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Keine Sozialwohnungen mehrMieter in der Kölner Südstadt wehren sich gegen Kündigung

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Anno-Riegel Südstadt Köln

Die Sozialwohnungen im Severinsviertel (Archivfoto)

Köln-Innenstadt – Auf rund 20, und damit auf alle halbwegs in Frage kommenden Wohnungsinserate hat sich Monika Weiser, 47, in den vergangenen Wochen gemeldet. „Ich habe keine einzige Antwort erhalten“, sagt die Krankenschwester und Mutter von vier Kindern. Sie fürchtet, nicht nur ihre geliebte Südstadt sondern gleich die Stadtgrenzen hinter sich lassen zu müssen. Denn Ersatz für die bezahlbare Sozialwohnung, die ihr Vermieter gekündigt hat, wird schwer zu finden sein.

Seit 2010 wohnt Monika Weiser mit ihrem Mann, ebenfalls Krankenpfleger, unweit des Chlodwigplatzes. Einer ihrer Söhne ist behindert. Den Elfjährigen träfe der Umzug in eine fremde Umgebung besonders hart. Das Haus in der Karl-Korn-Straße, in dem sie 115 Quadratmeter im Erdgeschoss bewohnen (Warmmiete 1000 Euro), wurde im vorigen Sommer verkauft. Die Mietpreisbindung läuft Ende dieses Jahres aus.

Kölner Rechtsanwalt will in Wohnung ziehen

Der neue Eigentümer: eine Familie, die sich für den Kauf zu einer Gesellschaft zusammengeschlossen hat. Für einen der Gesellschafter, ein Rechtsanwalt, der bislang in einem ähnlich beliebten Innenstadtviertel wohnt, meldeten sie wenige Monate nach dem Kauf Eigenbedarf an. Dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ liegen Kündigungsschreiben vor. Demnach möchte der neue Eigentümer mit seiner Partnerin und drei Kindern in das Haus einziehen. Er will die Wohnung der Weisers im Erdgeschoss und weitere Wohnungen im ersten und zweiten Stock zusammenlegen. Dafür müssen fünf der fünfzehn Parteien ausziehen. Ein weiteres Familienmitglied ist bereits in eine frei gewordene Wohnung im Haus eingezogen.

Zu den Beweggründen der Kündigung antwortet der Anwalt des neuen Eigentümers auf die Anfrage dieser Zeitung: „Die Mandanten wollen ihren Traum eines behindertengerechten Mehrgenerationenhauses für die ganze Familie, darunter drei, gesundheitlich schwer beeinträchtigte Personen, verwirklichen.“ Er schildert eine feindselige Stimmung.

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Der neue Eigentümer sei aber auf die Wohnung angewiesen. „In die zusammengelegten Wohnungen soll ein schwerbehindertes Familienmitglied mit seiner Lebensgefährtin und drei Kindern im Alter von vier bis sechs Jahren einziehen. Der Mandant lebt mit seiner Familie in einer nicht behindertengerechten und viel zu kleinen Wohnung unter dem Dach und schläft dort im Wohnzimmer.“ Die Verdrängung der Altmieter bedauert er: „Er weiß, dass es für die gekündigten Mieter sehr schwer sein wird, in ihrem Veedel günstigen Ersatzwohnraum zu finden. Ihm tut dies auch – wirklich – leid für die Menschen. Aber er hat angesichts seiner persönlichen Situation keine andere Wahl.“

72-jährige Kölnerin bangt um ihre Wohnung

Aus ihrer Sicht würden die gekündigten Mieter der Sozialwohnungen und die neuen Eigentümer unter der gleichen Situation leiden: Schuld sei die Stadt, die nicht für ausreichend neuen Wohnraum sorge. Perspektivisch sollen weitere Familienmitglieder einziehen, darunter zwei weitere mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen.

Die Verunsicherung im Haus ist groß. Auch die nicht gekündigten Mieter fürchten, langfristig vertrieben zu werden. Eine 72-Jährige, die seit 30 Jahren im Haus wohnt, schildert ihre Ängste, woanders neu anfangen zu müssen, mit ihrem pflegebedürftigen Mann.

Sozialwohnungen und Milieuschutz

Rund die Hälfte aller Kölner Haushalte hat Anspruch auf eine Sozialwohnung. Die Mieten solcher Wohnungen sind begrenzt. Tatsächlich beträgt ihr Anteil am Wohnungsbestand dieser Stadt inzwischen aber weniger als sieben Prozent. Seit Jahrzehnten laufen die Preisbindungen aus. Die Mieten können dann erhöht, die Wohnungen bei Auszug der Mieter frei vermietet werden. Ersatz gibt es kaum. Neu gebaut wird vor allem im hochpreisigen Segment, und auch nicht annähernd in ausreichendem Umfang.

„Milieuschutz ist kein Mieterschutz“, sagt Brigitte Scholz, Leiterin des Stadtentwicklungsamtes. Ihre Mitarbeiter überwachen die Einhaltung der sozialen Erhaltungssatzung für das Severinsviertel. Damit sollte die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen verboten, der Stadt ein Vorkaufsrecht eingeräumt und Luxussanierungen verhindern werden.  Mehrere Eigentümer konnten dazu bewegt werden, freiwillig ihre Umbau- oder Umwandlungspläne abzuändern, so Scholz über die Wirksamkeit der Satzung. (phh)

Eine andere Nachbarin empört die Ungerechtigkeit, „dass jemand ein voll bewohntes Haus kaufen kann“, und die Mieter so schlecht geschützt sind. Die Kündigung einer bettlägerigen 80-jährigen Mieterin haben die neuen Eigentümer zurückgenommen. „Die Mandanten haben die Kündigung natürlich sofort zurückgenommen, als sie erfuhren dass die Dame bereits 80 Jahre alt und pflegebedürftig ist. Die Gesetze, die den Eigenbedarf regeln, sehen Ausnahmen für Härtefälle vor.

Die Kündigungsfrist der Weisers ist verstrichen. Sie haben zunächst per Anwalt widersprochen. Im August soll der Fall vor Gericht verhandelt werden. „Wenn keine formalen Fehler gemacht wurden, sieht es meist schlecht aus für die Mieter“, sagt Hans Jörg Depel vom Kölner Mieterverein. Im Severinsviertel beobachtet man den Fall mit Sorge. Ungebremste Aufwertung, Mietsteigerungen und Vertreibung der Alteingesessenen: Politik und Verwaltung suchen seit Jahren nach einem wirksamen Gegenmittel – mit offensichtlich beschränktem Erfolg. Die Mieter haben sich derweil in einem Offenen Brief an den Rat und die Oberbürgermeisterin gewandt.

Seit diesem Jahr gilt eine soziale Erhaltungssatzung für das Viertel. Für das Haus im Anno-Riegel kommt das zu spät. Es wurde verkauft, bevor sie in kraft trat. Lediglich die angekündigten Umbauten könnte die Stadt untersagen. „Die Erhaltungssatzung steht der Zusammenlegung nicht entgegen“, schreibt der Presseanwalt der Eigentümer. „Sollte die Genehmigung verweigert werden, können die Wohnungen dennoch erschlossen über das Treppenhaus von der Familie genutzt werden.“

Der Anno-Riegel gehört zur Stollwerck-Siedlung, ein Vorzeigeprojekt der Stadtsanierung, modellhaft für bunte, sozial gemischte Quartiere, hervorgegangen aus der Besetzung der Schokoladenfabrik nach ihrer Stilllegung Anfang der 1980er Jahre. Die Bezirkspolitiker warnen seit Jahren, dass die Mietpreisbindungen dort auslaufen. Das Erbe der Hausbesetzer: eine Errungenschaft mit Ablaufdatum. „Das ist ein Riesenleid“, sagt Bezirksbürgermeister Andreas Hupke, Grüne, zum konkreten Fall. Und nicht zu verhindern, weil es letztlich politisch nicht gewollt sei, so sein düsteres Fazit.

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