Meistgelesen 2022„Corona-Jahrgänge kennen Feiern nur durch illegale Raves“

Lesezeit 6 Minuten
Carlo Stein, David Tochtenhagen und Patrick Schumm stehen vor einer bemalten Hauswand.

Carlo Stein, David Tochtenhagen und Patrick Schumm (l.-r.) sind die Gründer von „koelnisttechno“.

  • „koelnisttechno“ wurde von David Tochtenhagen (28), Patrick Schumm (27) und Carlo Stein (27) gegründet.
  • Sie wollen die Kölner Technoszene bekannter machen und miteinander vernetzen.
  • Im Interview sprechen sie darüber, warum Köln in Bezug auf Techno das neue Berlin ist, warum in Köln Orte fürs Feiern fehlen und warum Secret Raves zur Szene dazu gehören.
  • Dieser Text ist zuerst am 29. Oktober 2022 erschienen.

Wie würdet ihr die Kölner Technoszene beschreiben?

Patrick Schumm: Wir finden, die Szene hier ist unterbewertet. Alle denken sofort an Berlin, wenn es um Techno geht. Wir wollen deshalb Inhalte schaffen, die das ändern. Für die DJ-Sets, zu denen wir Videos produzieren, laden wir sowohl bereits bekannte, als auch aufstrebende Künstlerinnen und Künstler ein.

Carlo Stein: Die Kölner Technoszene ist schon etablierter und diverser geworen, was auch daran liegt, dass Techno insgesamt sehr viel trendiger geworden ist in den vergangenen paar Jahren. Mir haben schon Leute gesagt, Köln sei das neue Berlin, in Bezug auf die Vielfalt an Techno. Berlin ist aber ein hartes Pflaster, es findet so viel statt, man kann sich leicht darin verlieren. Hier ist es familiärer, das mögen die Leute.

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Über „koelnisttechno“

„koelnisttechno“ wurde von David Tochtenhagen (28), Patrick Schumm (27) und Carlo Stein (27) gegründet, mittlerweile gehören auch Carolin Wolf (30), Michelle Brune (26) und Oliver Hudec (21) zum Team. Ihr Ziel ist es, die Kölner Technoszene bekannter zu machen und miteinander zu vernetzen. Dazu erstellen sie für jede Woche einen digitalen Veranstaltungskalender mit einem Überblick über die Technoveranstaltungen in Köln und bespielen Social-Media-Kanäle wie Instagram. Dort erstellen sie Memes über das Feiern, die Musik und die Leute und Umfragen über aktuelle Entwicklungen.

Außerdem produzieren sie aufwendige Videos mit Kölner Elektro-Künstlern, die Sets an ungewöhnlichen Orten spielen, wie auf dem Colonius oder dem Wasserturm-Hotel. „koelnisttechno“ veranstaltet auch selbst Partys – die nächste findet am 15.10. im Reineke Fuchs statt, es legen unter anderem Diode Eins auf.

David Tochtenhagen: Man trifft immer Leute, die man kennt.

Stein: Das ist der Charme, der Köln ausmacht. Die Szene in Berlin ist eher kühl. Der Rheinländer ist grundsätzlich warmherzig und offen – das merkt man auch beim Feiern. Hier ist das Techno-Feiern noch eher ein „Safe Space“.

„Falsche Bilder von Drogenkonsum“

Die Nachfrage nach Partys wird in Köln immer größer, die Clubs aber immer weniger. Woran liegt das?

Tochtenhagen: Die Politik scheint die Clubszene in der Stadt nicht haben zu wollen. Da wird lieber das dritte Weinfest veranstaltet. Wahrscheinlich können sich viele unter Techno-Kultur einfach nicht viel vorstellen, haben falsche Bilder von Drogenkonsum im Kopf.

Stein: Allein am Helios-Gelände sind mit dem Underground und Heinz Gaul gleich zwei Clubs weggefallen. Das waren richtige Kulturstätten, die ein hohes Niveau geliefert haben.

Blick in das volle Hein Gaul

Das Heinz Gaul in Ehrenfeld und seine Partys sind jetzt Geschichte.

Schumm: Man hört nie von neuen Clubs oder Open Air Locations, die aufmachen. Das finde ich echt schade. Eine größere Vielfalt wäre besser.

Stein: Jetzt, wo die Clubs seit einem halben Jahr wieder geöffnet sind, merkt man, wie groß der Andrang auf die noch wenigen, übrigen Clubs ist, wie zum Beispiel das Odonien oder Artheater. Die Leute stehen dort Schlange ohne Ende.

„Gibt keine legalen Alternativen für Secret Raves“

Dabei sind Clubs längst nicht mehr die einzigen Orte für Techno. Illegale Raves sind so populär wie nie.

Tochtenhagen: Wenn es immer weniger Clubs gibt, suchen die Menschen sich Plätze, an denen sie feiern können. Gerade in der Corona-Zeit, als alles geschlossen war, haben die Raves geboomt. Aber man sieht, was passieren kann, wenn Veranstaltungen nicht professionell geplant werden: Zurückgelassener Müll ist noch das geringste Problem, es sind ja bereits Unfälle passiert. Zu denen dann kein Krankenwagen gerufen werden soll, damit der Rave nicht auffliegt. Zumal die Veranstalter zeitweise bis zu 30 Euro Eintritt genommen haben – aber weder Miete noch Steuern zahlen. Es gab eine Goldgräber-Stimmung.

Zur Serie „Junges Köln“

Studieren, arbeiten, feiern und lieben: Köln ist ein Magnet für Menschen zwischen 20 und 35 Jahren, die das und mehr hier erleben wollen. Jedes Jahr ziehen Tausende in die Stadt, auf der Suche nach Abenteuer – und einem neuen Zuhause. Aber: Wie sieht ihre Lebensrealität wirklich aus? In unserer neuen Serie „Junges Köln“ wollen wir den Blick auf junge Kölnerinnen und Kölner lenken und davon erzählen, was sie bewegt. So sind wir etwa in der Technoszene unterwegs, versuchen zu erkunden, was die Faszination ausmacht. Oder begleiten Singles beim Dating auf der Suche nach der wahren Liebe.  

Schumm: Man muss aber dazu sagen, dass es auch viele Kollektive gibt, die Raves auf Spendenbasis organisieren.

Stein: Und die Secret-Rave-Szene existierte – nur eben ohne Hype – auch schon vor der Pandemie und gehört genauso in die Technoszene.

Tochtenhagen: Es gibt bislang keine legalen Alternativen für einen Secret Rave, die Aufregung gehört natürlich mit dazu. Aber es kann auch kein anderes Angebot geschaffen werden, wenn es keine Open-Air-Spielstätte gibt.

„Publikum beim Feiern hat sich stark verändert“

Durch den Lockdown gibt es einige Jahrgänge, die das Feiern erstmal nur illegal kennengelernt haben. Wie nehmt ihr das wahr?

Tochtenhagen: Einigen Leuten sieht man wirklich an, dass sie das erste Mal im Club stehen. Für eineinhalb Jahre kannten die gerade volljährig gewordenen nur, in den Wald zu fahren und da zu feiern.

Schumm: Das sagen uns auch die Clubbetreiber. Viele etwas ältere Leute haben sich in der Pandemie umorientiert und haben aufgehört, feiern zu gehen, sind ruhiger geworden. Das Publikum hat sich stark verändert.

Stein: Zwei Jahrgänge, die während Corona volljährig geworden sind, kannten durch die geschlossenen Clubs bis vor einem halben Jahr gar nichts Anderes als Raves und sind entsprechend damit sozialisiert.

Hat das auch Auswirkungen auf die Musik?

Tochtenhagen: Es ist deutlich härter geworden, deutlich schneller. 130 bpm waren bereits normal, jetzt kann es nicht mehr schnell genug sein. Das hat definitiv mit der Secret Rave Szene zu tun, dort hat man häufiger diesen Sound gehört. Aber die Geschmäcker sind verschieden, alles hat seine Daseinsberechtigung.

Schumm: Ich kenne einen DJ, der jetzt bereits schneller spielt, obwohl es eigentlich gar nicht sein Stil ist. Das Publikum fragt aber danach. Es ist das, was die Leute hören wollen.

Tochtenhagen: Daran sieht man aber, wie facettenreich die Musik ist. „Den“ Techno gibt es nicht. Es wandelt sich auch mit der Zeit, das war immer schon so. Eine Kultur, die sich verändert, lebt.


Zur Serie „Junges Köln“

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