Kölner Gedenkveranstaltung„Der Antisemitismus blüht, er wächst und gedeiht“

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Gedenkveranstaltung zur Reichspogromnacht in der Kölner Synagoge in der Roonstrasse. Folgende Personen stehen in einer Reihe nebeneinander vor einem siebenarmigen Leuchter: v.l.: Abraham Lehrer ( Zentralrat der Juden), OB Henriette Reker, Katarina Barley ( Vizepräsidentin des Europaparlaments), Bettina Levy ( Vorstand der Synagogen -Gemeinde Köln) und Dr. Felix  Schotland.

Gedenkveranstaltung zur Reichspogromnacht in der Kölner Synagoge in der Roonstrasse.

Die verschiedenen Krisen machten den Menschen Angst und seien ein Nährboden für Antisemitismus, meint Bettina Levy. Bei einer Kölner Gedenkveranstaltung wird deswegen an die Verantwortung der Deutschen erinnert.

Vor wachsendem Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft hat Bettina Levy vom Vorstand der Synagogen-Gemeinde Köln gewarnt. Anlass war die Gedenkveranstaltung, mit der am Mittwoch in der Synagoge an der Roonstraße an die Nazipogrome von 1938 erinnert wurde.

Von der Corona-Pandemie über den Krieg in Europa und die Energiekrise bis zur Klimakatastrophe – alle zusammen bildeten „die größte Umbruchsituation nach dem Zweiten Weltkrieg“, verunsicherten die Menschen und machten ihnen Angst, so Levy. „Der Nährboden ist wieder da. Der Antisemitismus, der nie ausgemerzt werden konnte, blüht. Er wächst und gedeiht.“ Längst sei die Zeit vorbei, in der sich noch sagen lasse: „Wehret den Anfängen.“

Jüdische Einrichtungen müssten schon lange geschützt werden, und fast täglich gebe es antisemitisch motivierte Übergriffe. „Allein die Schmierereien und Online-Kommentare sind unzählbar.“ Legitime Proteste gegen Corona-Maßnahmen und erhöhte Energiepreise würden von bestimmten Demonstranten wie Querdenkern, Neonazis und Reichsbürgern instrumentalisiert, um die Regierung und die Demokratie zu schwächen.

Erinnerung, Verantwortung und Mut als Gegenkräfte des Antisemitismus

Als Gegenkräfte nannte Levy Erinnerung, Verantwortung und den Mut, sich gegen Antisemitismus zu stellen. „Ihr Kommen ist weit mehr als Ihre Anwesenheit“, sprach sie die Gäste an. „Wir nehmen es als ein Versprechen. Eines ohne viele Worte. Denn aufrichtiges Gedenken ist voller Respekt und Liebe, aber gleichzeitig auch eine Verpflichtung. In voller Verantwortung und verbunden mit einer Bestandsaufnahme im Hier und Jetzt.“

„Dass wir uns heute in der Synagoge versammeln, dass es Juden in Köln gibt, ist ein historisches Privileg“
Oberbürgermeisterin Henriette Reker

Einen besonderen Dank richtete Levy an Abraham Lehrer, Mitglied des Vorstands der Gemeinde und Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Auf seine Idee gehe das von Köln aus organisierte Festjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ zurück, das 2021 und 2022 bundesweit mit 2400 Veranstaltungen gefeiert wurde. Levy dankte ihm „für eine großartige Idee und vor allem auch deren Umsetzung. Der Weiterführung in vielleicht eine europäische Zukunft dieser Idee sehen wir gespannt und erwartungsvoll entgegen.“

Viele hohe Gäste waren geladen

Zu den zahlreichen Gästen gehörten Katarina Barley, Vizepräsidentin des Europaparlaments, Oberbürgermeisterin Henriette Reker, Stadtsuperintendent Bernhard Seiger, Stadtdechant Robert Kleine, Henning Borggräfe, neuer Direktor des NS-Dokumentationszentrums, und Jürgen Wilhelm, Vorsitzender der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. Das Programm gestalteten unter anderen mehrere Kölner Schulen mit; so erinnerten Schüler und Schülerinnen an Mitglieder des Widerstands, beleuchteten den Antisemitismus im Sport und präsentierten ein Gespräch mit einem Zeitzeugen.

Die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker

Die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker

Barley zeigte sich ebenfalls besorgt, dass die Judenfeindlichkeit erneut wachse und sich zunehmend Gehör verschaffe, ob auf Demonstrationen oder „an Rednerpulten in Parlamenten“. Allein im vorigen Jahr seien 3027 antisemitische Straftaten in der Bundesrepublik registriert worden. Was tun? Einzuschreiten und zu widersprechen sei das eine, die Erinnerung wachzuhalten das andere, sagte Barley.

Kölner Projekte halten die Erinnerung an die Verbrechen wach

Als Beispiel aus eigenem Erleben erwähnte sie, wie sehr ihr als Jugendlicher der Song „Kristallnaach“ der Kölner Band BAP zu denken gegeben habe. Auch sie kam auf das Festjahr zu sprechen, das jüdisches Leben in Deutschland ins allgemeine Bewusstsein gerückt habe, ob mit dem Laubhüttenfest „Sukkot XXL“ oder mit Podcasts. Dass das Projekt zum Erfolg wurde, sei nicht zuletzt Andrei Kovacs zu danken, dem Leitenden Geschäftsführer des Vereins „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“.

Die Reichspogromnacht sei „nur vorläufiger Höhepunkt des Menschheitsverbrechens“ gewesen, sagte Reker. Die „tiefe Scham und Trauer“, die sie wegen des Shoah empfinde, würden nicht geringer. Sie verneige sich vor den Familien der Opfer und bitte die Angehörigen um Entschuldigung. „Dass wir uns heute in der Synagoge versammeln, dass es Juden in Köln gibt, ist ein historisches Privileg“.

Wer allerdings glaube, dass die Lehren aus der Nazizeit uneingeschränkt in der heutigen Gesellschaft angekommen seien, der müsse sich angesichts des erstarkenden Rechtsextremismus in Deutschland „bitter enttäuscht“ sehen. Es gelte, gemeinsam Verantwortung für das „Nie wieder“ zu tragen. „Unsere Zeit ist eine Zeit, wo unsere Entschlossenheit auf der Probe steht“.

Judenhass taucht in Deutschland weiterhin auf

„Wir müssen uns den Stimmen entgegenstellen, die den Holocaust bagatellisieren oder gar leugnen und die durch verantwortungslose Politiker in viel zu vielen Parlamenten gestärkt werden“, sagte Jürgen Wilhelm und nannte ausdrücklich die AfD. Ausführlich ging er auf Ausformungen des Antisemitismus im Sport, besonders im Fußball ein. Sie seien „nur eine Facette des Judenhasses“, der sich zum Beispiel auch in der jüngsten Documenta gezeigt habe und sehr häufig auftauche, wenn es um die Rolle Israels im Nahost-Konflikt geht.

Die Stadt Köln forderte er auf, darauf hinzuwirken, dass das für Mai 2023 geplante Konzert mit Roger Waters in der Lanxess-Arena abgesagt wird. Der Mitbegründer von Pink Floyd unterstütze seit vielen Jahren die Israel-Boykottbewegung BDS und sei wiederholt durch antisemitische Hetze aufgefallen.

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