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Serie „Schule in Not“In Kalk ersetzt das Baugerüst den Notausgang

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Kinder der Grüneberg-Schule in Kalk müssen auf einer Baustelle spielen.

Köln-Kalk – Dunkle Bauzäune, riesige Gerüste, karge Absperrgitter, blanker Beton, dazu Schrott und Müll, ein abgeflexter Spielplatz, ein von Bauarbeitern zerstörter Garten  – man würde sich nicht wundern, wenn jemand ein Schild mit der Aufschrift „Betreten verboten“ aufhängen würde.

In Kalk aber sollen sich auf diesem Areal jeden Tag Hunderte Kinder erholen und austoben. Das zentrale Gebäude der Grüneberg-Schule ist komplett eingerüstet – nicht weil hier irgendwas repariert wird, sondern weil irgendjemand aufgefallen ist, dass die Grundschule einen Notausgang braucht. Im Notfall sollen die Kinder nun also aus dem Fenster des Klassenraums auf das wackelige Baugerüst klettern.

Im nächsten Jahr soll die Katholische Grundschule Kapitelstraße, mit der sich die Grüneberg-Schule das Grundstück teilt, in ein neues Gebäude in der Nachbarschaft ziehen. Dann soll es mit Sanierungsarbeiten losgehen. Die Eltern trauen der Zusage noch nicht so richtig.

Es ist laut und fehlt an Platz und Licht

Schließlich steht die Schule seit über 20 Jahren auf den Listen der Stadt, auf denen Sanierungen angekündigt werden. „Uns wird seit Jahren versprochen, dass sich die Lage verbessert. Eingehalten wird so gut wie nichts“, sagt Elternvertreterin Livia Trojanus. Zusammen mit Nathalie Leisten führt sie über ein Areal, das sich irreführend Schulhof nennt.

Die Schülerzahlen steigen auch in Kalk. Auf Drängen der Stadt hat die Grüneberg-Schule an der Kapitelstraße eine vierte erste Klasse aufgemacht. Viele Schulen beklagen die Enge und Fülle, weil mehr Schüler die Räume, Flure und Höfe bevölkern.

In Kalk ist es noch ein bisschen schlimmer: Durch die Ansammlung von Absperrungen und Aufbauten ist der Schulhof deutlich kleiner geworden. Es fehlt an Platz und Licht – und weil es hinter den Bretterzäunen so hallt, ist es auch noch unerträglich laut. Spielgeräte wie Roller und Pedalos dürfen wegen Unfallgefahr nicht mehr ausgeliehen werden.

Gebrochene Versprechungen und folgenlose Beschlüsse

Eltern und Lehrer berichten von gebrochenen Versprechen, vagen Ankündigungen und folgenlosen Beschlüssen. Hinzu kommen offensichtliche Schlamperei bei kleineren handwerklichen Arbeiten. In die Umkleiden der Turnhalle läuft Wasser, weil beim Anlegen eines Waschplatzes für einen behinderten Schüler schlecht gearbeitet wurde.

Ein Wasserschaden an anderer Stelle hat Lernmaterial im Wert von 5000 Euro zerstört. Auch hier gibt es bis heute keinen Ersatz. Eltern und Lehrer sind sich sicher, dass die Lage an der Schule anders aussehen würde, wenn sie sich in einem anderen Stadtteil befinden würde – in einem Viertel, wo die Proteste lauter sind, wo Elternvertreter und Schulleiter über gute Kontakte zur Politik verfügen.

Selbst im zuständigen politischen Gremium, der Bezirksvertretung Kalk, die sich gleich um die Ecke trifft, könne man das sehen. Da werde Geld für einen Spielplatz im Wildgehege Brück bereit gestellt, sagt Nathalie Leisten: „So was ist denen wichtig. Um uns kümmert sich keiner.“

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Werden Geld, Aufmerksamkeit und andere Ressourcen in der Stadt unterschiedlich verteilt? Bekommen sozial schwächere Viertel weniger ab als die bessergestellten und gut vernetzten? Der Politikwissenschaftler Armin Schäfer, der lange beim Kölner Max-Planck-Institut arbeitete und die Stadt gut kennt, spricht in seinen Forschungen zu politischen Entscheidungsprozessen auf Bundesebene von „systematisch verzerrten Entscheidungen“.

Seine These: Die Politik orientiert sich zunehmend an den Meinungen, Sorgen und Nöten der Wohlhabenden und besser Gebildeten. Sie weiß, dass diese  Wahlen entscheiden, während in Stadtteilen wie Kalk nur noch wenige mitwählen.

Es sei „plausibel“,  den Zusammenhang zwischen dem Grad an politischer Aufmerksamkeit und dem sozialem Status der Betroffenen auf die lokale Ebene zu übertragen, so Schäfer. „Es spricht viel dafür, dass sich die Kommunalpolitik vor allem um die Schulen in Stadtteilen kümmert, wo die Eltern wählen gehen und sich gegebenenfalls zu wehren wissen.“

Schieflagen bei den Ganztagsplätzen

Auch bei der Versorgung mit offenen Ganztagsplätzen gibt es Schieflagen. Stadtweit liegt die Versorgungsquote bei 78 Prozent.  Es gibt Schulen, wo es für alle Grundschüler einen Ganztagsplatz gibt. In Kalk profitiert noch nicht einmal die Hälfte der Grundschüler von diesem Angebot.

Auch Chorweiler oder Finkenberg haben eine vergleichsweise sehr niedrige Versorgungsquote.  Ob die Zahlen tatsächlich die Folge von „systematisch verzerrten Entscheidungen“ sind, ist nicht eindeutig zu belegen. Es gibt auch  sozial starke Viertel wie Rath oder Brück mit niedrigen Quoten.

Unter Bildungsexperten unbestritten ist jedoch die Feststellung, dass gerade in sozial schwächeren Vierteln ein Ganztagsangebot wie auch besonderer bildungspolitischer Ehrgeiz nötig wären, um die Chancen der Kinder zu verbessern.

Fördervereine haben weniger Mittel

Hinzu kommt ein weiteres Problem, das die Not der Schulen in solchen Stadtteilen weiter verstärkt: Sie verfügen nicht über so zahlungs- und tatkräftige Fördervereine wie andere Schulen, wo die Elternvereine schon mal einspringen, wenn ein technisches Gerät fehlt oder ärmeren Schülern die Teilnahme an Klassenaktivitäten ermöglicht werden soll.

Zur Zeit wird über den Ausbau der digitalen Bildungsangebote diskutiert, die eine bessere individuelle Förderung und neue Lernmethoden ermöglichen. Die Frage, wie Schüler an ein eigenes digitales Endgerät kommen, ist nicht geklärt.

Mancher Verantwortliche  geht wohl davon aus, dass jeder seinen  eigenen Tablet-PC von zu Hause mit in die Schule bringt. Der Prinzip der Lernmittelfreiheit, das  eigentlich Chancengleichheit sichern soll, aber schon seit längerem  ausgehöhlt wird, würde endgültig Makulatur.

Es kommt selten vor, dass sich Eltern benachteiligter Schulen wehren. Ihnen fehlen dazu in der Regel die Mittel und die Kontakte. Auch hier ist die Grüneberg-Schule ein Beispiel. „In den vergangenen Jahren hat uns keiner zugehört“, sagt eine Kalker Lehrerin.

Aktive Elternschaft hat sich organisiert

Jetzt scheint sich etwas zu ändern, weil sich  eine recht aktive Elternschaft organisiert hat. Sie sammelt Unterschriften, schreibt  Briefe an Politiker und führt Journalisten über den Schulhof.  Dass endlich jemand „richtig Rabatz“ mache, sei ein Segen für die Schule, so die Lehrerin. „Wenn die Eltern nicht aktiv werden, tut sich nichts.“

Wie viel das Engagement bringt, ist allerdings noch offen. So gibt es immer noch keinen Ersatz für die demontierten Spielgeräte, obwohl sie von den Eltern selbst bezahlt wurden. Allerdings gibt es auch eine „Erfolgsmeldung“, so Trojanus: „Jetzt sind wenigstens die Stümpfe der Spielgeräte ausgebuddelt worden, die hier vor einem Jahr abgeflext wurden.“

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