Kommentar zu KarnevalLasst das Indianer-Kostüm doch einfach im Schrank

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Symbolbild-Mann-Indianerkostüm

Symbolfoto

  • Es ist Elfter im Elften: Der Tag, an dem Lappenclowns an der Supermarktkasse und Stormtrooper vor dem Dixi-Klo Schlange stehen.
  • Und aus der schunkelnden Menge tauchen immer wieder auf: Sombreros, Turbane und Indinanerkostüme. Alaaf!
  • Karneval ist die Zeit, in der selbst linke SoWi-Studenten ein paar Knochen in der Afro-Perücke lustig finden. Es wird Zeit, mit dem Quatsch endlich aufzuhören. Ein Kommentar

Es ist Elfter im Elften. Das ist der Tag, den man als Kölner seinen Freunden – aus sagen wir mal Hamburg – nur schwer vermitteln kann.  Der Tag, an dem sich Hunderttausende Jecke bei usseligem Wetter in bunten Kostümen erst singend und später lallend glückselig in den Armen liegen. Der Tag, an dem es völlig normal ist, drei Stunden im Nieselregen anzustehen, um in die nächste stickige Eck-Kneipe zu kommen.

Der Tag, an dem Moni aus Bergheim als Lappenclown beim Bäcker noch schnell ein paar Brötchen holt, an dem Frederik aus Aachen mit seinen Jungs auf der Severinsstraße die Raumstation ISS nachbildet. So weit, so lustig. Leider ist es auch der Tag, an dem Jasmin aus Köln es immer noch unfassbar niedlich findet, wie die Indianerfedern in der Perücke ihre Kriegsbemalung zur Geltung bringen.

Mit dem 11.11. beginnt wieder die Zeit, in der sich SoWi-Studenten, die gestern noch antirassistische Parolen auf Twitter verbreitet haben, völlig ironiefrei den Sombrero aufziehen oder in die Pumphose schlüpfen. Annegret Kramp-Karrenbauer reißt plumpe Zoten über Transgender? Skandal! Aber so ein paar Knochen in der Afro-Perücke: Das ist doch lustig! 

Achtung, Humorpolizei!

Keine Frage: Die ständigen Diskussionen über politische Korrektheit sind mühselig. Man kann die Welt verbessern wollen und muss trotzdem nicht bei jedem geschmacklosen Witz Humorpolizei spielen. Doch gerade im Karneval müsste mittlerweile klar sein, wie wichtig es ist, vermeintliche Traditionen immer wieder neu zu verhandeln. Wohl kaum jemand würde heute noch argumentieren, dass es komplett okay ist, einer Frau im Suff an Brüste, Hintern oder zwischen die Beine zu fassen, nur weil das vor zehn Jahren noch irgendwie normal war. Genauso haben die meisten Menschen mittlerweile verstanden, warum „Blackfacing“, also das Anmalen des Gesichts in Nachahmung schwarzer Hautfarbe, schlicht rassistisch ist. 

Kostüme aus der Klischee-Schublade

Anfang des Jahres erklärte eine Hamburger Kita, sie wolle Indianer- und Scheich-Kostüme zu Fasching verbieten. Der Aufschrei war riesig, als würden hier Eltern in ihrem gottgegebenen Grundrecht beschnitten, ethnische Klischees aus der Schublade zu ziehen und ihren Kindern überzustülpen.

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Natürlich sind Kinder nicht rassistisch, weil sie sich als Indianer verkleiden oder einen Turban aufsetzen wollen, Eltern nicht, weil sie es erlauben, und die jecke Jasmin nicht automatisch, weil sie Federnschmuck am Rock baumeln hat. Doch all diese Kostüme, vom Mexikaner bis zum Indianer, reproduzieren teils herabwürdigende Stereotype: hier gelbe oder rote Haut, da Schlitzaugen und lustige Sprache, dort der bärtige Mann.

„Das gehört zum Karneval“

Karnevalsfans argumentieren, dass im Karneval alles erlaubt sei, dass man sich schon als Kind als Indianer verkleidet habe und das in Ordnung gewesen sei, dass sich „noch kein Indianer“ beschwert habe, dass die Kostüme eher eine Anerkennung seien und das schließlich alles zum Karneval gehöre.

Aber gehören ethnische Kostüme, die Klischees mit Überzeichnungen auf die Spitze treiben und teils Symbole und Codes von Minderheiten aufgreifen, mit denen eben diese sich im Alltag gegen die Mehrheitsgesellschaft abgrenzen, wirklich zum Karneval? Ist der bärtige Terroristen-Türke wirklich genau so ein charmant-witziges Kostüm wie Spiderman und Co.? Jasmin kann ihr halb-fantastisches Minderheitenkostüm morgen ablegen. Andere Menschen tragen es jeden Tag und müssen mit den Konsequenzen leben. Und nein, die oft karikierte deutsche Lederhose hat sicherlich nicht dieselbe Tragweite.

Kein Rassist zu sein und keine böse Absicht zu hegen heißt nicht, dass man sich nicht einen Moment zurück nehmen kann, um zu überlegen, ob man vielleicht unabsichtlich durch den weißen Westen geprägte Vorurteile transportiert – sei der Anlass noch so jeck. Allein eine Google-Suche wirft Hunderte Ergebnisse auf, in denen Betroffene erklären, warum diese Praxis verletzend für sie ist – bereits das sollte zumindest zum Nachdenken anregen. Und alle, die dann immer noch meinen, im Karneval sei schlicht alles erlaubt, können sich ja mal fragen: Mit großer Plastiknase und Kippa als Jude verkleiden; einen „Behinderten“ spielen – immer noch harmlos und witzig?

Fällt euch nichts Besseres ein?

Dabei muss man in der ganzen Diskussion eigentlich nicht mal die Moralkeule schwingen, sich an Wörtern wie „cultural appropriation" entlanghangeln und erklären, wie wichtige Symbole indigener Völker oder Merkmale anderer Kulturen ins Lächerliche gezogen werden. Für den Karneval reicht vielleicht schon diese Frage: Ist es wirklich so witzig, kulturelle Klischees auszuleben, dass man darüber riskiert, Menschen zu verletzen? Und: Fällt einem – gerade in Köln – wirklich kein kreativeres Kostüm ein? Manche Witze sind irgendwann auch einfach mal auserzählt.

Alaaf!

Hinweis der Autorin: Nach Fragen einiger Leser wurde dieser Text ergänzt.

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