Einsturz des Kölner Stadtarchivs„Wir machen weiter, bis das Ding auseinanderfliegt!“
Köln – Die Arbeiten liefen unter Hochdruck, sollten eigentlich längst erledigt sein. Doch beim Aushub für die Lamelle 11, einem unterirdischen Abschnitt der U-Bahn-Baustelle am Waidmarkt, brachen am 2. September 2005 in etwa acht Metern Tiefe immer wieder Zähne des Greifers ab, mit dem die Erde aus dem Untergrund geholt werden sollte. Anstatt das Problem zu analysieren, verlangte der Polier der Baustelle vom Baggerführer, das Hindernis mit der tonnenschweren Greiferschaufel zu beseitigen.
Die Schäden, die in der Folge an der U-Bahn-Wand entstanden, seien ursächlich für den späteren Einsturz des Stadtarchivs, das direkt gegenüber der Baugrube stand. So heißt es in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft, die der "Kölner Stadt-Anzeiger" einsehen konnte. Außer den beiden Bauarbeitern sind noch drei weitere Mitarbeiter der Arbeitsgemeinschaft (Arge) der am Bau beteiligten Unternehmen sowie zwei Mitarbeiter der Kölner Verkehrs-Betriebe (KVB) angeklagt, die für die Überwachung der Arbeiten zuständig waren.
Die Staatsanwaltschaft, die die Anklage am Mittwoch bestätigte, wirft ihnen fahrlässige Tötung oder Baugefährdung vor. Bei dem Einsturz sind zwei Menschen ums Leben gekommen. Nach Schätzungen der Stadt entstand ein Sachschaden in Höhe von 1,2 Milliarden Euro.
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Baupfusch wurde vertuscht
Der Polier und Baggerführer hätten wissen müssen, dass ihr Verhalten im September 2005 gefährlich und unverantwortlich war, heißt es in der Anklage. Anstatt die Arbeiten zu unterbrechen und die Baustelle eventuell sogar stilllegen zu lassen, habe der Polier trotz abbrechender Greiferzähne gefordert: "Wir machen weiter, bis das Ding auseinanderfliegt!"
Dies habe sich auch nicht geändert, als plötzlich das Fugenblech zutage gefördert wurde, mit dem die neben dem Bauabschnitt liegende Lamelle 10 abgesichert war. Obwohl dadurch klar geworden sei, dass die unterirdische Wand massiv geschädigt und somit undicht sei, wurde weitergearbeitet.
Um den Pfusch zu vertuschen, erwähnte der Polier die Beschädigung des Fugenbleches "mit keinem Wort" im Bautagesbericht, heißt es in der Anklage. Und das zertrümmerte Blech habe drei Tage später eine weitere, verhängnisvolle Rolle gespielt. Die Abrisskante des Metalls, die von der Erdoberfläche nicht zu sehen war, ragte tief unten in der Erde wie ein Haken in den Bereich der noch nicht ganz ausgehobenen Lamelle 11 hinein. Dadurch konnte dann in einer Tiefe von etwa 26 Metern ein weiteres Hindernis, womöglich ein großer Stein, nicht entfernt werden.
Gefahr war „vorhersehbar“
Wieder brachen Zähne der Schaufel ab, schließlich wurde erneut getrickst: Statt mit dem bisher eingesetzten 3,40 Meter breiten Greifer wurde mit einem schmaleren Gerät weitergearbeitet, das lediglich 2,80 Meter maß. Wodurch der direkt unter dem Hindernis liegende Boden laut Anklage nicht mehr ordnungsgemäß ausgehoben, mit Eisen bewehrt und mit Beton verfüllt werden konnte. So entstand nach Ansicht der Staatsanwaltschaft die etwa 60 Zentimeter breite Lücke, durch die später die Erde unterhalb des Archivs in die Baugrube geströmt sein soll.
Polier und Baggerführer jedoch sei klar gewesen, dass "ein ordnungsgemäßer Bodenaushub unmittelbar unterhalb des Hindernisses unmöglich war". Um dies zu verschleiern, sei dann das Messprotokoll der Lamelle 11 gefälscht worden. Dass die von ihnen geschaffenen "Schwachstellen" in der unterirdischen Wand eine Gefahr für die Standfestigkeit der Nachbarbebauung darstellen, sei für die Beteiligten "objektiv vorhersehbar" gewesen. Dies gelte auch für den Baggerführer, der, "zur Not an seinem Polier vorbei, die Bauleitung über die Aushubprobleme und die dadurch geschaffene Gefahrenlage" hätte informieren müssen.
Kontrolleuren fehlte Sorgfalt
Sowohl den drei weiteren angeklagten leitenden Arge-Mitarbeitern als auch den beiden KVB-Kontrolleuren habe die nötige Sorgfalt gefehlt, um "sich den besonderen bautechnischen Risiken anzupassen, die mit der Herstellung der Lamelle 11 verbunden waren", heißt es in der Anklage. Die Protokolle des Wandbaus hätten massive Probleme mit dem Bagger dokumentiert, dennoch habe man nicht reagiert.
Anstatt die Kontrollen zu verstärken, seien Prüfungen vor Ort unterlassen worden, "so das letztlich nicht einmal einen standardmäßige Bau- und Überwachungstätigkeit stattgefunden hat", lautet das Resümee der Staatsanwaltschaft. So sei beispielsweise die übliche Überprüfung der Eisenbewährung an Lamelle 11 sogar vollständig unterblieben.
Selbst als einer der KVB-Prüfer Fotos von manipulierten Bewehrungskörben machte, änderte sich nichts. Und auch die optisch deutlich verzerrten Messprotokolle der Lamelle 11 hätten niemanden stutzig gemacht. Hätten die Kontrolleure von Arge und KVB ihren vorgeschriebenen Prüfplan beachtet, wäre der Baupfusch aufgefallen, betonen die Ermittler. Auch später seien die Lamellen nicht systematisch kontrolliert worden, was jedoch zwingend erforderlich gewesen sei. Anders sei es nicht zu erklären, so die Anklage, warum die offensichtliche Fehlstellung nie aufgefallen sei.
Ein Sprecher der Baufirmen sagte, "es bleibt abzuwarten, ob das angerufene Gericht der Bewertung der Staatsanwaltschaft trotz der vor Ort noch nicht abgeschlossenen Untersuchungen letztlich folgen wird". Bis zu einem Urteil "gilt für alle Beteiligten die Unschuldsvermutung".