Traditionsgeschäft wird 100Wie der Dinosaurier des Kölner City-Einzelhandels überlebt hat

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Margit Becker und Chris Wauer Eingangsbereich von Ortloff an der Zeppelinstraße

Margit Becker und Chris Wauer Eingangsbereich von Ortloff an der Zeppelinstraße

Ortloff in der Zeppelinstraße feiert sein hundertjähriges Bestehen. Ein Schreibwarengeschäft mitten in einer Großstadt – das gibt es kaum noch. 

In diesem Geschäft gibt es fast 40.000 Artikel – von der Büroklammer über Grußkarten bis zu Schreibtischleuchten. Chris Wauer, der 2001 als Verkäufer bei Ortloff angefangen hat und seit 2013 Ladenleiter ist, sagt: „Die kenne ich natürlich nicht alle, aber ich weiß bei jedem Teil, welcher Mitarbeiter weiterhelfen kann.“ Gerade hat er drei Mitarbeiterinnen geehrt. Zwei arbeiten seit 40 Jahren hier, eine seit 30.

Solche Zahlen können nur in einem Traditionsunternehmen zustande kommen: Ortloff auf der Zeppelinstraße feiert sein hundertjähriges Bestehen. Das Unternehmen, das 1923 von Erich Ortloff gegründet wurde, ist zwar schon lange nicht mehr in Familienbesitz – aber der vertraute Name ist immer geblieben. „Das ist sehr wichtig für die Kundenbindung“, sagt Wauer.

Zu Ortloff kommen auch viele Kunden aus Düsseldorf

Seit 2015 gehört Ortloff zur Overather Handelsgenossenschaft Soennecken. Margit Becker ist Geschäftsführerin von Ortloff und außerdem für alle 250 zugehörigen Einzelhändler von Soennecken zuständig. Ortloff ist dabei eine Art Flagship-Store. „Es ist in unserem Portfolio der einzig verbliebene Schreibwarenladen im Zentrum einer Großstadt. Das ist wie ein Sechser im Lotto“, sagt sie. Ähnliche Geschäfte in Hamburg, München und auch Düsseldorf mussten schließen. „Deshalb kommen zum Beispiel auch viele Kunden aus Düsseldorf“, sagt Wauer.

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Im Erdgeschoss wird Wert auf Präsentation gesetzt. Da gibt es zum Beispiel die Ecke mit Tinte in allen Farbschattierungen, die kleinen Glasfläschchen sind aufgereiht wie in einer Parfümerie. Hier kann man sich auf Wunsch auch Tinte der Farbe „Kölner Brückengrün“ mischen lassen. Daneben sind Füller und Kugelschreiber wie beim Juwelier in Glaskästen drapiert. Und vorne im Eingangsbereich mit den großen Fenstern gibt es Geschenkartikel, Papeterie, Ledertaschen und bald wieder eine kleine Kaffeebar.

Zum Jubiläum gibt es auch Tinte in nostalgischer Verpackung.

Zum Jubiläum gibt es auch Tinte in nostalgischer Verpackung.

Im Untergeschoss in der Ranzen-Abteilung ist jetzt vor der Einschulung viel los. Kinder und Erwachsene stehen staunend vor Tausenden von verschiedenen Mal- und Schreibstiften, Heften und Kladden. In einer Ecke werden regelmäßig Kurse zum Beispiel im Lettering veranstaltet – der Kunst, schöne Buchstaben zu schreiben. „Die Pandemie war hart für uns, aber jetzt sind wir in den schwarzen Zahlen und werden dieses Jahr wieder Gewinn machen“, sagt Margit Becker.

Nachdem Gertraud Ortloff-Roever mangels Nachfolge 1990 die Firma verkauft hatte, gab es viele Auf und Ab. Wechselnde Besitzer kümmerten sich gut oder weniger gut um das Unternehmen, einige waren augenscheinlich eher an der Immobilie interessiert als an Schreibwaren. Zuletzt gehörte Ortloff dem ausgesprochen schmucklosen US-Discounter und Großhändler Staples – das passte so gar nicht zusammen. Glücklicherweise, denn Staples schloss 2022 alle deutschen Filialen.

Wir glauben an den Einzelhandel
Margit Becker, Geschäftsführerin

Seit 2015 Soennecken übernommen hat, sei es bis zur Pandemie „steil bergauf“ gegangen, sagt Margit Becker. Deshalb will sie auch nicht in das allgemeine Lamento über den Niedergang des Einzelhandels einstimmen. „Wir glauben an den Einzelhandel.“ Man müsse aber eine „gewisse Demut“ haben und sich immer wieder anpassen.

Ein Lieferwagen mit der Aufschrift Ortloff vor dem Laden in den 1950er Jahren

Ein Foto aus den 1950er Jahren: Ortloff stellte damals noch Büromöbel her und lieferte aus.

In den ersten Jahrzehnten unterhielt Ortloff eine eigene Schreinerei zur Anfertigung von Büromöbeln. Das lohnt sich schon lange nicht mehr. Die Bastelabteilung wurde verkleinert, da es dafür einen Spezialanbieter gleich in der Nachbarschaft gibt. Vergrößert wurde dagegen das Schulranzen-Angebot, weil Eltern immer mehr Wert auf gute Beratung legen.

Auch in Zeiten des Internets und des Homeoffice sei der Verkaufsanteil an reinen Schreibwaren wie Stiften und Papier stabil. „Wir müssen manchmal schmunzeln, da wird immer noch nach Quittungsblöcken und dem Farbband Nr. 1 für die Schreibmaschine gefragt“, sagt Wauer. „Die meisten Kunden machen hier Zielkäufe“, so Becker. „Wir wären kein Laden für die Schildergasse.“ Da gebe es zwar eine höhere Passanten-Frequenz, aber nicht den richtigen „Kundentyp“. Viel wichtiger sei das unmittelbare Umfeld. Manufactum, Globetrotter – die hätten eine ähnliche Klientel wie Ortloff. 

Zur Zeppelinstraße hin hat Ortloff eine große Fensterfront.

Zur Zeppelinstraße hin hat Ortloff eine große Fensterfront.

Obwohl Margit Becker oft in der Filiale ist, entdeckt auch sie immer wieder etwas Neues. Zum Beispiel die Blöcke mit satiniertem japanischen Papier, die ganz vorne im Eingangsbereich auf einem Tischchen präsentiert werden. „Fühlt sich wunderbar an und es macht eine sehr schöne Handschrift, wenn man drauf schreibt“, sagt sie und streicht über das Papier.

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