Morddrohungen via WhatsappKölner Jugendlicher erzählt von seinem Outing

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Marcel-Jünemann Regenbogen

Marcel Jünemann hat nach seinem Outing als Homosexueller Morddrohungen via Whatsapp bekommen.

Köln – Marcel Jünemann ist 17 Jahre alt, besucht eine Berufsschule in Köln und mag Männer. „Ich habe es ungefähr mit 13 Jahren gemerkt, aber dachte anfangs, dass ich bisexuell bin“, erzählt er. Als er zwei Jahre später seinen ersten Freund kennenlernte, habe er gewusst, dass er ausschließlich auf Typen stehe. „Zu Frauen spüre ich einfach keine Bindung auf einer Liebes- und Sexualebene“, sagt Jünemann.

Seinem bereits geouteten Freund zuliebe habe er sich schließlich auch offen als schwul gezeigt. Wenn sie von nun an zusammen in der Stadt schlenderten, küssten sie sich und hielten Händchen. Da sie auf dieselbe Schule gingen, erfuhren auch die Klassenkameraden von Jünemanns gleichgeschlechtlicher Beziehung. „Die Wenigsten haben gut reagiert“, sagt der 17-Jährige.

„Du scheiß Schwuchtel“

Immer wieder diskriminierten Mitschüler ihn mit gehässigen Kommentaren. „Du scheiß Schwuchtel“, schrie ein Junge einmal durch die gefüllte Aula. Mehr als vier Lehrkräfte seien zwar dort gewesen, doch keiner von ihnen habe etwas unternommen, erinnert sich Jünemann. „Die hören einfach weg“, sagt er. Bis heute schüttelt er darüber den Kopf.

„Schule und Familie sind immer noch die gefährlichsten Orte für LGBTIQ-Jugendliche“, sagt Jürgen Piger, Leiter der Kölner Jugendeinrichtung „anyway“ für LGBTIQ-Menschen. Dort können Jugendliche sich mit Gleichgesinnten austauschen und bei Bedarf auch Einzelgespräche mit Sozialarbeitern führen.

Community bei Coming-Out wichtig

Das Coming-Out ist laut Piger für die meisten queeren Jugendlichen ein großer Schritt, bei dem die Unterstützung der Community wichtig ist. „Die Jugendlichen wollen ihre Eltern nicht enttäuschen, und haben deshalb Angst, es ihnen zu sagen“, erklärt er. Sie wüssten nicht, ob sie dann noch gleich geliebt würden. Teilweise reagierten Eltern dann mit Sätze wie: „Das wird schon wieder vergehen, du musst dich nur anstrengen.“

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Auch Jünemann behielt erst einmal für sich, dass er schwul ist. Seine Schwester und Mutter seien die Ersten gewesen, denen er im Dezember 2018 davon erzählte. „Bei meiner Schwester war es auf jeden Fall entspannter als bei meiner Mutter“, erinnert sich Jünemann. Sie antwortete nur, dass sie nun endlich jemanden zum foppen habe. Und damit sei das Thema für sie beendet gewesen. „Meine Mutter hat länger gebraucht, um die Neuigkeiten zu verarbeiten“, sagt der 17-Jährige. Aber nachdem er es endlich losgeworden war, fühlte er sich erleichtert und gut. 

Auch Eltern müssen betreut werden

Piger ist überzeugt, dass es wichtig ist, auch die Eltern von LGBTIQ-Jugendlichen zu betreuen und zu begleiten. Auch sie haben ein Coming-Out bei ihren Bekannten, Verwandten, oder am Arbeitsplatz, wenn sie von der sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität ihrer Kinder erzählen.  Bei Jugendlichen dauert das Coming-out durchschnittlich etwa drei bis fünf Jahre. Während dieser Zeit machten die meisten ihre sexuelle Orientierung mit sich selbst aus.

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Bei den Eltern dauert es meist noch länger. „Sie warten häufig ab, schauen mal, ob ihr Kind jetzt wirklich schwul ist, und denken, vielleicht ändert sich das ja wieder“, erzählt Piger. Die Eltern müssen sich von ihren Vorstellungen verabschieden, und je nachdem, wie sie diese Vorstellungen auch nach außen getragen haben, müssen sie ihr Umfeld eben auch miteinbeziehen.

In Köln ist das anyway die einzige Jugendberatungsstelle im LGBTIQ-Bereich. Deswegen wird sie auch gut besucht. Aus Zeitgründen gibt es derzeit deshalb noch keine Beratungskurse für Eltern. Piger hofft, dass sich das ändern kann.

Viel Nachfrage von Transsexuellen

Die Jugendberatung im anyway wird laut Piger mittlerweile vor allem von Transpersonen besucht. „Sie fragen dann, was sie jetzt tun sollen, ob wir Ärzte und Psychotherapeutinnen kennen, oder wie sie mit ihren Eltern über hormonelle Veränderungen sprechen sollen“, sagt Piger. Neben Transsexualität sie das Gefühl alleine zu sein das zweite große Thema unter LGBTIQ-Menschen, das in der Beratung thematisiert wird. Und schließlich gehe es nach wie vor um Mobbing und Diskriminierung.

Böse Blicke, schubsen, spucken

„Blicke gibt es immer, in der Schule, in der Bahn, in der Stadt…“, zählt Jünemann auf. Ab und zu gebe es auch einen doofen Kommentar. „Einmal wurde ich auch körperlich angegriffen, geschubst und ins Gesicht gespuckt“, sagt der 17-Jährige. „Aber das Schlimmste war für mich bis jetzt die Morddrohung, die ich auf WhatsApp erhalten habe.“ Ob er die Person gekannt habe? Er schweigt, blickt zu Boden. „Nein“, sagt er nach einer langen Pause. Es fühlte sich lange Zeit komisch an, nach draußen zu gehen. „Er könnte ja hinter jeder Ecke stehen.“

Jünemann findet sich damit ab, dass er von manchen Teilen der Gesellschaft als schwuler Mann noch immer nicht akzeptiert wird.  „Man kann das nie wirklich aus der Welt schaffen, deswegen musste ich lernen, damit zu leben“, gesteht er. „Aber wir können lauter und stärker werden.“

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