Professor Erland ErdmannKämpfer für die Herzgesundheit

Das Herzzentrum (hier das Foyer) ist sein Lebenswerk; Prof. Erdmann hat viele Förderer dafür begeistern können.
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Sülz – Herr Professor Erdmann, seit 20 Jahren vermitteln Sie den Kölnern, dass sie auf ihr Gewicht achten, nicht rauchen und sich mehr bewegen sollen, um eben nicht Ihre Patienten zu werden. Trotzdem sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen weiter Todesursache Nummer eins.
Erland Erdmann: Ja, leider, und dennoch sind die Warnungen nicht erfolglos. Als ich 1993 an die Kölner Uniklinik kam, rauchte die Hälfte aller Herzpatienten, heute nur noch wenige. Was gesunde Ernährung und Sport betrifft, sehen wir in besser gebildeten Schichten durchaus Fortschritte. Sorgen machen uns die vielen Kinder und Jugendlichen, die durch extremes Übergewicht und Folgekrankheiten wie Diabetes einen Teil ihrer Zukunft verlieren. Es ist eine gesellschaftliche Aufgabe, viel früher vorbeugende Angebote zu machen und effektive Gesundheitserziehung zu betreiben.
Wenn die Patienten ins Herzzentrum kommen, ist der Schaden ja meist schon angerichtet.
Erdmann: Zwischen 50 und 80 Jahren tritt zutage, was jemand seinem Körper bis dahin zugefügt hat. Natürlich lohnt sich auch dann noch eine Lebensumstellung. Denn die medizinischen Fortschritte ermöglichen es uns im Herzzentrum, einen sehr großen Teil der Patienten zu retten. War eine Katheteruntersuchung vor 20 Jahren noch mit einen Sterblichkeitsrisiko von 1 zu 1000 belastet, ist dieses Verfahren heute so unproblematisch wie Röntgen. Wer mit einem Herzinfarkt hier eingeliefert wird und unter Schock steht, dem weiten wir die Herzkranzgefäße auf, und praktisch sofort fühlt sich mancher Patient so gut, dass er tanzen gehen möchte.
Das soll jetzt aber keine Aufforderung sein, drauflos zu leben, weil es der Doktor schon richten wird.
Erdmann: Sicher nicht. Dieser beste Fall gilt ja auch nur für Patienten, die unmittelbar nach dem Infarkt kommen und bei denen wenig Muskelgewebe verloren gegangen ist. Die können danach schmerzfrei leben. Um das vielen Betroffenen zu bieten, haben wir das Kölner Infarktmodell (KIM) zur schnellen Versorgung von Infarktpatienten in den Häusern mit Katheterplatz gegründet. Aber wir behandeln ja viele weitere Herzerkrankungen.
...zu deren Behandlung Sie in Ihrem Mediziner-Leben sicher viele neue Wege, aber auch Sackgassen kennengelernt haben.
Erdmann: Zu den großartigen Entdeckungen bei der Schrittmacherversorgung gehört die elektrische Stimulation beider Herzkammern. Wird nur eine stimuliert, geht durch den Druck über die Herzscheidewand in die jeweils andere Kammer viel Energie verloren. Bei gleichzeitiger Stimulation beider Herzkammern ist das gepumpte Blutvolumen um ein Fünftel höher. Das führt dazu, dass zehn Prozent mehr Patienten drei Jahre nach dem Einsatz des Schrittmachers überleben, ein echter Fortschritt. Weniger erfreulich ist, dass so viele Menschen glauben, mit schönen neuen Medikamenten lasse sich alles beheben.
Ein Beispiel?
Erdmann: Die Statine. Wenn ein sonst Gesunder hohe Blutfettwerte hat, wirken Statine keine Wunder, sondern man müsste statistisch 50 Patienten zehn Jahre lang damit behandeln, bis auch nur einer davon einen Vorteil hätte.
Worauf sind Sie persönlich stolz?
Erdmann: Mit Stolz und vor allem Dankbarkeit sehe ich auf das Herzzentrum, für das mein damaliger Kollege Prof. de Vivie und ich gekämpft haben und das so engagierte Förderer gefunden hat. Es ist ein Meilenstein für die Versorgung der Bevölkerung – und keine Einzel-, sondern eine Teamleistung. Wir versorgen jährlich durchschnittlich 4500 Patienten in der Klinik und leisten allein 3800 Katheteruntersuchungen. Dass Ärzte verschiedener Disziplinen bei der Versorgung eines Patienten bei uns nicht nur ausnahmsweise, sondern regelhaft eng zusammenarbeiten und fast jeden Fall diskutieren, erhöht die Sicherheit. Erst vorige Woche haben wir eine 92-jährige Patientin erfolgreich operiert; dieses Risiko wird nur durch ein Spitzen-Team beherrschbar.
Sie stellen das Team vor die Technik.
Erdmann: Natürlich. Ärzte müssen zuallererst ihr Wissen und ihre Erfahrung einbringen und dürfen sich nicht beispielsweise auf Telemedizin und auf Diagnosen vor dem Computerbildschirm verlassen, sondern müssen den Patienten sehen, anhören und untersuchen, „begreifen“. Die Untersuchung macht den Unterschied zwischen Glauben und Wissen.
Viele Patienten kommen ja vermutlich schon mit einer Eigendiagnose, wenn sie ihre Symptome im Internet eingegeben haben und sicher sind: Da steht jetzt ein Infarkt vor der Tür.
Erdmann (lacht): Ja, schlimm! Ich kenne das aus meiner Studentenzeit, als ich auch bei jeder Krankheit, von der ich las, gleich Symptome bei mir zu entdecken meinte. Aber darauf darf man sich nicht verlassen. Im Gegensatz zum Internet kann der Arzt Symptome einordnen, durch Differenzialdiagnose in einen Zusammenhang stellen und aus dem Gesamtbild mit der Untersuchung sichere Schlüsse ziehen. Wenn also bisherige Patienten mich fragen, ob sie mich nach Ende meiner beruflichen Tätigkeit im Herzzentrum wenigstens noch telefonisch um ärztlichen Rat bitten dürfen, muss ich das ablehnen. Das Telefonat ersetzt keine Untersuchung. Sie dürfen aber meinem Nachfolger und dem Team im Herzzentrum ihr Vertrauen schenken.
Nach so vielen Patienten, die Ihnen eine zweite Chance verdanken, hat Ihr Name in Köln einen sehr guten Klang. Für manche früheren Patienten gehören Sie sogar ein bisschen zur Familie. Wird Ihnen das fehlen?
Erdmann: Es wird eine Umstellung, sicher. Ich habe ja meinen Beruf sehr geliebt und zwar mit all seinen Facetten, der medizinischen und der wissenschaftlichen Arbeit und zuletzt der Leitung des Herzzentrums. Meine Frau, selbst Ärztin, hat fast ausnahmslos Verständnis dafür gehabt, wie viel Zeit und Energie das gekostet hat. Jetzt werde ich es genießen, im Privatleben auch das zu tun, was meiner Frau am Herzen liegt.
Wie sehen Sie die Zukunft des Herzzentrums?
Erdmann: Oh, gut! Hier arbeiten hervorragend ausgebildete und engagierte ärztliche und pflegerische Kollegen, die wissen: Der Patient besteht nicht nur aus Herz. Mit Ärzten anderer Fakultäten zusammenzuarbeiten und den Menschen als Ganzes zu sehen ist dem Team wichtig. Das ist personalisierte Medizin – kein Schlagwort, sondern für Ärzte und ihren Berufsstand eine Frage der Haltung. Patienten merken das und schenken dem Herzzentrum Vertrauen.