Reichspogromnacht 1938Kölner sehen den Offenbachplatz jetzt mit anderen Augen

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Öffentliche Projektions-Probe der zerstörten Synagoge an der Glockengasse in Köln bei Nacht. Licht ist an eine Hausfassade gestrahlt und zeigt die Synagoge.

Öffentliche Projektions-Probe der zerstörten Synagoge an der Glockengasse in Köln

Eine Künstlerin nutzt Hausfassaden als Projektionsfläche, um Schicksale von Kölner Juden zu erzählen. Unter anderem zeichnet sie die Ereignisse der Reichspogromnacht nach und stößt dabei auf eine Kölner Besonderheit.

Die Synagoge an der Glockengasse ist längst dem Großstadtverkehr gewichen. Offenbachplatz, Glockengasse und Nord-Süd-Fahrt treffen heute aufeinander, wo früher das prachtvolle Gotteshaus stand. 1861 war die erste Großsynagoge seit der Verbannung der Juden aus Köln im Jahre 1424 eingeweiht worden. Mit ihrer orientalischen Architektur war sie ein Exot in der Umgebung.

Am 9. November 2022 stehen um 20 Uhr etwa 300 Besucher auf dem Offenbachplatz. Der ehemalige Standort der Synagoge liegt als Viereck aus weißen Steinen vor ihnen. Doch die Blicke der Zuschauer richten sich vor allem auf das Geschäftshaus an der Glockengasse 2 direkt daneben. Künstlerin Kane Kampmann nutzt die Fassade an diesem Abend als riesige Projektionsfläche, um die ungeheuerlichen Vorgänge des 9. November 1938 künstlerisch zu verdichten.

Köln: Die Projektion in der Glockengasse erzeugt eine starke Wirkung

Am Anfang des audiovisuellen Beitrags ist die Synagoge noch in aller Schönheit zu sehen, am Ende liegt der Innenraum verwüstet da. Nazi-Trupps haben gewütet und Feuer gelegt. Ähnliches spielt sich in der Synagoge an der Roonstraße und anderen Orten ab. Es ist die „Reichspogromnacht“, in der sich auch in Köln Gewaltexzesse gegen Juden und ihre Einrichtungen ereignen. Die Mehrheitsgesellschaft schaut untätig zu. Ganze Schulklassen machen sich auf den Weg zu den brennenden Gebäuden.

„Es ist die besondere Situation in Köln, dass es von dieser Nacht kein einziges Foto gibt“
Kane Kampmann

Mit dräuender Musik, Originaldokumenten oder gesprochenen und geschriebenen Berichten von jüdischen und nichtjüdischen Augenzeugen zeichnet Kane Kampmann die Vorgänge jener Nacht auf beklemmende Weise nach. Die Wirkung ihrer Collage wird verstärkt durch das Wissen, dass sich die Übergriffe unter anderem genau an diesem Ort abspielten.

Keine Bilder von der Reichspogromnacht in Köln

„Sichtbar machen“ heißt das zusammen vom NS-Dokumentationsdienst und dem Museumsdienst auf die Beine gestellte Kunstprojekt, das jüdische Schicksale an insgesamt drei Original-Schauplätzen ins Gedächtnis zurückruft. Im Juni zeigte Kane Kampmann bereits in Ehrenfeld eine Projektion über das jüdische Ehepaar Schönenberg, das einst an der Venloer Straße wohnte und später in das Ghetto Theresienstadt deportiert wurde. Im Dezember ist ein weiteres Kunstprojekt im Bereich Messe/ Bahnhof Deutz als Ausgangspunkt für die Deportationen tausender Juden und anderer Verfolgter geplant.

„Es ist die besondere Situation in Köln, dass es von dieser Nacht kein einziges Foto gibt“, sagt Kane Kampmann über den 9. November 1938. Deshalb lässt sie einige ihrer Zeitzeugen als nachgezeichnete Figuren auftreten.

Kölner Zuschauer sieht den Offenbachplatz jetzt mit anderen Augen

Henry Grün etwa, den 14-jährigen Juden, der sich den Schlägertrupps anschloss, um ihre Gräueltaten in der Synagoge an der Körnerstraße mit eigenen Augen zu sehen: „Es hatte etwa Traumartiges, Phantastisches an sich“, berichtet er: „Ich stand einfach neben ihnen und blieb einfach stehen … sie ignorierten mich … ich folgte denen auch teilweise, behielt eine minimale Distanz. Ich schaute dem Geschehen zu.“ Der Junge überlebte den Holocaust, seine Eltern nicht.

Ein 52-jähriger Zuschauer aus Köln hält die öffentliche Vorführung für gelungen: „Es ist eine gute Idee, dass es nicht im Museum verschwindet, sondern für alle zugänglich ist.“ Den Offenbachplatz werde er ab jetzt mit anderen Augen sehen.

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