Wie werden E-Scooter aufgeladen?Unterwegs mit einem „Juicer“ in Köln

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Jerome Graf trägt die Jobbezeichnung „Juicer”.

  • Die große Popularität der neuen E-Scooter in Köln hat schon jetzt Folgen für den Preis: Der Anbieter „Lime” erhöht sie kräftig.
  • Das Herumliegen der E-Scooter in der Stadt führt derweil zu einem neuen „Berufsbild”: Sogenannte „Juicer“ sammeln für „Lime” vornehmlich abends und nachts die E-Scooter ein und füllen deren Batterien auf.
  • Wer zuerst am leeren Scooter ist, lädt zuerst – ein Knochenjob und nach Ansicht von Juristen ein sehr einseitiges Arbeitsverhältnis.
  • Jerome Graf ist einer von ihnen und berichtet von seinen Erfahrungen.

Köln – Um kurz vor 22 Uhr sind es immer noch fast 30 Grad. Jerome Graf sitzt in der Tür seines kleinen weißen Transporters und schaut auf sein Smartphone. „Im Belgischen Viertel sind gerade viele, da sollten wir hin“, sagt er und steigt ein. Graf ist ein sogenannter „Juicer“. Er sammelt abends E-Scooter ein, um sie über Nacht aufzuladen und früh morgens wieder in der Stadt zu verteilen.

„Juicer“ heißen die, die für den Anbieter Lime im Einsatz sind – beim Konkurrenten Tier werden sie „Ranger“ genannt. Seit gut einem Monat rollen die E-Scooter durch Köln, mittlerweile sind rund 1400 Roller in der Stadt verteilt. Tagsüber düsen sie über die Straßen, abends ist der Akku leer. Um das Aufladen kümmern sich die Anbieter aber nicht komplett selbst, Lime stellt dafür Privatpersonen auf Erfolgsbasis ein – so wie Graf. Pro Roller, den er einsammelt und morgens mit mindestens 95 Prozent Akkuladung wieder aufstellt, bekommt er vier Euro brutto.

Jerome Graf hat es für heute geschafft – der Transporter ist voll, nun kann er die E-Roller in seiner Garage aufladen.

Jerome Graf hat es für heute geschafft – der Transporter ist voll, nun kann er die E-Roller in seiner Garage aufladen.

Als „Juicer“ muss er einen Gewerbeschein besitzen, gilt offiziell als selbstständig. Zudem trägt er viele Kosten selbst, etwa Sprit für sein eigenes Auto und Strom zum Laden der Roller. Von den vier Euro bleiben ihm am Ende etwa 2,70 Euro. „Am Anfang hab ich ohne Grund 100 Euro bekommen, damit ich dabei bleibe“, erzählt er. Bezahlt wird Graf täglich, wie oft er loszieht ist seine Entscheidung. Nach Ansicht mancher Juristen ein sehr einseitiges Arbeitsverhältnis, das viel Verantwortung bei den „Juicern“ belässt, etwa die Haftung für Schäden an den Rollern während des Ladevorgangs. Rafael Struwe, Rechtsanwalt und SPD-Ratsherr, fasst das Verhältnis so zusammen: „Volle Flexibilität für Lime, volles Risiko für die »Juicer«.“

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Doch Graf ficht das nicht an. Er ist auch Gründer eines gut laufenden Start-ups. Seine Firma verkauft Nudelgerichte bei Festivals, er beschäftigt zehn Mitarbeiter. Wegen des Gelds macht er es also nicht. Warum dann? „Ich probiere gern neue Geschäftsmodelle aus. Eigentlich macht es sogar Bock“, sagt er.

Die Roller im Belgischen Viertel sind mittlerweile weg. Vielleicht war ein anderer „Juicer“ schneller. In seinen Wagen passen zehn E-Scooter, mehr darf er an einem Abend auch nicht sammeln. Rein theoretisch könnte er den ganzen Tag Roller einladen, die einen Akkustand von weniger als 38 Prozent haben. „Aber nach 22 Uhr stehen die meisten herum, außerdem darf ich dann jeden Roller nehmen“, auch solche mit höherem Akkustand, erklärt er.

Jerome Graf hat es für heute geschafft – der Transporter ist voll, nun kann er die E-Roller in seiner Garage aufladen.

Jerome Graf hat es für heute geschafft – der Transporter ist voll, nun kann er die E-Roller in seiner Garage aufladen.

Auf der Schildergasse sind wieder ein paar E-Scooter aufgetaucht – Graf kann das über eine App auf dem Smartphone beobachten. „Gut ist es, wenn direkt mehrere zusammenstehen, dann muss man nicht so viel hin- und herfahren“, sagt er, parkt seinen Wagen in zweiter Reihe, läuft los und kommt wenig später mit je einem Roller in der linken und rechten Hand wieder. Graf hat den Dreh offenbar raus, trotzdem sind mehr als zwei gleichzeitig kaum möglich. Die E-Scooter dann in den Kofferraum zu hieven ist echte Knochenarbeit. „Die Dinger wiegen mindestens 17 Kilogramm“, sagt er und wuchtet den zweiten ins Auto.

Laden in der Garage

Nach einer knappen Stunde ist der Kofferraum voll und Graf bei den Temperaturen nass geschwitzt. Zum Glück kann er, anders als viele andere „Juicer“, die E-Scooter in seiner Garage laden und muss sie nicht in seine Wohnung tragen. Abgesehen von der Schlepperei würde er es auch aus Sicherheitsgründen nicht machen: „Da braucht ja nur ein Akku mal zu überhitzen, dann brennt dir die Bude ab. Das ist mir zu riskant“, sagt er. Um die E-Scooter aufzuladen, hat er von Lime spezielle Ladegeräte bekommen.

Kaum vier Wochen nach Markteintritt erhöht Lime die Preise:  von 15 Cent auf 20 Cent die Minute. Wie bei den anderen Anbietern kommt zusätzlich eine Entsperrgebühr von einem Euro hinzu. In Hamburg wurde der Preis sogar auf 25 Cent pro Minute angehoben. Empörte Nutzer verglichen die neuen Tarife mit Mietautopreisen. Der Anbieter äußerte sich auf Nachfrage des „Kölner Stadt-Anzeigers“ dazu nicht.

Auch der Verleiher Tier hat in einigen Städten (München, Hamburg, Düsseldorf) die Preise von 15 auf 19 Cent die Minute erhöht. Als Begründung nennt Tier die hohe Anfrage sowie die Preise des Wettbewerbs in den genannten Städten, die mehrheitlich bei mehr als  19 Cent lägen.

Während der Anbieter Lime zum Aufladen ihrer Roller Privatpersonen auf Erfolgsbasis einstellt und nach Aufwand bezahlt, geht die Firma Tier die anders vor. Sie stellt „Ranger“ auf 450- Euro- Basis ein, die Roller werden außerdem zu einem zentralen Lager gebracht und dort geladen.  „Nur so können wir garantieren, dass die Roller in einem sicheren, gewarteten Zustand auf die Straße gestellt werden. Dies erhöht nicht nur die Sicherheit für unsere Kunden, sondern verlängert auch die Lebensdauer der Scooter erheblich“, teilt Tier auf Nachfrage des „Kölner Stadt-Anzeigers“  dazu mit. (keu)

Eigentlich zehn, angekommen sind aber nur neun. Wenn er mehr haben möchte, muss er sie selbst für 15 Euro kaufen. Deshalb macht er erstmal mit den neun Geräten weiter. Über die App kann er auch von zu Hause aus sehen, wie der Ladestand seiner Roller ist. Bis morgen früh sollten alle so gut wie voll sein – zwischen 5 und 8 Uhr muss Graf sie jedenfalls wieder in der Stadt verteilen. Wo genau, das gibt Lime vor.

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