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Zwei Kaffee, bitte!Kölnerin bietet obdachlosen Frauen spontan Hilfe an – es werden immer mehr

4 min
Petra Metzger über steigende Obdachlosigkeit.

Petra Metzger bietet obdachlosen Frauen oft Hilfe an. 

Was erzählen Menschen, wenn man sie auf der Straße anspricht? Darum geht es Susanne Hengesbach in ihrer Rubrik „Zwei Kaffee, bitte!“.

Heute schlendere ich über den Hohenzollernring und werde Zeugin eines Dialogs zweier Frauen. Die eine hat ein auffallend ausgezehrtes, blasses Gesicht und sitzt im Rollstuhl, die andere hat eine leicht vorgebeugte, zugewandte Haltung und ich höre, wie sie fragt: „Soll ich Ihnen etwas zu essen holen?“

Als ich ein paar Minuten später ein zweites Mal vorbeikomme, verabschieden sich die beiden Frauen gerade und gehen auseinander. Irgendwas an dieser Szene berührt mich und ich frage die Frau, von der ich später erfahre, dass sie Petra Metzger heißt, ob sie vielleicht mit mir Kaffee trinken mag. Sie mag – gerne sogar. Und so bekomme ich ein paar Minuten später im Hallmackenreuther sitzend mehr von dem Gespräch erzählt, das ich zuvor nur bruchstückhaft aufgeschnappt hatte.

Man kann sich überhaupt nicht vorstellen, was diese Menschen für eine Not haben
Petra Metzger

Die etwa 40-Jährige Frau im Rollstuhl habe berichtet, dass ihr vor kurzem ein Bein amputiert worden sei. Danach habe man ihr in der Klinik nonchalant einen Rollstuhl in die Hand gedrückt und „auf Wiedersehen“ gesagt. Ein paar Tage habe sie dann in einer Krankenwohnung unterkommen können. Aber nur als Übergangslösung. Jetzt sei sie wieder auf der Straße.

„Die Frau ist also obdachlos?“, frage ich. Petra Metzger nickt bestätigend und erzählt, dass sie häufig Frauen auf der Straße anspreche und Hilfe anbiete. „Die meisten sind sehr offen für ein Gespräch.“ In dem kurzen Austausch vorhin habe sie erfahren, dass die Frau im Rollstuhl außer dem frisch abgetrennten Stumpf mit Stirnhöhlenproblemen wegen der Kälte zu kämpfen habe und eigentlich tägliche medizinische Behandlung benötige. „Man kann sich überhaupt nicht vorstellen, was diese Menschen für eine Not haben. Ich höre immer wieder solche Geschichten“, sagt Petra Metzger.

„Haben Sie sofort erkannt, dass die Frau obdachlos ist?“, frage ich. Mein Gegenüber lächelt. „Man kann den Blick dafür schulen. Wer mit welchen Taschen unterwegs ist.“

Obdachlosigkeit bei Frauen weit verbreitet

Ihr Eindruck sei, sagt Metzger, „dass das alles sehr zunimmt“. Viele Menschen seien „körperlich in sehr schlechtem Zustand“, was „nicht unbedingt mit exzessivem Drogenkonsum“ zu tun habe. Gerade die Obdachlosigkeit bei Frauen sei inzwischen sehr verbreitet. „Das betrifft viele ältere Frauen, die dann, wenn der Partner stirbt, die Miete für die Wohnung nicht mehr zahlen können.“

„Und in einer Stadt wie Köln natürlich auch keine andere Wohnung finden“, ergänze ich. „Das Schicksal kann jeden treffen“, betont Metzger, die nicht nur die Geschichten, sondern auch die Namen vieler Menschen auf der Straße kennt. Man baue eine Beziehung auf, und plötzlich sei jemand weg und man frage sich: „Ist der tot oder was ist aus dem geworden?“

„Wie kommt es“, frage ich die 63-Jährige, „dass Sie sich im Gegensatz zu vielen anderen nicht einfach an diesen Leuten vorbeigehen?“

„Das hat mit meiner Persönlichkeit zu tun. Ich bin ein melancholischer Mensch und finde es wichtig, dass man sich kümmert. Nicht im Sinne von bevormunden, sondern von sich gegenseitig wahrnehmen. Gerade in einer Zeit, der es so viel um schönen Schein geht.“

Gesellschaft nicht adäquat ausgestattet

Sie wohne seit Jahrzehnten in Rudolfplatz-Nähe, erzählt sie, und sei viel zu Fuß in der Stadt unterwegs. „Andere Menschen sehen vielleicht eher, was in den Schaufenstern liegt. Ich schaue anders. Und ich interessiere mich für Menschen. Deshalb gebe ich ihnen nicht einfach nur fünf Euro, sondern spreche mit ihnen. Wenn da eine junge Frau auf der Straße sitzt, geschüttelt vor Weinen, wie ich es vor ein paar Tagen erlebt habe, dann ich da nicht vorbeigehen.“

Es seien immer wieder ähnliche Bekenntnisse: „Ich hab nichts aus meinem Leben gemacht.“ Oder: „Ich hatte so große Pläne!“ Oder: „Es ist so schwer, in Köln eine Wohnung zu finden.“

Die Frauenhäuser seien voll, beklagt Metzger. Die Notschlafstätten ebenfalls. „Unsere Gesellschaft ist für die Not, die sie produziert, nicht adäquat ausgestattet.“

„Aber unser Kanzler behauptete, in Deutschland werde niemand obdachlos“, stelle ich fest. „Dann soll er mal öffentliche Verkehrsmittel benutzen“, sagt Metzger. „Es ist fatal, wenn man immer nur mit dem Chauffeur durch die Welt kutschiert wird. Da verschiebt sich der Ausschnitt.“