Kölner SynagogengemeindeJürgen Becker lud zu Kabarett unter der Kippa

Lesezeit 3 Minuten
Künstler und Organisatoren des Kabarettabends im Saal der Synagogengemeinde.

Künstler und Organisatoren des Kabarettabends im Saal der Synagogengemeinde.

Zum zweiten Mal fand im Gemeindesaal der Kölner Synagoge ein Kabarett-Abend statt. Jürgen Becker moderierte.

Wilfried Schmickler am Ende eines Kabarettabends? Viele denken dabei an die stakkatoartigen, gebrüllten „Aufhören!“-Tiraden am Schluss einer jeden Ausgabe der „Mitternachtsspitzen“. Im Gemeindesaal der Synagoge an der Roonstraße schlug er leise, zeitweilig sogar lyrische Töne an, um seine eindringliche Warnung vor dem aufkommenden Nationalismus, Antisemitismus und Rassismus im Lande und insbesondere „deren parlamentarischem Arm, die AfD“ an sein Publikum zu richten.

Kabarett-Abend in der Kölner Synagoge

Beim „Escht Kabarett unter der Kippa Colonia“ bildete dieses Thema eine Art roten Faden im bunt gemischten und vielfältigen Programm. Michael Rado, Vorstandsmitglied der Synagogengemeinde Köln, kündigte die Künstler stolz als „Crème de la Crème“ an. Der Abend werde „das achte Weltwunder“ versprach er überschwänglich. Nach der Coronapause konnte der zusammen mit dem Bürgerzentrum Ehrenfeld und der Initiative Kippa Colonia organisierte Abend seine lang ersehnte zweite Auflage erleben. „Wir hätten den Saal bestimmt noch dreimal ausverkaufen können“, beschrieb Mitorganisator Christian Bechmann die Nachfrage.

Jürgen Becker als Moderator gestand seinen Respekt vor dem Veranstaltungsort ein. Man müsse schon aufpassen, in kein Fettnäpfchen zu treten, sagte er. Auch dem jüdischen Humor zollte er Anerkennung. Weil mit einem jüdischen Witz oft sehr viele Regeln gleichzeitig umschifft werden müssten, sei die Fallhöhe am Ende sehr hoch, aber das zeichne eben eine gute Pointe aus. „Je länger das Sssst, desto lauter das Bumm“, witzelte er.

Das Programm deckte indes die komplette Humor-Bandbreite ab. Gerd Buurmann und Martin Zingsheim brillierten mit scharfzüngigen Beobachtungen des alltäglichen Wahnsinns. Immer blitzte dabei auf, wie sich das Miteinander und die Kommunikation in eine bedenkliche Richtung entwickeln. Lena Liebkind nahm nicht nur als einzige Frau im illustren Künstlerreigen eine besondere Rolle ein. Als „russische Jüdin aus der Ukraine“ stellte sie sich vor.

Jüdische Künstlerin Lena Liebkind setzt Humor gegen Verunsicherung

In ihrem Programm versucht sie, die Leichtigkeit zu vermitteln, mit der jüdischer Humor heikle und schwierige Themen meistern kann. Im Gemeindesaal hatte sie freilich eine Art Heimspiel vor einem Publikum, das die bittere Ironie verstand, wenn Lena Liebkind ihnen flunkernd erzählte, der Großvater habe Adolf geheißen, sich aber als queer geoutet und dass der Familie das gesamte „Judengold“ von „den Faschisten“ geraubt worden sei. Ihr erster deutscher Freund habe darauf sehr verunsichert reagiert. „Genau das will ich ändern“, sagt die 38-Jährige.

Dass das Programm mit kölschen Krätzchen vom virtuosen Philipp Oebel abgerundet wurde, freute den Gastgeber ganz besonders. Michael Rado erzählte von einer ganz frischen Studie, nach der die Kölner Synagogengemeinde unter allen jüdischen Gemeinden in Deutschland diejenige mit dem größten Lokalpatriotismus sei. Beste Voraussetzungen, dass der Kabarettabend an der Roonstraße zur Brauchtumsveranstaltung wird.

KStA abonnieren