Bei einem Unfall im Schwimmbad zieht sich Ray Baafi schwere Verletzungen an der Wirbelsäule zu, aber „Aufgeben war nie eine Option.“
Kölner Rollstuhlfahrer„Viele Querschnittsunfälle haben ihren Ursprung im Wasser“

Ray Baafi sitzt seit seinem Schwimmbad-Unfall im Jahr 2019 im Rollstuhl.
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Wenn in Kürze die Freibad-Saison beginnt, werden wieder zu Hunderten Familien vor den Schwimmbad-Kassen anstehen, um ein paar fröhliche Stunden im Wasser zu verleben. Das wollte Ray Baafi auch, als er am 26. Dezember 2019 mit seinen beiden Töchtern zum Spaßbad in Delmenhorst aufbrach. Nach zwei kalorienreichen Weihnachtstagen im Familienkreis stand allen der Sinn nach Action. Entsprechend groß die Begeisterung, dass man trotz knackig-kalter Temperaturen den Außenbereich nutzen konnte, wo sogar eine Rutsche mit vier parallel verlaufenen Bahnen zur Verfügung stand.
Baafi und seine beiden Töchter, damals drei und sieben Jahre alt, glitten ein ums andere Mal vergnügt ins Wasser. Dann rief der Papa seinen Mädchen zu: „Ich rutsch‘ jetzt mal vorwärts!“ Niemand hätte in diesem Moment damit gerechnet, dass er keine drei Stunden später auf dem Operationstisch einer Hamburger Spezialklinik für Querschnittserkrankungen liegen würde, weil er – mit Schwung von der Bahn kommend – unter Wasser mit der Schädeldecke gegen die Beckenwand geknallt war.
Geschmerzt habe ihn vor allem, dass seine Kinder das miterleben mussten
Ich begegne Ray Baafi auf dem Höninger Weg. Zollstock ist das Veedel, wo der 43-Jährige wohnt und wo er deshalb viel mit dem Rollstuhl unterwegs ist. Als wir uns in der „Alten Wäscherei“ gegenübersitzen, frage ich ihn, wie sehr dieser zweite Weihnachtstag noch in seinen Gedanken präsent ist. Er habe kein Trauma dadurch erlitten, sagt er, „in dem Sinn, dass ich schweißgebadet nachts aufwache“. Allerdings sei das Ereignis in letzter Zeit wieder näher gerückt, weil nun vor Gericht über die Höhe des Schmerzensgeldes gestritten werde.
In der Verhandlung habe er zum ersten Mal die Bilder gesehen, die die Sicherheitskameras damals aufgezeichnet hatten. Geschmerzt habe ihn vor allem, dass seine Kinder das so unmittelbar miterleben mussten. Und dann war da noch ein Gedanke: „Erstaunlich, dass es in diesem Bad nicht ständig zu solchen Unfällen kommt.“ Wie der 43-Jährige inzwischen weiß, betrug die Distanz von der Stelle, wo die Rutsche unter Wasser aufhört bis zur Wand, gegen die er knallte, nämlich nur 2,20 Meter.
Baafi wurde nach dem Unfall mit dem Hubschrauber nach Hamburg geflogen
„Ich wüsste nicht, dass das Bauchrutschen grundsätzlich verboten wäre“, sage ich. „Und selbst wenn Bäder Warnschilder aufstellen, gehört es doch zum Bade-Alltag“, füge ich hinzu. Ray Baafi nickt bestätigend und sagt, er selber habe den kurzen Abstand von Rutsche zur Beckenwand damals nicht bewusst wahrgenommen. Aber er erinnert sich noch genau an die Sekunden nach dem Aufprall. „Unter Wasser war eine Art von Stille. Und von einem Moment auf den anderen konnte ich meine Beine und meine Finger nicht mehr bewegen.“ Da war ihm klar: „Es ist ernst!“
Keine zwei Stunden später bestätigen die CT-Aufnahmen, dass der fünfte Halswirbel gebrochen ist. „Ich habe immer noch Glück gehabt!“, sagt Baafi. Glück, dass man ihn mit dem Hubschrauber direkt nach Hamburg geflogen habe. Glück, dass dort alles so flink ging. Nicht nur bei Schlaganfall oder Herzinfarkt, erfahre ich von meinem Gegenüber, sondern auch bei Wirbelsäulen-Verletzungen „muss man schnell handeln“. Der 43-Jährige deutet auf eine Narbe vorne am Hals und erklärt, dass „bei der OP der Weg zur Wirbelsäule freigelegt“ und mit einem aus seinem „Beckenkamm herausgefrästen Knochenstück der Wirbel erneuert“ wurde.
Nach dem Krankenhausaufenthalt wollte er so selbstständig wie möglich werden
Erneuert, das klingt so schön nach „alles gut“, denke ich. Tatsächlich standen dem Verletzten nicht Tage oder Wochen, sondern Monate harter Arbeit bevor. Baafi ist Sportler, hat an der Kölner Spoho sein Diplom erworben, war immer ein dynamischer Mensch. „Aufgeben war nie eine Option.“ Also begann der 1,95 Meter Mann zu kämpfen. Sein aus Ghana stammender Vater habe ihm einmal gesagt: „Das Leben ist hart. Irgendwann kommt ein Moment, wo es schwer wird. Versuche, stark zu bleiben!“
Als er nach viermonatigem Krankenhausaufenthalt im Rollstuhl zurück nach Hause kommt, hat er nur ein Ziel: „mich so selbstständig zu machen wie möglich.“ Der gebürtige Bielefelder hat ein weiteres Mal Glück: Dass man ihn in Köln an eine Adresse verweist, wo sein Vorsatz genauso ernst genommen wird. Es dauert nicht lange, bis sein neuer Therapeut im Therapiezentrum in Braunsfeld seinem sitzenden Patienten erklärt, dass man ihn nun hinstellen werde. Und so geschieht es. Baafi wird mithilfe eines Gurtes an einen Gehwagen fixiert und schaut zum ersten Mal seit Monaten wieder aus der von früher gewohnten Höhe auf seine Umgebung.
Inzwischen hat Baafi eine Selbsthilfegruppe gegründet
Vier Monate habe er täglich trainiert, erzählt er. Inzwischen schließt er nicht mehr aus, „die Fähigkeit des Gehens und Stehens zunehmend in den Alltag integrieren“ zu können. Die Entwicklung im Bereich der Hilfsmittel schreite voran – wenn auch nicht so rasch, wie er es sich wünschen würde. Die Forschung, sagt Baafi, könnte viel weiter sein, wenn Wirbelsäulenverletzungen ähnlich im Fokus stünden wie Herz- oder Krebserkrankungen.
Er selber hat inzwischen eine Selbsthilfegruppe gegründet „für Menschen mit Querschnittlähmung und deren Angehörige“ und sein Leben auch beruflich darauf ausgerichtet, Menschen zu helfen. Dazu gehöre: Altes loszulassen und vor allem Geduld aufzubringen. Baafi möchte Personen in vergleichbaren Situationen aber auch Mut machen, andere Wege zu beschreiten „oder unkonventioneller an etwas ranzugehen“.
Ach ja, und mit Blick auf die beginnende Badesaison und die vielen kühnen Kopfsprünge – vom Beckenrand oder in den Badesee mahnt er zur Vorsicht: „Viele Querschnittsunfälle haben ihren Ursprung im Wasser.“