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LeerstandNeues Leben für Geisterhäuser in Braunsfeld

Lesezeit 5 Minuten
Auch viele Wohnungen dieses Hauses scheinen unbewohnt.

Auch viele Wohnungen dieses Hauses scheinen unbewohnt.

Braunsfeld – Kunterbunt leuchten die Werbeprospekte im Briefkasten. Er ist gnadenlos vollgestopft. Hartnäckige Zusteller haben alles so lange dort hineingedrückt, bis nichts mehr ging. Der Briefkasten des Hauses an der Raschdorffstraße wird schon lange nicht mehr geleert. Seine Klappe ist mittlerweile weggerostet. Das Einfamilienhaus steht leer – schon ewig. Das Nachbarhaus hat das gleiche Schicksal ereilt. Auch einige Meter weiter sind an einem Mehrfamilienhaus die Rollläden vor zahlreichen Wohnungen schon lange heruntergelassen.

In einem Wohngebäude an der Friedrich-Schmidt-Straße herrscht hinter fast allen Fenstern gähnende Leere. An der Christian-Gau-Straße sind zwei Reihenhäuser und ein Mehrfamilienhaus anscheinend unbewohnt, auch an der Wiethasestraße herrscht nur hinter einem winzigen Fenster noch ein wenig Leben – vielleicht. Rund zehn Geisterhäuser hat ein Braunsfelder Anwohner, der namentlich nicht genannt werden möchte, in seiner Nachbarschaft ausgemacht. „Ich verstehe nicht, dass man sie leerstehen lässt, wenn man bedenkt, wie groß die Wohnungsnot in der Stadt ist“, sagt er.

Tatsächlich existiert seit Juli 2014 in Köln eine sogenannte Wohnraumschutzsatzung, die darauf abzielt, Wohnraum zu erhalten. Danach dürfen alle freifinanzierten Miet- und Genossenschaftswohnungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Satzung Wohnraum waren, nicht ungenehmigt zweckentfremdet werden, das heißt, die Wohnungen dürfen nicht für gewerbliche Zwecke genutzt, nicht abgerissen werden und vor allem auch nicht länger als drei Monate leer stehen. Wer gegen dieses Verbot verstößt, muss mit einer Geldbuße von bis zu 50.000 Euro pro Wohneinheit rechnen.

Allerdings muss die Verwaltung erst einmal davon erfahren, dass irgendwo eine Wohnung leer steht. Auf die Nachfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ hin hat sie nun die Braunsfelder Leerstände untersucht. „Wir haben uns jetzt vor Ort einen Eindruck verschafft und die jeweiligen Eigentümer oder Verfügungsberechtigten um Stellungnahme gebeten“, sagt Jürgen Kube, Abteilungsleiter Wohnungsaufsicht und Wohnungsbauförderung des Wohnungsamts.

Satzung betrifft nur Miet-Wohnungen

Ein großer Teil der Braunsfelder Leerstände falle jedoch gar nicht unter die Satzung. „Sie betrifft ausdrücklich nur Miet-Wohnungen“, so Kube. „Einfamilienhäuser und selbst genutzte Eigentumswohnungen fallen nicht darunter.“ Immerhin, in einigen der genannten Wohngebäude stehen Mietwohnungen leer, und somit ist die Chance hoch, dass die Wohnraumsatzung greift.

Durch das Eingreifen der Verwaltung werden somit vielleicht bald wieder einige weitere Wohnungen dem Markt zur Verfügung stehen, langfristig jedenfalls. „Nicht immer ist es nötig, ein Bußgeld zu verhängen“, sagt Kube.„Manchmal kommt bei der Anhörung heraus, dass es einen guten Grund dafür gibt, warum die Wohnungen länger leer stehen“, sagt er. „Manchmal dauert die Sanierung einfach länger als drei Monate, oder den Eigentümern fehlen die nötigen finanziellen Mittel, um alles sofort machen zu lassen.“ In anderen Fällen gebe es eine Erbengemeinschaft, die sich nicht einig sei, wie mit der Wohnung verfahren werden solle. Oft gehöre ein Mehrfamilienhaus älteren Menschen, die Angst haben, sich fremde Mieter ins Haus zu holen.

Auf Mieter soll kein Druck ausgeübt werden

Frank Reißig, Sachgebietsleiter Wohnungsaufsicht des Wohnungsamts, kennt die verschiedensten Gründe für Leerstand und weiß, dass sie unterschiedlich behandelt werden müssen. „Ob und wie wir gegen den Leerstand vorgehen, ist eine Einzelfallentscheidung“, sagt er. „Wir müssen jeweils genau prüfen, welchen Druck wir ausüben dürfen. Wir müssen ermessensfehlerfrei entscheiden.“

Einen Grund für Leerstände akzeptiere die Behörde jedenfalls nicht: „Wenn ein Hausbesitzer aufgrund der gestiegenen Immobilienpreise ein Gebäude als Ganzes lukrativ verkaufen möchte und nun die Mietwohnungen nur deswegen leer stehen lässt, weil er darauf wartet, dass die letzten Mieter endlich ausziehen, dann akzeptieren wir das nicht als Grund für die Leerstände“, so Reißig. „Wir möchten den Eigentümer nicht dabei unterstützen, Druck auf die Mieter auszuüben.“

Obwohl es viele Gründe gibt, warum das Amt nicht oder nur zurückhaltend einschreitet, habe man seit der Existenz der Satzung mit ihrer Hilfe doch einigen Wohnraum für den Markt zurückgewinnen können, sagen die Mitarbeiter der Behörde. „Vom Beginn ihrer Gültigkeit im Juli 2014 bis jetzt haben wir in Köln von 443 Verdachtsfällen in 193 Fällen dafür sorgen können, dass Wohnungen wieder als solche angeboten werden“, sagt Reißig. Auch von 399 Fällen, in denen der Verdacht bestand, dass Wohnungen in gewerbliche Räume umgewandelt werden sollten, hätten 177 wieder dem Wohnungsmarkt zugeführt werden können. „Natürlich sind wir auf Hinweise aus der Bevölkerung angewiesen. Besonders viele bekommen wir aus der Innenstadt und aus Lindenthal“, so Kube.

Auch wenn das Amt gegen den Leerstand von Einfamilienhäusern nichts unternehmen kann, hat Kube eine Idee, wie sich der Wohnraum nutzen ließe. „Die Eigentümer der leerstehenden Einfamilienhäuser könnten uns diese für geflüchtete Menschen zur Verfügung stellen, zumindest übergangsweise“, sagt der Abteilungsleiter. „Die haben es aufgrund des angespannten Wohnungsmarktes oft besonders schwer, eine Wohnung zu finden. Und wir als Stadt sind ein zuverlässiger Mieter und kümmern uns nötigenfalls auch um Arbeiten, die erledigt werden müssen, damit ein Haus wieder bewohnbar ist.“ Leerstände können dem Wohnungsamt per E-Mail gemeldet werden.

wohnungsamt@stadt-koeln.de

„Der Druck ist angesichts steigender Mieten hoch“

Jürgen Kube ist Abteilungsleiter Wohnungsaufsicht und Wohnungsbauförderung der Stadt Köln.

Seit 2014 gibt es die Wohnraumschutzsatzung. Was galt vorher?

Es gab seit den 70er-Jahren Regelungen, die festlegten, dass Wohnraum nicht zweckentfremdet werden darf. Zuletzt galt seit 2001 die Zweckentfremdungsverordnung des Landes NRW. Sie war 2006 ausgelaufen. Erst Anfang 2012 hat die Landesregierung in Düsseldorf eine Nachfolgeverordnung erlassen, die es Kommunen mit Wohnungsmangel erlaubt, Schutz-Satzungen zu beschließen.

Warum hat man diese Regelungslücke über die Jahre zugelassen?

Das war landespolitisch so geregelt. In dieser Zeit sind in Köln viele Wohnungen in Gewerberäume umgewandelt worden, weil deren Vermietung lukrativer sein kann. Nachdem das Land die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen hat, hat der Rat in Köln im Jahr 2014 die Wohnraumschutzsatzung erlassen, um der Wohnraumverknappung, entgegenzutreten.

Woran machen Sie die Wohnungsnot fest?

Wir haben jährlich rund 15 000 Anträge auf Hilfe bei der Vermittlung einer öffentlich geförderten Wohnung. Dem stehen rund 37 000 Wohneinheiten gegenüber, die zur Verfügung stehen. Die Fluktuation in diesen Wohnungen ist sehr gering. Der Druck für

Familien mit geringem Einkommen ist angesichts der steigenden Mieten hoch. Dabei sind sogar knapp 45 Prozent der Kölner Haushalte eigentlich berechtigt, eine geförderte Wohnung zu beziehen. Viele stellen gar keinen Antrag. Zahlreiche Familien geben 40 Prozent ihres Einkommens für Miete aus. Da bleibt wenig zum Leben übrig.

Das Interview führte Susanne Esch

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