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„Russisches Geisterhaus“Sozialistische Selbsthilfe besetzt Mehrfamilienhaus Köln

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Mitglieder der Sozialistischen Selbsthilfe Mülheim und die Initiative „Recht auf Stadt“ haben das Haus in Köln-Lindenthal besetzt.

Mitglieder der Sozialistischen Selbsthilfe Mülheim und die Initiative „Recht auf Stadt“ haben ein Haus in Köln-Lindenthal besetzt.

Früher wohnten hier Mitglieder des russischen Geheimdienstes KGB, doch seit über 20 Jahren steht das Mehrfamilienhaus in Köln-Lindenthal leer. 

Rainer Kippe steht am Fenster im oberen Stock des Mehrfamilienhauses an der Classen-Kappelmann-Straße 47 – und klärt die Passanten darüber auf, warum er dort eine Scheibe eingeschlagen hat, mit einer Leiter hineingeklettert ist und es an diesem Tag eine Stunde lang besetzt hat, mit seinen Mitstreitern von der Sozialistische Selbsthilfe Mülheim (SSM) und der Initiative „Recht auf Stadt“: „Dieses Haus steht seit über 20 Jahren leer“, sagt Kippe. „Dabei ist in Artikel 14 unseres Grundgesetzes festgeschrieben, dass Eigentum verpflichtet.“ Immer mehr Menschen würden auf der Straße leben. „Die durchschnittliche Lebenserwartung der Bürger liegt bei über 70 Jahren, die der Obdachlosen bei 48“, so Kippe. „Dass die Stadt die Obdachlosigkeit nicht beseitigt, bedeutet Totschlag im Amt durch Unterlassen.“

Mehrfamilienhaus in Köln-Lindenthal gehört Russischen Föderation

Das Mehrfamilienhaus gehört der Russischen Föderation. Dort wohnten einst Mitglieder des russischen Geheimdienstes KGB. Seit dem Zerfall der Sowjetunion steht es leer. Die Initiativen fordern, dass die Stadt diesen Leerstand endlich beendet.

Für die Hausbesetzung hatten die SSM und „Recht auf Stadt“ den „Housing Action Day“ gewählt. Jedes Jahr finden am letzten Samstag im März europaweit Aktionen statt, mit denen Menschen gegen Obdachlosigkeit demonstrieren, weil in Frankreich alljährlich am 1. April besetzte Wohnungen geräumt werden. Während der Wintermonate lässt man die Menschen ohne festen Wohnsitz dort leben.

So gibt es an diesem Tag 80 Aktionen in 40 europäischen Städten, drei davon in Köln. Neben der Hausbesetzung an der Classen-Kappelmann-Straße 47 finden Demonstrationen an der Friedrich-Engels-Straße 3 bis 7 und an der Aachener Straße 240 bis 244 statt. Auch diese Immobilien gehören der Russischen Föderation und auch sie stehen seit langer Zeit leer.

Stadt Köln setzte auf diplomatische Lösung mit Russland

Die Stadtverwaltung hatte sich bislang nicht dazu in der Lage gesehen, gegen den Leerstand vorzugehen, weil ein fremder Staat Eigentümer der Häuser ist. Sie hatte auf eine diplomatische Lösung mit Russland gesetzt. Doch eine solche ist seit dem Überfall des Landes auf die Ukraine in weite Ferne gerückt. Umso mehr erhitzen die leerstehenden „Russenhäuser“, wie sie von der Bevölkerung genannt werden, die Gemüter.

Im Hinblick auf das Anwesen an der Friedrich-Engels-Straße ist allerdings Bewegung in die Situation gekommen. Ein neues Rechtsgutachten der Stadt hat einen neuen Weg eröffnet, der Gebäude habhaft zu werden: Wenn die Stadt Köln einen Bebauungsplan aufstellt, mit dem Ziel, die Fläche für gemeinnützige Zwecke zu nutzen, kann sie nach den Regeln des Baugesetzbuchs den Eigentümer, also die Russische Föderation, enteignen.

Hoffnung, dass russische Geisterhäuser in Köln bald wiederbelebt werden können

Die Bezirksvertretung Lindenthal hat in ihrer vergangenen Sitzung beschlossen, dass die Verwaltung einen solchen Plan erarbeiten soll. Der in der Sitzung anwesende Vertreter des Stadtplanungsamtes Heinrich Funk schilderte, dass die Stadtverwaltung sich auch vorstellen könne, auf die gleiche Weise in den Besitz der anderen Russenhäuser zu gelangen. Bis die entsprechenden Bebauungspläne aufgestellt sind und die Russische Föderation enteignet ist, können allerdings Jahre vergehen.

Kalle Gerigk von „Recht auf Stadt“ sieht allerdings noch eine schnellere Möglichkeit, das Problem zu lösen: „Die Bethe-Stiftung möchte die Häuser kaufen, um dort Obdachlose unterzubringen“, schildert er bei der Besetzung. Erich Bethe, Gründer der Stiftung, bestätigt das auf Nachfrage: „Wir sind über einen Anwalt in Leipzig in Verhandlungen mit der Russischen Föderation“, sagt er. „Es gibt konkrete Pläne, die Häuser zu erwerben.“ Die Stiftung sei bereit, viel Geld zu bezahlen. Russland sei an dem Angebot interessiert. Es stehe nur noch nicht fest, ob es die Häuser verkaufen oder der Stiftung in Erbpacht überlassen wolle.

So besteht also Hoffnung, dass die russischen Geisterhäuser am Ende schneller wiederbelebt werden als gedacht.

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