen im Karneval. So sind etwa Sitzungssäle bereits bis 2025 gebucht, ähnlich lang ist der Vorlauf bei den Programmen. Da bleibt für flexible Gestaltung, etwa indem sich zwei kleine Vereine bei schwacher Kartennachfrage zusammentun und eine gemeinsame Sitzung veranstalten, wenig Spielraum.

Bund erstattet 90 Prozent der Kosten

Immerhin scheint das Geld aus dem Sonderfonds Kultur des Bundes zu fließen. „Die Nippeser Bürgerwehr hatte sieben von zehn Veranstaltungen abgesagt“, sagt Michael Gerhold. „Bis auf eine Kindersitzung haben wir jetzt alles erstattet bekommen.“ Erstattet bedeutet 90 Prozent der Kosten. Weitere neun Prozent Abdeckung werden jetzt beim Land beantragt. „Das Verfahren ist deutlich einfacher als das beim Sonderfonds, das sollte schnell gehen“, so Gerhold. Er schätzt, dass rund 60 Prozent der Vereine ihr Geld bekommen haben, denn etwa so viele Verträge der durch seine Agentur vertretenen Künstler seien mittlerweile bezahlt worden.

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Christoph Kuckelkorn, Präsident des Festkomitees Kölner Karneval

Auch die Ehrengarde hat Gelder beantragt und diese zumindest teilweise erhalten. Anders die Hellige Knäächte un Mägde: „Nein, wir haben keine Hilfsgelder beantragt, da wir keine Veranstaltungsausfälle hatten“, sagt Sprecherin Sigrid Krebs. „Wir konnten unsere Veranstaltung „Hellig Jeck“ in der Malzmühle absagen und haben die Kosten damals zur Lockdown-Zeit erlassen bekommen. Wir sind im Vergleich zu den großen Gesellschaften nicht wirtschaftlich auf die Hilfsgelder angewiesen gewesen.“

Kölner Karnevalsvereine sind zufrieden mit staatlicher Unterstützung

Zum Thema sagt FK-Präsident Kuckelkorn: „Wir haben von den Vereinen viel positives Feedback bekommen, die Landesregierung hat die Vereine hier unkompliziert unterstützt. Von daher sind wir sehr zufrieden.“ Die Frist des Sonderprogramms „Zukunft Brauchtum“ wurde bis zum 30. November 2022 verlängert. Das Förderprogramm soll Ausfalls- und Vorbereitungskosten von Brauchtumsveranstaltungen decken, die für den Zeitraum vom 01. November 2021 bis zum 31. Mai 2022 geplant waren und für die vor dem 01. Januar 2022 vertragliche Bindungen eingegangen worden sind. 

Der Antrag kann allerdings erst dann gestellt werden kann, wenn der Bescheid aus dem Bundesprogramm Sonderfonds Kultur vorliegt. Vereinen, die Probleme bei der Antragstellung haben, bietet das FK Unterstützung an. Ansprechpartner ist der kaufmännische Leiter Uwe Blumensaat (Tel. 0221-57400 19, uwe.blumensaat@koelnerkarneval.de).

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