Kölner PhilharmonieNoch nie war das Publikum bei Konzerten so still

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Kurrende

Jubiläumskonzert der Kölner Kurrende in der Philharmonie

Köln – Die Besucher der Philharmonie sind wegen ihrer schlechten Eigenschaft in die Literatur eingegangen. Der Pianist und Schriftsteller Alfred Brendel widmete ihnen 1996 das satirische Gedicht „Die Huster von Köln“. Darin ist von einer „Satzung“ die Rede, in der die Deutlichkeit des Konzerthustens zur obersten Vereinspflicht erklärt wird. Den Mitgliedern wird eine „genaueste Kenntnis der Musikstücke“ attestiert, „damit bei leisen Stellen – besonders in der lähmenden Stille von Generalpausen – deutlich gehustet werden kann“.

Brendel war verärgert darüber, dass stets gerade die andächtigsten und wichtigsten Stellen seines Vortrages zerhustet wurden. Die Tradition hielt trotz dieses Spotts an. Wie eine chronische Krankheit.

Bis jetzt. Nun herrscht Stille, fast Andacht. Kein einziger Huster, kein Röcheln, nicht einmal ein Räuspern ist in der Philharmonie zu hören. So zum Beispiel am vergangenen Sonntag beim Konzert des Chors „Kölner Kurrende“ und des Gürzenich Orchesters. Man hätte eine Nadel fallen hören, könnte man in diesem Falle wirklich sagen, denn die Akustik der Philharmonie verstärkt jedes auch noch so kleine Geräusch.

Dirigent perplex über die Stille 

Chordirigent Michael Reif sagt: „Ich war total perplex, wie konzentriert das Publikum reagiert hat und wie es am Ende fast den Atem anzuhalten schien.“ Zum 50-jährigen Bestehen der Kurrende wurde Stefan Heuckes „Friede den Menschen“ uraufgeführt – eine Kantate nach einem Gebet aus dem Frauenkonzentrationslager Ravensbrück – , umrahmt von einem Penderecki-Stück und Beethoven.

Erst einmal sei der Grund für das andächtige Zuhören wohl die Spannung gewesen, wie das moderne Stück klingen würde. Andererseits sei da aber auch ein – in diesem Fall geräuschloses – Aufatmen und eine Freude darüber gewesen, dass ein solches Chorkonzert wieder stattfinden kann.

Huster bleiben zuhause

Was er außerdem bemerkt: Die Besucher sind jünger als in Vor-Corona-Zeiten. Und dass weniger gehustet wird, hänge wohl auch damit zusammen, dass Menschen, die sich nicht ganz gesund fühlten, nun ohnehin zu Hause blieben.

Doch Reif geht noch weiter. „Mich haben Leute am nächsten Tag auf der Straße angesprochen und gesagt: Mein Gott, wie mutig, das Konzert mit diesen drei Stücken zu gestalten.“ Diese Aufmerksamkeit erinnere ihn an Zeiten von vor 20, 25 Jahren, als Konzertbesuche noch große Ereignisse waren. Es zeige sich nun in der Krise, wie sehr sich die Menschen nach wertiger Kultur sehnten und deshalb auch mit einer gewissen Haltung in ein Konzert gingen. Das sei auch eine Form der Wertschätzung für die Musiker.

Philharmonie-Chef freut sich

Auch Philharmonie-Intendant Louwren Langevoort bemerkt das Phänomen „Nicht-Husten“ seit einiger Zeit. „Und ich freue mich jeden Tag darüber“, sagt er. Es wage kaum noch jemand, zu husten. Das liegt seiner Einschätzung nach auch an den Masken. Die verhinderten weitgehend, dass die Menschen Infekte, Schnupfen und Husten bekommen. „Und wenn sie krank sind, dann gehen sie nicht ins Konzert.“ Weil sie andere nicht stören wollen und nicht in den Verdacht kommen wollen, etwas anderes als einen normalen Husten zu haben.

Langevoort

 Louwrens Langevoort

Auch er sieht darin eine gewachsene Wertschätzung für Konzerte, die Musiker und auch die Mitbesucher. Zurzeit dürfen nur 750 Zuhörer in die Philharmonie, und auch am Platz muss man Maske tragen. „Da will ich mich selbst konzentrieren und andere nicht stören.“ Ob das auch noch anhält, wenn die Pandemie verschwindet? „Ich weiß nicht, aber ich wünsche es aus tiefstem Herzen.“

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Einst wurden in der Philharmonie Unmengen von Halsbonbons ausgegeben. Das gibt es nun nicht mehr. Erstens, weil man aus hygienischen Gründen auf Giveaways verzichten muss. Und weil sie derzeit auch nicht mehr gebraucht werden.

Der Husten ist (oder war) übrigens kein reines Kölner Problem. So mahnte Alfred Brendel einst auch in Hamburg das Publikum: „Entweder Sie hören auf zu husten oder ich höre auf zu spielen!“ In Hamburg dürfte es aber auch stiller geworden sein.

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