Kölner Kinderarzt zu Corona„Komm, lasst uns mal vor der Glotze sitzen”

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Anselm Bönte, Kinderarzt

  • Die Coronakrise schränkt gerade Familien drastisch in ihrer Freiheit ein.
  • Schulen und Kitas sind geschlossen, Spielplätze ebenfalls, mit Freunden treffen soll man sich auch nicht.
  • Kinderarzt Anselm Bönte aus Köln-Weiden rät bei möglichen Ausgangssperren dazu, Verbote in den eigenen vier Wänden zu lockern.

Herr Bönte, vor einer Woche haben Sie noch gesagt, die Kinder könnten sich mit den besten drei bis vier Freunden treffen. Aber die Lage ist dynamisch, deshalb riefen Sie mich an und sagten: Das müssen wir korrigieren! Was würden Sie heute Eltern raten?

Was letzte Woche noch ok erschien, würde ich heute nicht mehr behaupten. Es ist erstaunlich, in welch kurzer Zeit sich Handlungsempfehlungen überholt haben. Die Lage hat sich verschärft. Heute würde ich sagen: Kinder müssen in der Familie bleiben. Ich würde allenfalls noch den besten Freund erlauben. Aber der darf dann auch nicht wöchentlich wechseln. Es muss immer der selbe sein.

Sie sind als Kinderarzt auch für Jugendliche zuständig. Über die wurde in den vergangenen Tagen viel geschimpft, weil sie sich trotz der ernsten Lage zu Corona-Partys trafen. Sie haben selbst eine Tochter. Wie würden sie die davon abhalten?

Meine Tochter ist 16, aber zum Glück sehr vernünftig. Sie geht nur mit unserem jungen Hund raus und trifft sich mit einer Freundin, um gemeinsam für die Schule zu lernen. Aber ich weiß, dass nicht alle so sind. Ich habe selbst gesehen, dass abends und nachts junge Leute im Park in Gruppen zusammen feiern und trinken, weil sie gerade keine Schule haben. Ich würde ihnen nicht drohen, wenn ich der Vater wäre. Aber schon an das Verantwortungsgefühl appellieren. Und sagen: Ihr wollt ernst genommen werden? Dann verhaltet euch auch mal so, dass man auf euch zählen kann. Und bringt auch eure Freunde zur Vernunft.

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Würden Sie von drastischen Beispielen erzählen, um den Appell zu unterstreichen?

Man muss einen Mittelweg finden. Was ich höre, ist die Stimmung in den Krankenhäusern sehr angespannt. Die Sorge, vor dem was kommen kann, ist groß. Jugendliche sollten schon wissen, dass die Krankheit einen sehr ernsten Verlauf nehmen und tödlich enden kann. Es ist ja nicht so, dass die Patienten kurz mal beatmet werden müssen. Das sind lange, schwerwiegende Eingriffe und die Schädigung der Lunge kann auch die Zeit der Infektion überdauern. Andererseits darf man Teenager natürlich auch nicht komplett deprimieren. Die Lage ist ja tatsächlich düster. 

Was können Eltern tun, um die Stimmung aufzuhellen?

Wir haben jahrelang das zocken und fernsehen und dauertelefonieren verteufelt. Ich würde jetzt sagen: Je strenger die Regeln draußen werden, desto mehr lockern wir sie drinnen. Also: Ihr dürft jetzt zocken und whatsappen. Und als Eltern kann man am Wochenende jetzt auch mal ganz entgegen der bisherigen Regeln sagen: Komm, lass uns mal vor der Glotze sitzen heute.

Das geht bei faulen Teenagern. Aber: Was ist mit kleinen Kindern, die ja eine großen Bewegungsdrang haben.

Derzeit kann man ja mit den Kleinen noch um den Block rennen oder in den Park. So lange man sich fernhält von anderen und es bei einem kurzen, trockenen Gruß aus Minimum 1,5 Metern Entfernung belässt, ist das derzeit vertretbar. Aber wir müssen uns natürlich auch auf noch strengere Regeln vorbereiten.

Und dann? Rennen wir in der Wohnung rum?

Warum nicht? Oder sie machen ne Kissenschlacht. Oder backen zusammen.

Das gibt eine riesen Sauerei.

Ja, vielleicht. Sie müssen aber bedenken: Die Familie hat ja auch Zeit, danach wieder zu putzen.

Mich erreichen Nachrichten von Bekannten auf dem Land, die haben einen Garten und ein Klettergerüst und schicken Bilder vom Grillen verbunden mit Stay-at-Home-Durchhalteparolen. Das sieht ja ganz angenehm aus. Aber was macht die Familie mit vier Kindern auf 80 Quadratmetern ohne Balkon?

Die Krise offenbart auch soziale Probleme. Da haben Sie Recht. Erst letztens stand bei mir eine verzweifelte Mutter in der Praxis. Sie hat geweint, nicht weil sie Angst vor dem Virus hätte. Sondern weil ihr Mann bei der Arbeit ist und sie mit sieben Kindern zu Hause sitzt. Die weiß einfach gar nicht, wie das gehen soll.

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