Gruppe für Angehörige von Kölner Corona-Toten„Ich konnte nicht für sie da sein“

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Köln – Mehr als 950 Kölnerinnen und Kölner sind inzwischen an oder mit dem Coronavirus gestorben, 121 000 Menschen sind es in Deutschland, fast sechs Millionen weltweit. „Trotzdem nehme ich das Thema Tod und Corona in der Öffentlichkeit kaum noch wahr“, sagt Ljiljana K. „Dafür lese ich fast täglich von den Spaziergängern, die von einer Diktatur schwadronieren und das Virus für ungefährlich halten.“

Sorge vor Hassnachrichten

Weil sie den Hass solcher Menschen fürchte, wolle sie nicht mit vollem Namen in der Öffentlichkeit stehen, sagt Ljiljana und erinnert an eine Pfarrerin, die kürzlich Morddrohungen erhielt, nachdem sie für Corona-Tote gebetet hatte. Trotzdem möchte sie ihre Geschichte erzählen: Ljiljana K. hat ihre Mutter verloren, die nach einer Coronainfektion starb, und ruft jetzt in Köln eine Selbsthilfegruppe für Angehörige von Corona-Toten ins Leben.

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Julijana K. (67) starb nach schwerem Corona-Verlauf.

Mutter starb nach schwerstem Corona-Verlauf

Sie habe das Gefühl, dass „die Pandemie Phänomene wie Einsamkeit oder die Verdrängung des Themas Tod weiter verstärkt hat“, sagt die 50-jährige Kölnerin, die weiß, was es bedeutet, einsam zu sein in ihrer Trauer. Ihre Mutter Julijana ist am 31. Mai 2021 nach schwerstem Corona-Verlauf an Schläuchen angeschlossen im Krankenhaus gestorben. Ihr Vater, ihre Schwester und sie selbst durften in den letzten Tagen, die sie bei Bewusstsein war, nicht bei ihr sein – die Corona-Vorschriften untersagten einen Besuch.

Erst wiedergesehen, als sie im Koma lag

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Julijana K. und Tochter Ljiljana  

Erst, als ihre Mutter im künstlichen Koma lag, sah Ljiljana ihre Mutter wieder, vermummt in Schutzmontur durfte sie zu ihr. Am Fenster, erinnert sie sich, sah sie ein Rotschwänzchen, das in einem Nest unermüdlich ihre Jungen fütterte. Fast so, wie die Mutter sie und ihre Schwester einst bekocht und betüddelt hatte. „Ich war so traurig, dass ich in dieser entscheidenden Zeit nicht für meine Mutter da sein konnte, nicht für sie da sein durfte.“ Mit blauen Schutzhandschuhen habe sie sie, ganz vorsichtig, berührt. Zwei Tage später seien die Geräte ausgeschaltet worden. „Ich konnte mich ihrem leblosen, geschundenen Körper nicht nähern. Ich war wie erstarrt.“

Ohnmacht und Trauma

Viele Angehörige „haben ähnliche Erfahrungen gemacht“, sagt sie. Die Trauer um den Tod eines liebsten Menschen werde verstärkt durch das Gefühl von Ohnmacht, hervorgerufen durch Besuchsverbote oder stark eingeschränkten Kontakt in den letzten Lebenswochen. Mit einem jungen Kölner, der seinen Vater verlor, hat Ljiljana die Selbsthilfegruppe für Kölner Angehörige von Corona-Opfern gegründet, die dem Paritätischen Wohlfahrtsverband angeschlossen ist. „Ich denke, es gibt bei einigen Angehörigen den Wunsch, sich in einem geschützten Raum auszustauschen“, sagt Ljiljana. „Ich denke, vielen tut es gut, mit Menschen zu sprechen, die es auch traumatisiert hat, nicht richtig Abschied nehmen zu können.“

Noch ungeimpft, weil nicht priorisiert

Ein 30-jähriger Kölner hilft Ljiljana K., die Selbsthilfegruppe aufzubauen. Seine Geschichte will der Mann nicht öffentlich erzählen. Sein Vater starb womöglich auch, weil er noch ungeimpft war – zum Zeitpunkt seiner Infektion war er für eine Impfung noch nicht priorisiert. Ganz ähnlich sei es bei ihrer Mutter gewesen, erinnert sich Ljiljana. „Weil sie noch keinen Impftermin bekommen hatte, war sie immer sehr vorsichtig, hat fast keine Menschen getroffen.“ Leider habe eine Hüft-Operation angestanden, der Arzt habe ihrer Mutter geraten, die OP unbedingt trotz Corona machen zu lassen. „Als sie aus der stationären Reha kam, war sie tags darauf infiziert.“ Wenige Wochen später hätte sie ein Anrecht auf eine Impfung gehabt.

Selbstvorwürfe 

Sie mache sich Vorwürfe, ihrer Mutter nicht von der Operation abgeraten zu haben, sagt die Tochter. Auch wenn sie wisse, dass sie für ihren Tod nicht verantwortlich sei.

Achtsamkeitstraining, Gespräche und Schreiben hülfen ihr, um mit dem Verlust umzugehen. Über ihre Trauererfahrung hat sie auch ein Gedicht geschrieben, sie hat es „Intensivstation – Nicht im Nachrichtenfernsehen“ genannt:

Ich war dort. Corona-Intensivstation. In echt. Meine Mama war dort An den Maschinen. Meine Schwester war Samstag dort. Sonntag ich. Nur eine Person am Tag. Mamas Körper hustet am Schlauch. Corona. Mama im Koma. Ich auch. Corona-Intensivstation Samstag, Sonntag und Montag? Montag ist Mama tot.

Angehörige, die durch Covid 19 einen geliebten Menschen verloren haben und darüber sprechen möchten, können sich an die Selbsthilfe-Kontaktstelle Köln des Paritätischen Wohlfahrtsverband wenden, der auch zu einem ersten Treffen einlädt. Selbsthilfe-Kontaktstelle Köln, 0221 95 15 42-16 (Mo+Do 9-12.30 Uhr, Mi 14-17.30 Uhr) oder www.selbsthilfekoeln.de  

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